Название | Einführung in die philosophische Ethik |
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Автор произведения | Dietmar Hübner |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846349915 |
Zudem kann jede umrissene Strömung, jede konkrete Ausarbeitung innerhalb der Ethik als eine bestimmte Ethik gelten, so dass der Plural auch von hier aus anwendbar wird: Aristoteles’ Ethik, Kants Ethik oder Mills Ethik, ebenso wie die größeren Formationen Tugendethik, deontologische Ethik oder teleologische Ethik, lassen sich allesamt sinnvoll als verschiedenen ›Ethiken‹ bezeichnen. Entsprechendes gilt in Physik oder Biologie: Newtons Physik und Einsteins Physik sind unterschiedliche ›Physiken‹, taxonomische Biologie und synthetische Biologie sind unterschiedliche ›Biologien‹.
(2) Der Adjektivgebrauch, d.h. die Verwendung des Wortes ›ethisch‹, ist durch die obige Definition stark eingegrenzt. Insbesondere zeigt sich, dass die häufig zu hörenden Wendungen ›ethisches Verhalten‹ bzw. ›unethisches Verhalten‹ unpassend sind.
Das Wort ›ethisch‹ kann zunächst heißen ›in den Gegenstandsbereich der Ethik fallend‹. In diesem Sinne gibt es z.B. ethische Phänomene, ethische Probleme, ethische Fragen etc. Der Gegensatz hierzu wäre mit dem Wort ›nichtethisch‹ zu bezeichnen. Dabei ginge es um Themenkomplexe, mit denen die Ethik eben nicht befasst ist und denen sich stattdessen andere Wissenschaften zuwenden. Beispielsweise wäre es sinnvoll zu sagen: ›Ob moralische Urteile sich primär auf Charaktereigenschaften beziehen, ist eine ethische Frage. Ob schwere Körper immer der Gravitationsgleichung gehorchen, ist eine nichtethische Frage (nämlich eine physikalische).‹
Das Wort ›ethisch‹ kann auch bedeuten ›dem Wissensgebiet Ethik zugehörig‹. Entsprechend ist die Rede z.B. von ethischen Theorien, ethischen Methoden, ethischen Begriffen etc. Den Gegensatz würde man wieder durch das Wort ›nichtethisch‹ ausdrücken. Hierbei handelte es sich um Kenntnisformen, die nicht der Ethik zugehören, sondern anderen Fachdisziplinen. So könnte man etwa sagen: ›Tugendethik ist eine ethische Theorie. Evolutionstheorie ist eine nichtethische Theorie (nämlich eine biologische).‹
Wichtig ist, dass ›ethisch‹ in beiden Fällen wertfrei verwendet wird: Es geht um die Zugehörigkeit zu einem Themenkreis, um die Einordnung in ein Kenntnisfeld (analog zu den Wörtern ›physikalisch‹ oder ›biologisch‹). Diese Wertfreiheit schlägt sich darin nieder, dass der Gegensatz jeweils durch das Wort ›nichtethisch‹ statt durch das Wort ›unethisch‹ ausgedrückt wird: Für das Wort ›unethisch‹, anders als für das Wort ›unmoralisch‹, gibt es überhaupt keine verständliche Anwendung (ebenso wenig wie für die Wörter ›unphysikalisch‹ oder ›unbiologisch‹).
Entsprechend ist ›ethisches Verhalten‹ im Deutschen kein guter Wortgebrauch: Gemeint ist offenbar ein Verhalten, welches einem Normensystem entspricht, das der Sprechende selbst befürwortet. Dafür ist der korrekte Ausdruck aber ›moralisches Verhalten‹. Aus dem gleichen Grund ist ›unethisches Verhalten‹ kein guter Wortgebrauch: Gemeint ist ersichtlich ein Verhalten, welches das Normensystem verletzt, von dem der Sprecher ausgeht. Hierfür ist die richtige Bezeichnung jedoch ›unmoralisches Verhalten‹.
Moral ist ein Normensystem, Ethik ist dessen Reflexion. Moral ist der Gegenstand, Ethik ist die Wissenschaft. ›Moralisch‹ bezieht sich auf die Normebene (der betrachteten Person oder der sprechenden Person), ›ethisch‹ kennzeichnet die Reflexionsebene (ihre Objekte oder ihre Konzepte). ›Moralisch‹ heißt so viel wie ›sittlich‹ (aus jemandes Normen entspringend oder mit den eigenen Normen übereinstimmend), ›ethisch‹ heißt so viel wie ›sittenwissenschaftlich‹ (in jener Reflexion thematisch oder zu jener Reflexion gehörig). Moralische Ansichten sind ethische Themen. Moralische Auffassungen werden mit ethischen Instrumentarien bearbeitet. Damit lassen sich beide Adjektive zwar mitunter auf dieselben Substantive anwenden. Es verbleibt jedoch stets eine Differenz in der Bedeutung, die unterschiedlich ausgeprägt sein kann.
