Название | Medienwandel |
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Автор произведения | Joseph Garncarz |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846345405 |
Als Quellen werden alle Zeugnisse verstanden, die eine möglichst zeitnahe Auskunft über ein vergangenes Ereignis geben können. Im Unterschied zur Forschungsliteratur liefern Quellen selbst keinen substanziellen Beitrag zur Interpretation der Geschichte. Forschungsliteratur leistet dagegen genau dies; hier werden Ereignisse der Geschichte gedeutet bzw. erklärt. Quellen sind jedoch keineswegs gleichbedeutend mit Fakten – auch Quellen können »lügen«. Jede Quelle bedarf der sorgfältigen Interpretation, wobei zu berücksichtigen ist, wer das Dokument mit welchem Interesse verfasst hat.
Ob ein Dokument als Quelle oder als Forschungsliteratur gilt, kann von der Fragestellung des Forschenden abhängen. Ein Text eines Schriftstellers zum Kinodrama[44] der frühen 1910er-Jahre liefert zweifelsohne eine Interpretationsleistung. Fragt man jedoch diskursgeschichtlich nach der Art, wie das Kino dieser Zeit von Schriftstellern wahrgenommen wurde, so hat ein solcher Text in diesem Zusammenhang den Status einer Quelle.
Es gibt eine große Bandbreite unterschiedlicher Quellen: Unveröffentlichte Quellen wie z. B. Bauakten zu Kinos, Zensurunterlagen jedweder Art, Protokolle von Entscheidungsgremien der Rundfunkanstalten, Geschäftsunterlagen, Nachlässe von Firmen, Einzelpersonen; veröffentlichte Quellen wie zum Beispiel Branchen- oder Fanzeitschriften, Jahresberichte von Firmen oder Werbematerial. In Deutschland finden sich solche Quellen in einer Vielzahl öffentlicher Archive wie zum Beispiel:
Bundesarchiv, Berlin (Akten des Propagandaministeriums, der Ufa u. a.)
Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main (Akten der öffentlichrechtlichen Sender)
Hochschule für Bildende Künste, Berlin (eine Vielzahl von Nachlässen einzelner Künstler)
Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main, und Filmmuseum Berlin (Branchenzeitschriften, diverse Nachlässe u. a. von Paul Kohner, Artur Brauner)
Sie finden viele Quellen – aber längst nicht alle – mittlerweile auch im World Wide Web. Bitte informieren Sie sich über die Präsenz von Quellen etwa auf den Seiten des Deutschen Rundfunkarchivs (www.dra.de) sowie auf den Seiten des Deutschen Filminstituts (www.deutsches-filminstitut.de).
Neben nationalen Archiven sind lokale Archive für die Mediengeschichte von großer Bedeutung. In Stadtarchiven befindet sich oft eine Vielzahl interessanter veröffentlichter und unveröffentlichter Quellen zur lokalen Mediengeschichte wie zum Beispiel:
Lokale Tageszeitungen mit Anzeigen und Berichten
Dokumente zur lokalen Zensurgeschichte
Bauakten zu Kinos, Varietés usf.
Quellen zur Vergnügungssteuer
Kapitel 6 verwendet diverse Quellen aus lokalen Archiven, um das Phänomen des mobilen Kinos der Jahrmärkte in Deutschland um 1900 darzustellen.
[45]Kapitel 13 wertet die Sammlung Paul Kohner aus dem Filmmuseum Berlin systematisch aus, während Kapitel 15 auf allen für die dort behandelte Thematik relevanten Dokumenten aus dem Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main basiert.
Schreiben von Fritz Keller an Ludwig Stössel vom 4. August 1938
(Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin, Sammlung Paul Kohner)
Auszug aus dem Protokoll der Kölner Sitzung der ständigen Programmkonferenz am 13. September 1957
(Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main, ARD-Reg. 6-58)
Für die Frage, in welchem Maß in Deutschland im 20. Jahrhundert Primärquellen zum Film überliefert sind, spielen kulturelle Mentalitäten ebenso eine Rolle wie politische Entwicklungen. Im Unterschied zu den USA, wo große Filmfirmen ihre Aktenbestände Universitäten übergeben haben, gilt in Deutschland die Firmengeschichte als ein zu bewahrendes Geheimnis. Deutsche Filmfirmen haben ihre Akten nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist, die heute zehn Jahre beträgt, daher in aller Regel nicht an öffentliche Archive gegeben. Stattdessen haben die Unternehmen die Akten in der Regel vernichtet, weil sie für die aktuellen Geschäfte keinen Wert mehr hatten und ihre Archivierung daher nur unnötige Kosten verursacht hätte. Die politische Katastrophe des Dritten Reichs stellt sich vor dem Hintergrund dieser Mentalität überlieferungsgeschichtlich als ein »Glücksfall« dar, weil durch die Verstaatlichung von Medienfirmen viele Firmenakten erhalten geblieben sind, die ansonsten – wie viele Akten aus der Nachkriegszeit – mit großer Wahrscheinlichkeit vernichtet worden wären. Die im Besitz des nationalsozialistischen Staates befindlichen Firmenakten gingen nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Deutschen[46] Demokratischen Republik über und sind heute im Wesentlichen über das Bundesarchiv zugänglich.
