Название | Lachen, Weinen, Hoffnung schenken |
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Автор произведения | Oberrabbiner Prof. Paul Chaim Eisenberg |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783710605598 |
Mein Buch ist zwar keine Bibel, aber auch ich bringe nur die wesentlichen Storys. Auch bleibe ich trotzdem bei meinem Metier, jüdische Weisheit und jüdischen Humor mit meiner Familiengeschichte zu verbinden. Wäre es anders, dann wäre es nicht mein Buch.
FÜR UNS JUDEN ist der wöchentliche Schabbat, im Volksmund Schabbes genannt, bekanntlich nicht nur ein Ruhetag, sondern ein heiliger Tag mit vielen Bräuchen. Im Schtetl haben Juden unter der Woche oft fast nur Brot und gekochte Kartoffeln gegessen, damit sie für den Schabbat, einmal die Woche, etwas Besseres einkaufen konnten.
In meinem Elternhaus gab es wochentags Butter aufs Brot und Eierspeis auf die Kartoffeln, aber das Schabbatmahl war auch bei uns etwas ganz Besonderes: Meist gab es Fisch, Suppe, Fleisch mit Beilagen und als Nachspeise einen guten Kuchen mit Kompott.
Besonders war auch, dass nur am Schabbat nicht in der Küche, sondern im Speisezimmer serviert und gegessen wurde, auf einem blütenweißen Tischtuch, von einem Schabbat-Geschirr und mit versilbertem Besteck neben den leuchtenden Kerzen, die meine Mutter vor Schabbat entzündet hat.
Im Schtetl war es trotz der bedrückenden Armut üblich gewesen, zum Schabbat-Tisch einen Gast einzuladen, mitunter einen, der sich auf der Durchreise befand. Meine Eltern haben diesen Brauch weitergeführt und am Freitagabend jemanden aus dem Stadttempel – unserer Synagoge – mit nach Hause genommen, auch wenn es ein Fremder war. Allerdings wussten wir meist schon vorher, wer eingeladen wurde: Oft waren es Gäste aus Israel, die sich freuten, beim Oberrabbiner zu Hause Schabbes feiern zu dürfen. Trotzdem bestand die Möglichkeit, dass mein Vater zusätzlich zu diesen schon eingeplanten Gästen noch einen weiteren Gast aus der Synagoge mitbrachte. Meine Mutter legte also zur Sicherheit ein Gedeck mehr auf, als wahrscheinlich benötigt werden würde, und goss ein bisschen mehr Wasser in die Suppe – auch das hat man schon in der alten Zeit im Schtetl genau so gemacht.
Schon in der Tora gibt es zu dieser Tradition eine schöne und lehrreiche Geschichte, die mich schon als Kind stark beeindruckte. Dort heißt es, dass unser Stammvater Abraham, der doch eine Zeit lang der einzige Jude auf der Welt war, mit seiner Gastfreundschaft auch „Mission“ betrieben habe. Denn wenn Wanderer an seinem Haus vorbeigingen, dessen Türen immer offen waren, hielt er sie an und bewirtete sie fürstlich. Danach fragte er die Gäste: „Nun, was ist jetzt mit der Bezahlung?“ In diesem peinlichen Moment zückten manche die Kreditkarte (ihr erlaubt mir die sanfte Modernisierung), wieder andere sagten, sie hätten leider kein Geld. Zu all ihnen aber sagte Abraham: „Ihr müsst nicht bei mir bezahlen, sondern euch beim lieben Gott bedanken, der die Welt erschaffen hat und auch das Essen, das ich euch serviert habe.“ Na, und schon war das „Missionsgespräch“ initiiert.
Diese Geschichte ist umso interessanter, wenn man weiß, dass wir Juden eigentlich gar keine Mission betreiben und grundsätzlich nicht versuchen, Anhänger anderer Religionen oder auch Atheisten von unserem Glauben zu überzeugen. Wir glauben vielmehr, dass jeder gute Mensch in den „Himmel“ kommen kann. Dennoch wollte sich Abraham die Gastfreundschaft offenbar nicht als Gelegenheit entgehen lassen, um Menschen ein wenig näher zu Gott zu bringen.
Anders verhält es sich natürlich, wenn ein religiöser Jude sieht, wie ein anderer Jude – zum Beispiel – den Schabbat nicht hält. Schon in der Tora, in der Bibel steht, dass man den anderen dann zurechtweisen sollte, aber freundlich. Die Details zu diesem Gebot füllen Bände, vielleicht schreibe ich mein nächstes Buch darüber.