Eine sehr große Differenz findet sich im folgenden Fall: Es ist ein ethisches Problem, ob Tötung unter allen Umständen verboten ist. Entsprechend werden ethische (d.h. sittenwissenschaftliche) Ansätze herangezogen und ethische (d.h. sittenwissenschaftliche) Klassifikationen entwickelt, um diese Frage zu erörtern. Jemand hat ein moralisches Problem, wenn er einen Menschen umgebracht hat. Er wird möglicherweise subjektiv von moralischen (d.h. sittlichen) Schuldgefühlen geplagt, er hat womöglich objektiv eine unmoralische (d.h. unsittliche) Handlung begangen.
Dieser große Unterschied zwischen ›ethisch‹ und ›moralisch‹, trotz ihrer gemeinsamen Anwendung auf dasselbe Substantiv ›Problem‹, ist parallel zu den Unterschieden zwischen ›psychologisch‹ und ›psychisch‹ oder zwischen ›soziologisch‹ und ›sozial‹: Es ist ein psychologisches Problem, ob Prüfungsangst mit dem Geschlecht korreliert, es ist ein soziologisches Problem, inwieweit Außenseiterstatus mit der Hautfarbe zusammenhängt. Entsprechend werden psychologische (d.h. ›seelenwissenschaftliche‹) Projekte betrieben und soziologische (d.h. ›gemeinschaftswissenschaftliche‹) Modelle erarbeitet, um diese Fragen zu klären. Hingegen hat jemand ein psychisches Problem, wenn er unter Prüfungsangst leidet, und jemand hat ein soziales Problem, wenn er einen Außenseiterstatus innehat. Er erfährt subjektives Leid, er weist eine objektive Beeinträchtigung auf, in psychischer (d.h. seelischer) bzw. in sozialer (d.h. gemeinschaftlicher) Hinsicht.
Eine eher geringere Differenz bildet sich in der folgenden Konstellation ab: ›Peter hatte moralische Gründe, auf ein Eingreifen zu verzichten.‹ Dieser Satz besagt, dass aus der Sicht von Peters Moral, und womöglich auch aus Sicht der Moral des Sprechers, einiges dafür sprach, nicht einzugreifen. Das ist vergleichsweise nah am Sinngehalt jener Aussage: ›Peter hatte ethische Gründe, auf ein Eingreifen zu verzichten.‹ Mit diesem Satz wird behauptet, dass die ethischen Aspekte der gegebenen Situation, und zudem vermutlich theoretische Überlegungen ethischer Art, dafür sprachen, nicht einzugreifen.
Diese gelegentliche Nähe von ›ethisch‹ und ›moralisch‹, etwa in ihrer Anwendung auf das Substantiv ›Gründe‹, wurzelt darin, dass Ethiken zuweilen bestimmte Moralen unterstützen oder sogar hervorbringen: Ethische Argumente können einzelne moralische Einstellungen bekräftigen, ethische Theorien können ganze moralische Systeme generieren. Wenn daher etwas ›ethisch gerechtfertigt‹ genannt wird, so wird es sicherlich auch als ›moralisch richtig‹ angesehen. Eine leichte Bedeutungsnuance bleibt aber selbst in diesem Fall bestehen: Während Moral das bloße Vorliegen bestimmter Überzeugungen bezeichnet, meint Ethik die wissenschaftliche Fundierung dieser Überzeugungen. In diesem Sinne geht ›ethisch gerechtfertigt‹ mit einem höheren Anspruch auf kritische Prüfung einher als ›moralisch richtig‹.
(3) Die bisherigen Begriffsbestimmungen geben die vorrangigen Verwendungsweisen von ›Moral‹ und ›Ethik‹ im deutschen Sprachgebrauch wieder. Vorsicht ist angezeigt bei verwandten Wörtern, die sich in anderen Sprachen finden, oder auch angesichts von besonderen Bedeutungstraditionen, die sich im Deutschen herausgebildet haben.
Im Englischen etwa benennt ethics zum einen die akademische Disziplin (wie ›Ethik‹ im Deutschen). Zum anderen aber kann ethics auch ein bestimmtes Normensystem bezeichnen, weitgehend synonym zu den englischen Alternativen morality oder morals (bzw. zum deutschen ›Moral‹). Das Adjektiv ethical zeigt entsprechend manchmal die Ebene der wissenschaftlichen Reflexion, manchmal aber auch die Ebene der unmittelbaren Stellungnahme an (im letzteren Fall gleichbedeutend zum Adjektiv moral). Folglich ist es im Englischen durchaus korrekt, von ethical behaviour oder unethical behaviour zu sprechen (was wesentlich sinngleich zu moral behaviour bzw. immoral behaviour ist).
In das Deutsche und in andere Sprachen ist zudem das griechische ēthos bzw. ethos auch unmittelbar eingewandert, eben in Gestalt des Wortes ›Ethos‹. Darunter versteht man in der Regel eine spezielle Art von Moral, deren Gehalte und Vorschriften besonders prägend für die Identitätsbildung und das Selbstverständnis sind. Ein ›Ethos‹ ist eine oftmals über lange Zeiträume gewachsene und tradierte Moral, die ihre Geltung