Название | Politisch motivierte Kriminalität und Radikalisierung |
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Автор произведения | Stefan Goertz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Grundlagen der Kriminalistik |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783783213515 |
So unterschiedlich die Ideen und Ideologien der Akteure der politisch motivierten Kriminalität in Deutschland sind, wurde in den letzten Monaten den politischen Verantwortungsträgern, den Sicherheitsbehörden, den Medien und der Öffentlichkeit bewusst, dass ein eklatantes Analysevakuum in verschiedenen Bereichen der PMK in Deutschland besteht. So führte der Berliner Extremismusforscher Schroeder öffentlich-medial aus, dass der Linksextremismus in Deutschland „von Teilen der Gesellschaft seit langem verharmlost wurde“[3]. Ein weiterer Extremismusforscher, Pfahl-Traughber, erklärt vor dem Hintergrund der Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg, dass, während über rechtsextremistische Einstellungen in der Gesamtgesellschaft seit vielen Jahren kontinuierliche Meinungsfragen durchgeführt werden, die nicht nur Auskunft über das quantitative Ausmaß, sondern auch über die sozialen Hintergründe geben, es „komplett an Studien mit der Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz linksextremistischer Einstellungen und linksextremistischer Militanz“[4] mangele.
Diese Thesen muss man auch auf die Phänomenbereiche „Reichsbürger“, Rechtsextremismus sowie Islamismus und insbesondere auf die Radikalisierungsforschung dieser Phänomenbereiche übertragen. Auch nach über 19 Jahren nach den historischen Anschlägen des 11.9.2001 ist immer noch ein eklatantes Analysevakuum im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch innerhalb der Sicherheitsbehörden, festzustellen. Spätestens die zahlreichen seit dem Jahr 2016 verübten und versuchten islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate in Deutschland und anderen Staaten der Europäischen Union sollten bzw. müssen eine Zeitenwende der Betrachtung und Analyse des Phänomenbereiches islamistischer Terrorismus auslösen.
Was haben linksextremistische, rechtsextremistische, islamistische Straftäter und Straftäter der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gemeinsam?
Was wiederum unterscheidet sie voneinander?
Eine effektive Analyse der unterschiedlichen Phänomenbereiche PMK muss von der Grundannahme ausgehen, dass dieser Phänomenbereich hoch komplex ist und notwendigerweise analysiert werden muss.
Folgende Analysebereiche stehen daher im Mittelpunkt der Untersuchung dieses Buches:
• | Radikalisierung: Warum und wie entfernen sich Menschen von demokratischen Prinzipien wie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) und wenden Gewalt an, um religiös-politische (Islamismus) bzw. politische Ziele (Linksextremismus, Rechtsextremismus, „Reichsbürger“) zu erreichen? |
• | Akteursanalyse: Wer wird warum Extremist und/oder islamistischer, rechtsextremistischer, linksextremistischer Terrorist? |
• | Taktik und Mittel: Wie gehen Extremisten vor? Können (wiederkehrende) Muster identifiziert werden, aus denen dann Gegenmaßnahmen entwickelt werden können? |
Nicht erst die islamistischen Anschläge und Attentate der Jahre 2015 bis 2020 in europäischen Staaten wie Frankreich und Deutschland mit insgesamt 800 Toten und über 3.750 Verletzten, die drei rechtsextremistisch-terroristischen Anschläge in den Jahren 2019 und 2020 sowie der Fall NSU und die Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg 2017 verdeutlichen die Bedeutung von Radikalisierungsforschung in den unterschiedlichen Phänomenbereichen politisch motivierter Gewalt. Die dominierende analytische Leitfrage dieses Buches lautet daher:
Warum und wie radikalisieren sich Menschen, die in demokratischen, freiheitlichen, sozialstaatlichen Gesellschaften aufgewachsen und/oder geboren sind, zu Extremisten und/oder Terroristen, die grundlegende Verfassungsprinzipien wie Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität und Minderheitenschutz ablehnen und ihre politische bzw. religiös-politische Ideologie zur Grundlage des Lebens aller Menschen machen wollen?
Anmerkungen
http://www.zeit.de/politik/2017-07/g20-gipfel-hamburg-live; 2.1.2021.
http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/polizeibilanz-nach-gzwanzig-gipfel-100.html; 2.1.2021.
https://www.abendblatt.de/hamburg/article211207427/Linksextremismus-von-Gesellschaft-teilweise-verharmlost.html; 2.1.2021.
Pfahl-Traughber 2014, S. 232.
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2. Aktuelle Entwicklungen
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, erklärte in seinem Statement im Bundestag am 29.6.2020, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz aktuell „Rechtsextremismus und -terrorismus als größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland bewertet“.[1] Als Indiz dafür sah der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im deutschen Rechtsextremismus „eine hohe Gewaltbereitschaft, regelmäßige Waffenfunde und die Tötungsdelikte“ der drei rechtsextremistisch-terroristischen Anschläge 2019 und 2020. Dazu führte Präsident Haldenwang aus: „Nach den Anschlägen 2019 erschoss im Februar ein Rechtsextremist in Hanau weitere 10 unschuldige Menschen. Deshalb behalten unsere Prognosen ihre Gültigkeit: Die Lageverschärfung im Rechtsextremismus führt zu schwersten Gewalttaten, mit denen auch weiterhin zu rechnen ist. Es entwickeln sich mehrheitlich rechtsterroristische Ansätze am Rand oder außerhalb der Szene. Und die Virtualisierung, Radikalisierung und Entgrenzung bleiben die prägenden Merkmale rechtsextremistischer Aktivitätsmuster“.[2] Daneben führte Haldenwang aus, dass das rechtsextremistische Personenpotenzial gegenüber dem vergangenen Jahr um 33% auf rund 32.000 Personen gestiegen sei. Neben dem Anstieg der gewaltorientierten Personen auf 13.000 beobachteten die deutschen Verfassungsschutzbehörden auch einen auffälligen Anstieg antisemitisch motivierter Straf- und Gewalttaten von Rechtsextremisten um jeweils etwa 17 Prozent.[3]
Linksextremistisch motivierte Straftaten nahmen im Jahr 2019, dem Berichtsjahr des aktuellen Verfassungsschutzberichts von 2020, um fast 40 Prozent zu, darunter waren auch 921 Gewaltdelikte und zwei versuchte Tötungsdelikte. Die Zahl der Sachbeschädigungen durch Linksextremisten stieg um über 58 Prozent, die der Brandstiftungen erhöhte sich um fast 52 Prozent.[4]
Außerdem wurden seit 2004 in Europa über 89 islamistische Anschläge verübt bzw. durch Sicherheitsbehörden verhindert. Durch die verübten islamistischen Anschläge starben 800 Menschen und wurden über 3745 Menschen verletzt. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden allein in Deutschland seit 2016 neun islamistische Anschläge verhindert, zwei davon im Winter 2019.
Anmerkungen
BfV 2020b.
Ebd.