Der wesentliche Grundsatz dabei ist, dass wir füreinander verantwortlich sind und daher nicht tatenlos zuschauen sollen, wenn ein anderer einen Fehler macht. Manche sagen auch, dass ich zum Beispiel meinen jüdischen Nachbarn, der jeden Schabbat mit dem Tennisschläger ins Auto steigt, statt mit mir zu Fuß zur Synagoge zu gehen, freundlich darauf hinweisen soll, mit mir in den Tempel zu kommen. Aber nach einigen fruchtlosen Versuchen darf und werde ich es aufgeben.
Es gibt eine altbewährte Technik, wie man einen Juden oder eine Jüdin auf andere Weise dazu bringen kann, den Schabbat einzuhalten. Statt die Person zurechtzuweisen, lädt man sie mit ihrer Familie zum festlichen Schabbatmahl ein. Dort spricht der Hausherr den Segen über den Wein, teilt die wunderbare Challe, das Schabbatbrot, aus, lässt den Besuch vom gefillten Fisch und der Suppe der Hausfrau essen und spricht mit ihm über die Schönheit des Schabbats, ohne den Gast auch nur mit einem Wort zu kritisieren. Dann werden auch Schabbatlieder gesungen.
So ähnlich erziehen wir auch unsere Kinder, und so haben unsere Eltern mich und meine Schwester die Liebe zum Schabbat gelehrt. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder den Schabbat einhalten, dann wird es vollkommen schiefgehen, wenn wir ihnen das nur sagen. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Es ist keine exklusive jüdische Weisheit, dass Kinder vom Vorbild der Eltern und nicht durch Verbote lernen. Und so ist es vielen religiösen Juden und besonders Rabbinern gelungen, Juden, die schon sehr entfernt von der Observanz des Judentums waren, wieder zur Jüdischkeit zurückzubringen. Oder, wie man ebenfalls sagt, ihr Judentum zu stärken.
Ich wurde als Rabbiner, der regelmäßig Schiurim gibt – also Erwachsene unterrichtet –, oftmals von Juden und Jüdinnen angesprochen, die zu mir sagten: „Wir sind an jüdischem Wissen interessiert, wir waren in keiner jüdischen Schule. Wir würden gerne mehr über den Schabbat und die Koscher-Vorschriften, die Feiertage und die Bibel wissen. Aber wir sagen Ihnen gleich, wir werden diese Gebote nicht einhalten.“
Darf man solche Schüler überhaupt unterrichten? Wie so oft gibt es im Talmud zu dieser Frage zwei Lehrmeinungen. Ein Rabbi hat solche Schüler gar nicht unterrichtet. Ein anderer dagegen, und so halte ich es auch, nahm auch solche Schüler auf. Denn ich bin überzeugt, dass sie, wenn ich mit ihnen die Tora lerne, weisere Juden werden. Und das genügt mir.
Mein Vater verfuhr mit unseren Schabbat-Gästen aus Israel so ähnlich wie Abraham, auch wenn er dabei etwas ganz anderes im Sinn hatte: Nach dem gemeinsamen Essen am Freitagabend, zu dem er sie ja eingeladen hatte, sagte er oft ganz unvermittelt: „Jetzt müssen Sie aber etwas für Ihr Essen bezahlen.“
Ich glaube, unsere Gäste waren darüber noch mehr verdutzt als die Gäste des Abraham in der Tora, denn als Juden wussten sie nur zu gut, dass man am Schabbat kein Geld verdienen darf. Aber jedes Mal löste mein Vater ihre Verwirrung rasch auf: „Lehren Sie uns doch als Bezahlung ein neues hebräisches Lied aus Israel!“, bat er die Gäste. Alle in unserer Familie waren musikalisch, aber wir kannten damals nur die alten hebräischen und jiddischen Lieder. Youtube und Ähnliches gab es noch lange nicht, aber auch aktuelle jüdische Schallplatten erreichten Wien nicht immer oder zumindest nicht so schnell. Besonders meine Schwester und ich waren immer glücklich darüber, neue jüdische oder hebräische Lieder zu lernen, und durch diesen kleinen Trick meines Vaters hatten wir regelmäßig Gelegenheit dazu, denn die Gäste waren erleichtert, dass man von ihnen nicht wirklich Geld verlangte.
Das berühmte Schalom-Alechem-Lied haben wir sowieso an jedem Schabbat a cappella gesungen. In diesem Lied heißt es, dass wir Juden nicht nur Gäste an unserem Schabbat-Tisch empfangen, sondern auch Engel. Mit Schalom Alechem, auf Arabisch Salam aleikum, begrüßen wir diese Engel: „Friede sei mit euch.“
Wenn ich dieses Lied heute singe, erinnere ich mich wehmütig an die schönen Schabbat-Abende