Tatort Ostsee. Harald Jacobsen

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Название Tatort Ostsee
Автор произведения Harald Jacobsen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994883



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      »Du willst einen Schnupperkurs machen?«

      Sophie nickte.

      »Surfen oder Kiten?«

      »Kiten.«

      Ben fuhr sich durch das Haar und nickte. »Kein Problem. Der Kurs beginnt morgen um 10. Wie war noch mal dein Name? Ach ja, Sophie.«

      Sophie verabschiedete sich knapp und rief Pelle zu sich. Gemeinsam stiegen sie über die Holztreppe auf den Deich. Sie spürte, dass Ben ihr nachsah. Grinsend erinnerte sie sich, dass Stefan zwei Vorschläge gemacht hatte. Wenn es mit dem Kiten nicht klappen würde, könnte sie über den anderen nachdenken. Plötzlich piepte ihr Handy. Eine SMS. Felix? Wieso glaubte sie immer noch, dass Felix sich bei ihr melden würde? Nervös klappte sie ihr Telefon auf. Die Nachricht war von Lutz: ›Hämatome auf dem Oberkörper, Obduktion wurde angeordnet. Ruf mich nicht an.‹

      Olli drehte das kalte Wasser auf und ließ die kleine Badewanne volllaufen. Er fühlte sich furchtbar. Der Cognac war keine gute Idee gewesen. Noch schlimmer war, dass er Ben rausgeschmissen hatte. Wenn er so weitermachte, war er bald auch seinen besten Kumpel los. Er hatte sich wie ein Arschloch benommen. Er musste endlich wieder klar denken können. Hoffentlich würde ein kaltes Bad ihn wieder auf die Beine bringen. Olli ließ sich in die Wanne plumpsen. Das kalte Wasser nahm ihm für ein paar Sekunden den Atem. Olli zählte langsam bis 100. Dann sprang er auf. Seine Haut kribbelte und er fühlte sich tatsächlich besser. Die Schocktherapie hatte gewirkt. Nur ein Gedanke quälte ihn. Hatte sie gefroren? Er konnte jetzt nicht weiter darüber nachdenken, sonst würde er verrückt werden. Er wickelte sich ein Handtuch um die Hüfte und sah sich in seinem Wohnmobil um. In nicht mal 24 Stunden hatte er sein Heim in eine Müllhalde verwandelt. Er zog sich schnell an und öffnete alle Fenster. Dann suchte er sich eine große Plastiktüte und sammelte die Flaschen und Kippen ein. Das Aufräumen tat ihm gut. Sich selbst würde er nicht so einfach wieder in Ordnung bringen können, das war ihm klar. Sarah hatte ihn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Warum trauerte er ihr trotzdem nach? Er musste nach vorne blicken. Und dazu gehörte auch, dass er seinen Job machte. Jeder würde verstehen, dass er heute nicht unterrichten konnte, aber er musste zumindest anwesend sein. Es wäre nicht fair, Ben in dieser Situation hängen zu lassen. Entschlossen verließ Olli sein Wohnmobil und lief zur Hütte. Ben stand davor und sah einer hübschen Blondine nach. »Wer war das denn?«

      Ben zuckte zusammen. »Ich hab dich gar nicht kommen hören.«

      »Warst wohl anderweitig beschäftigt.«

      »Ich habe heute gar nicht mit dir gerechnet.« Ben sah ihn besorgt an. »Geht es dir besser?«

      »Nein, aber wenn ich noch länger in meinem Wohnmobil sitze, drehe ich durch.« Ben nickte. »Und wer war die Blondine da eben?«

      »Nicht schlecht, oder?«, grinste Ben. »Tja, du Glücklicher! Die macht morgen bei dir einen Kitekurs.«

      Olli zuckte zusammen. »Sarah ist erst ein paar Stunden tot.«

      »Scheiße.« Ben biss sich auf die Unterlippe. »Das war dumm und gedankenlos. Ich bin ein Idiot.«

      »Schon gut. Sorry, dass ich vorhin so ätzend war, aber ich bin von der Rolle.«

      »Da kommt Clara!«, rief Ben erstaunt. »Die hat mir jetzt noch gefehlt.«

      Olli versuchte zu erkennen, in welcher Verfassung sie war. War sie betroffen, dass eine Kollegin ertrunken war, oder erleichtert, dass es eine Konkurrentin getroffen hatte?

      »Hallo, Jungs!«, grüßte sie ironisch. »Ist das Wetter nicht perfekt?« Clara trug einen Neoprenanzug und hatte ihr Trapez in der Hand.

      »Du willst aufs Wasser?« Olli sah sie fragend an.

      »Warum nicht?«, erwiderte sie gereizt. »Ich werde nicht vortäuschen, dass Sarahs Tod mich besonders betroffen macht. Schließlich waren wir alles andere als Freundinnen. Warum musste die dumme Kuh auch nachts raus?«

      »Sag mal, kannst du nicht ein bisschen netter sein? Wir haben sie gemocht. Olli geht es beschissen.«

      »War es denn was Ernstes? Ich dachte, du hast sie nur trainiert und ab und zu, na du weißt schon.«

      »Warum verschwindest du nicht einfach? Und nimm deinen Kalle gleich mit«, schnauzte Olli. Am liebsten hätte er ihr ins Gesicht geschlagen.

