Название | Sozialraumorientierung 4.0 |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846355152 |
–Wenn man konsequent verfolgt, die Ressourcen und die eigene Aktivität der Menschen als wesentlichen Bestandteil der Leistungserbringung anzusehen, muss sich der Fokus in der Falleingangsphase genau darauf richten und nicht auf die häufig im Vordergrund stehende „Bedürftigkeit“, die zu Gesprächssequenzen folgt, die eher eine Problemtrance befördern, bei der die demoralisierenden Erfahrungen, Niederlagen und Misserfolge der Menschen im Vordergrund stehen. Somit ist klar, dass etwa das Formularwesen in einer Institution die Professionellen darauf orientieren muss, möglichst diejenigen Tatsachen zu dokumentieren, die Aufschluss geben über die Stärken der Menschen, ihre bisherigen Bewältigungsstrategien sowie die zahlreichen kleineren und größeren Kraftquellen, aus denen sie bislang geschöpft und mit denen sie so manche schwierige Situation mehr oder weniger gut überstanden haben.
–Leistungsrahmung: Die derzeit geradezu reflexartig gestellte Frage seitens der Leistungsträger: „Wer nimmt bzw. wer kriegt den Fall?“ oder: „Wo kriegen wir ihn unter?“ wird abgelöst von der gemeinsam mit den Leistungserbringern vorzunehmenden Suche nach einem passgenauen Arrangement, bei dem der professionelle Anteil durchaus auch in Kooperation von mehreren Leistungserbringern erbracht werden kann.
Wenn der Wille und die Ziele der Menschen im gesamten „Fallverlauf“ im Vordergrund stehen, braucht es möglichst regional aufgestellte Einrichtungen, die allenfalls einen geringen Grad an Standardisierung und Versäulung aufweisen und stattdessen konsequent darum bemüht sind, mit Blick auf die jeweilige individuelle Situation eine „passgenaue Maßnahme“, die sich im Extremfall ständig ändern kann, zu kreieren. Es braucht also ein Hilfearrangement, das in seinen Einzelaspekten die Stärken und Potentiale des leistungsberechtigten Menschen ergänzt und unterstützt, neue Ressourcen und Optionen schafft und einen Mix darstellt aus professioneller Tätigkeit, sozialräumlichen, materiellen wie personellen Ressourcen, technischen Hilfsmitteln und eigener Aktivität des leistungsberechtigten Menschen, der letztlich immer wieder selbst darüber befinden muss, ob das vereinbarte Arrangement ihn in guter Weise unterstützt.
–Das wiederum hat Konsequenzen sowohl für die Leistungserbringung als auch die Finanzierung der gewährten Leistungen. Fachleistungsstunden, Tagessätze und Pflegesätze sind nur selten unterstützend für passgenaue Hilfearrangements, weil sie der in Geld gegossene Ausdruck einer vorgehaltenen, standardisierten und unabhängig von der jeweils leistungsberechtigten Person entwickelten Hilfeform sind, die häufig die Menschen an die vorhandene Struktur anpasst und sich nicht an ihrer Individualität ausrichtet. Flexible Leistungserbringer, die passgenau und nicht auf der Grundlage festgelegter Stundensätze oder Betreuungsdetails eine flexible Hilfe durchführen, benötigen Pauschalfinanzierungen in Form von Pools, Budgets oder anderen stundenunabhängigen Finanzierungsvarianten, die viel Freiheit lassen für nicht vorhersehbar auftauchende Entwicklungen, die nicht vorab prognostiziert, geschweige denn in Stundenaufwänden prospektiv beschrieben werden können. Auf der Grundlage des in der Phase der Leistungsrahmung vereinbarten Arrangements wird dann ein flexibles Hilfesetting erbracht, das ständig geändert werden kann. Völlig deplatziert sind also im Vorhinein fest vereinbarte Stundenkontingente oder immer wieder neu zu „verschreibende“ vorgehaltene Leistungen, die dann, koste es, was es wolle, auf jeden Fall erbracht oder „an die Person“ gebracht werden müssen.
So weit einige Beispiele dafür, was es heißt, wenn man die inhaltlichen Aspekte des Fachkonzeptes konsequent zu Ende denkt und entsprechende Konsequenzen für Struktur und Finanzierung zieht.