Alle Fallstudien dieses Buchs basieren auf einem umfangreichen Quellenstudium. Kapitel 9, 12 und 17 sind Beispiele dafür, wie ein tradiertes Wissen durch ein systematisches Quellenstudium revidiert werden kann. Kapitel 9 widerlegt die Annahme, Charles Chaplins Filme seien universell populär gewesen. Kapitel 12 widerlegt die Auffassung, Leni Riefenstahl transportiere mit ihrem Film OLYMPIA primär die nationalsozialistische Ideologie. In Kapitel 17 wird das international favorisierte Modell über die Rolle Hollywoods auf den Auslandsmärkten widerlegt, demzufolge der US-Film seit Mitte der 1910er-Jahre weltweit dominant gewesen sei. Alle Fallstudien bringen die Vorurteile nicht nur zu Fall, sondern setzen überzeugendere Aussagen an ihre Stelle.
Erforscht man ein Medium im Wandel, ist es erforderlich, es nicht zu isolieren, sondern in seiner Interaktion mit anderen Medien zu sehen. Mediengeschichte wurde über Jahrzehnte als Einzelmediengeschichte geschrieben, also ohne andere Medien systematisch mit in die Analyse eines Mediums einzubeziehen. Heute findet man oft das Gegenteil: Eine Mediengeschichtsschreibung, die von Medien handelt, aber Einzelmedien kaum zur Kenntnis nimmt. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist, Mediengeschichte in Bezug auf einzelne Medien wie Film und Fernsehen zu schreiben (denn nur so können Quellen wirklich ausgewertet werden), dabei aber andere Medien mit in die Analyse einzubeziehen, weil diese Funktion und Profil des untersuchenden Mediums mit bestimmen.
Kapitel 15 und 16 zeigen, wie Film und Fernsehen von den 1950er- zu den 1990er-Jahren miteinander interagieren. Zeigt Kapitel 15, wie sich die Mediennutzungsform TAGESSCHAU des Fernsehens in der Auseinandersetzung mit der Kinowochenschau und der Nachrichtensendung des Hörfunks gewandelt hat, so stellt Kapitel 16 dar, wie sich die Institution Kino (neben anderen Faktoren) unter den Bedingungen des immer erfolgreicher werdenden Fernsehens verändert hat.
Darüber hinaus ist es sinnvoll, die kulturellen Referenzsysteme zu reflektieren, indem man eine Medienkultur mit einer anderen vergleicht. Referenzsysteme können unterschiedlicher Art sein: Kultur kann die Kultur einer sozialen Gruppe, einer Generation, einer Stadt, einer Region, eines Landes/einer Nation oder auch die der Welt insgesamt sein.
Oft wählt die Forschung ein Land als Referenzsystem der Kultur, weil dort überwiegend Menschen der gleichen Sprach- und Kulturgemeinschaft leben, die[47] ähnliche kulturelle Praktiken teilen. Am Beispiel von Ländern, in denen die Zusammensetzung der Bevölkerung in einem größeren Maß aus Menschen verschiedener Sprach- und Kulturgemeinschaften bestand, lässt sich ablesen, dass es durchaus aber nicht immer Länder sind, die sich durch eine relative kulturelle Homogenität auszeichnen. Das Beispiel der Tschechoslowakei in den 1930er-Jahren zeigt sehr deutlich, dass die Sprach- und Kulturgemeinschaften der Tschechen, Slowaken, Deutschen usf. starke gemeinsame kulturelle Vorlieben hatten, die sich deutlich voneinander unterschieden. Die Filmpräferenzen der deutschsprachigen Bevölkerung