      »Nicht aggressiv werden!« Clara sah ihn unschuldig an. »Woher soll ich denn wissen, dass ihr eine Romanze hattet? Mir sagt doch keiner was. Ich bin doch immer die Böse! Mir ist schon klar, dass ihr lieber mich kalt gesehen hättet! Und hack nicht auf Kalle rum. Er tut sein Bestes! Du wolltest mich ja nicht trainieren, oder? Du brauchtest ja all deine Zeit für Sarah. Und dabei hatten wir einen Deal, aber den hast du ja schnell vergessen!«

      Olli stöhnte genervt. Was sollte er auch sagen? Dass sie recht hatte? Er hatte ihr zwei Jahre beim Training geholfen, bis er in St. Peter-Ording zufällig Sarah kennengelernt hatte.

      »Ich geh jedenfalls aufs Wasser. Warum kommt ihr nicht mit? Das Wetter ist großartig. Sarah hätte sich diesen Wind auch nicht entgehen lassen. Es wäre in ihrem Sinne.« Clara griff ihr Brett und ihren Schirm und ging an den Strand, um ihr Equipment aufzubauen. Olli sah ihr nach. Clara war zwar schon immer arrogant gewesen und hatte nie wirklich zur Clique gehört, doch seit sie mit Kalle abhing, war sie unausstehlich. Er atmete tief durch. In einem Punkt hatte sie allerdings recht. Sarah wäre jetzt auf dem Wasser. Entschlossen sprang er auf. »Dann los!« Er spürte Bens verwunderten Blick, doch das Leben musste weitergehen. »Ben? Du kommst doch mit?«

      20 Minuten später brauste Olli auf seinem Brett durch die Wellen. Er konnte wieder klarer denken, als ihm der Wind ins Gesicht wehte. Sarah war tot. Vielleicht sollte er sich jetzt wirklich um Clara kümmern.

      Stefan saß an seinem Schreibtisch und kämpfte gegen den Brechreiz an. Der Obduktionsbericht war entsetzlich und die Fotos des kleinen Körpers konnte er nur mit Mühe ansehen. Sein Kollege Ingo Schölzel war bei der Obduktion dabei gewesen und setzte ihn über weitere Einzelheiten ins Bild.

      »Ich hab ja schon viel gesehen, Stefan, aber diese Scheiße hat mich umgehauen«, schloss Schölzel seinen Bericht. Dann verließ er ohne ein weiteres Wort das Büro. Stefan warf einen letzten Blick auf die Fotos und legte dann alles zurück in den Ordner. Die Bilder in seinem Kopf ließen sich nicht so einfach zur Seite packen. Das kleine Mädchen musste entsetzlich gelitten haben. Es war unterernährt und völlig ausgetrocknet gewesen. Einige kleine Knochen waren gebrochen. Es handelte sich zum Teil um ältere Frakturen, wenn man bei einem Leben, das nur vier Monate gedauert hatte, überhaupt von älter sprechen konnte. Ingo hatte ihm erzählt, dass Lutz Franck Probleme gehabt hätte, die verkrustete Windel von der Haut zu lösen, ohne diese mit abzureißen. Ein Leben voller Qualen und ohne Liebe. Stefan rieb sich die Schläfen. Auf seinem Schreibtisch stand ein Bild von Tina und den Kindern. Warum konnten nicht alle Kinder eine Mutter wie Tina haben? Als ihm der Streit wieder einfiel, schämte er sich. Dass seine Frau mal eine Freundin um sich haben wollte, war wirklich verständlich. Und er machte ihr das Leben schwer, indem er immer wieder mit Sophie stritt. Er kannte Sophie doch nun wirklich lange genug. Anstatt ihr ein bisschen den Bauch zu pinseln und sie für ihr waches Auge zu loben, hatte er sich direkt auf Kollisionskurs begeben. Stefan stand auf und verließ sein Büro, um sich einen Kaffee zu holen. Robert Feller machte sich gerade an der Kanne zu schaffen. Als Robert ihn sah, reichte er ihm den vollen Becher.

      »Hier, Chef, du brauchst ihn dringender als ich. Mann, du siehst schlimm aus! Ich dachte, du wolltest endlich mal zum Friseur? Das ist ja ein Mopp da auf deinem Kopf.«

      Sein jüngerer Kollege war wie immer sonnengebräunt und sportlich gekleidet.

      »Danke für die Blumen. Schaff dir drei Kinder an und dann reden wir noch mal über Freizeitgestaltung. Gockel!«

      Robert hob abwehrend die Hände und Stefan verschwand wieder in sein Büro. Er hatte sich gerade gesetzt und sich eine Zigarette angezündet, als das Telefon klingelte. Auf dem Display erkannte er die Nummer des Staatsanwalts.

      »Hallo,