2.Bewährte Strukturelemente
Die Implementation des Fachkonzepts Sozialraumorientierung – in welche Institution auch immer – hat nicht unbedingt zur Voraussetzung, dass konsequent regionalisiert wird, Sozialraumteams eingerichtet werden, mit einem Budget gearbeitet wird, fallunspezifische Arbeit möglich ist oder das Verhältnis zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringer neu justiert wird. Zahlreiche Elemente aus den fünf Prinzipien können als aufklärende und wegweisende Anregung dienen, den eigenen professionellen Alltag zu hinterfragen und zu verändern, auch unter nicht immer günstigen Bedingungen. Dennoch haben wir nach mittlerweile 30 Jahren Erfahrung in der (kürzeren und längeren) Begleitung von Organisationen gelernt, dass sich bestimmte Strukturelemente an den meisten Orten als Organisations- und Finanzierungsrahmen bewähren, der es den Fachkräften erleichtert, nach dem hier vertretenen Konzept zu arbeiten. Dazu zählen
–Finanzierungsformen, die ausdrücklich diejenigen Leistungserbringer „belohnen“, die bereits frühzeitig („präventiv“) ins Leistungsgeschehen einsteigen und während der Leistungserbringung den Fokus darauf richten, Verselbstständigungsprozesse zu unterstützen und zu diesem Zweck die jeweiligen Lebenswelten zu stärken;
–Kooperationsvarianten zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer sowie zwischen den Leistungserbringern untereinander, bei denen das Leistungsgeschehen als gemeinsame Aufgabe betrachtet wird, die auf der Grundlage einer gemeinsamen Fachlichkeit erfüllt wird und nicht dem klassischen Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis entspricht;
–die Bildung von regionalen Steuerungseinheiten, die für alle beteiligten Organisationen (also auch für den öffentlichen Träger) gelten und somit die Grundlage darstellen für die regionale Konzentration von finanziellen und personellen Ressourcen zur Unterstützung von nahräumlichen Arrangements innerhalb der Lebensräume der Menschen;
–eine Aufbauorganisation, die den sozialen Raum zumindest als gleichberechtigte Steuerungsgröße (neben der Steuerung über Fachabteilungen, Immobilien oder Einzelfälle) abbildet und diesbezüglich klare Zuständigkeiten für Leitungsfunktionen beinhaltet.
3.Zur Gestaltung von Reformprozessen
Die seit Ende der 1990er Jahre gewonnenen Erfahrungen aus Reformprozessen in kommunalen Gebietskörperschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigen, dass u. a. folgende Bedingungen hilfreich sind für eine erfolgreiche SRO-Implementierung:
–Grundlage für die Innovation muss ein durchdachtes und überzeugendes Konzept („Vision“) sein, das von glaubwürdigen und engagierten Personen getragen wird, am besten von solchen, die zentrale Entscheidungsträger/innen sind oder die nachhaltigen Einfluss auf solche Entscheidungsträger/innen ausüben können.
–Durch vielfältige öffentliche Diskussionen muss ein unterstützendes fachliches Umfeld geschaffen werden, das den inhaltlichen Rahmen für die Reform bildet. Wer sich dieser fachlichen Debatte entzieht, muss unter starken öffentlichen Begründungsdruck kommen.
–Innovationen funktionieren nicht als Solonummer einzelner Personen, sondern über Allianzen – etwa zwischen Führungskräften und Personalvertretungen, Geschäftsführungen von Verbänden und Politiker/innen, engagierten Fachkräften und Verwaltungsspitzen usw. Derlei Koalitionen werden häufig informell geschmiedet, müssen aber ab einem bestimmten Zeitpunkt öffentlich agieren und eindeutig „Flagge zeigen“.
–Reformprozesse müssen transparent ablaufen. Lenkungsgruppen müssen öffentlich tagen bzw. ihre Beschlüsse zeitnah veröffentlichen, finanzielle Rahmenbedingungen müssen klar benannt und nicht in ein fachliches Mäntelchen gehüllt werden, temporäres Chaos im Prozess (ist kaum vermeidbar!) darf nicht schöngeredet, sondern muss offensiv gemanagt werden, Umwege und evtl. notwendige Kompromisse müssen zeitnah kommuniziert werden.
–Gestützt werden muss eine regionale Reform von politischen Beschlüssen, die möglichst von allen Parteien getragen werden. Eine Reform darf nicht das Anliegen oder gar das Vorzeigestück einer einzigen Partei sein, sondern muss – angesichts regelmäßig wechselnder politischer Mehrheiten – über Parteigrenzen hinweg gemeinsames Anliegen möglichst aller Politiker/innen sein.
–Gerade in größeren Systemen benötigen durchgreifende Reformen klare Kontrakte zwischen den beteiligten Instanzen. Vertrauen ist gut, Kontrakte sind besser. Geschäftsordnungen, Controlling-Verfahren, Prozessvereinbarungen und Zeit-Ziel-Planungen müssen ausgehandelt und schriftlich fixiert werden, sodass sie überprüfbar, korrigierbar und orientierend sind.
–Gezielter