Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise

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Название Grundlagen der Visuellen Kommunikation
Автор произведения Stephanie Geise
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846324141



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detaillierte Analyse der unterschiedlichen Einflussfaktoren bei der Gestaltung der Bilder ist.

      Das 3. Stratum, der Rezeptionskontext, schließlich ist die komplexeste aller drei Ebenen. Denn hier überschneiden sich häufig die sieben idealtypischen Produktionskontexte mit ihren Rezeptionspendants. Dies ist auch der Grund, warum das Instrumentarium der Datengenerierung im Rezeptionskontext zusätzlich auf standardisierte bzw. experimentelle Methoden, die häufig aus der Psychologie adaptiert werden, zurückgreifen muss, um neben den bewussten Bildbedeutungen, die über Fragebögen, Interviews, RTR-Messung u. ä. zu ermitteln sind, auch die eher unbewussten Wahrnehmungs- und Bedeutungsdimensionen erschließen zu können, beispielsweise über Eyetracking (vgl. dazu ausführlich: Geise 2011b, 2014; Geise/Schumacher 2011) oder psychophysiologische Verfahren (vgl. Müller/Kappas/Olk 2012 sowie Kapitel 5).

      Innerhalb der Bildgestalten lassen sich wiederum unterschiedliche »Bildfamilien« bzw. Bildarten identifizieren. Diesen »Sonderfällen des Bildes« ist gemein, dass sie zwar tendenziell einer der Bildformen und den ihr entsprechenden Produktions- und Rezeptionskontexten zuzuordnen sind, aber nicht exklusiv auf diese Ebene begrenzt sind. Das Porträt beispielsweise, bei dem nur eine Person (seltener auch ein Objekt) dargestellt wird, und für das die Ähnlichkeit zwischen Dargestelltem und Original ursprünglich konstitutiv war (vgl. Seidl 1998), entspricht historisch gesehen der Bildform Malerei (bzw. als plastische Darstellung der Skulptur). Insofern lässt sich das Porträt in der ursprünglichen Bedeutung auch über die Art und Weise seiner Darstellung beschreiben und wäre in der Terminologie Gombrichs damit ein man-made image, während der heutige (deutsche) Porträtbegriff auch auf Fotos aus einem Passbildautomaten zutrifft – solange diese den Anspruch der Wiedererkennbarkeit des Originals auf dem Abbild erfüllen. Von besonders aktuellem Interesse sind in dieser Hinsicht die »Profilbilder«, die millionenfach täglich auf Soziale Netzwerkseiten, wie beispielsweise FACEBOOK, hochgeladen werden. Hier wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen »vom Menschen« und »von Maschinen gemachten Bildern« hinfällig ist. Um Porträts handelt es sich in jedem Fall (vgl. Abb. 11, S. 48). Zudem bietet das Internet die Möglichkeit zum »Bildkommentar«. Allseits verfügbare Software zur Bildmodifikation macht die Veränderung des »Originals« durch denselben oder andere Nutzer zu einem Kinderspiel (vgl. Abb. 12, S. 50). Die Frage nach »Original« und »Kopie« ist insofern kontrovers und stellt die Visuelle Kommunikationsforschung vor neue Herausforderungen.

      Bis heute werden die Begriffe Porträt und Bildnis (bzw. deren »Spezialtypen« Selbst-Porträt und Selbst-Bildnis) in der kunsthistorischen Tradition, in der das Porträt traditionell ein zentrales Sujet darstellt (vgl. Köstler 1998: 9), weitgehend synonym verwendet (vgl. Trnek 2004). In ihrer Blütezeit im 16. Jahrhundert waren Porträts keine Selbstverständlichkeit. Mit dem Recht auf Anfertigung und Ausstellung des eigenen Porträts waren politische und soziale Machtansprüche verbunden. Es wundert daher nicht, dass der Anspruch einer möglichst wirklichkeitsgetreuen individualisierenden Abbildung seit der Spätantike sukzessive verdrängt wurde, zunächst durch typisierende und idealisierende Repräsentationsbildnisse, die die Porträtierten über eine entsprechende Darstellung bzw. Ausstattung einer bestimmten, oft auch intendierten, sozialen Position zuwiesen (vgl. Schneider 2002). Spätestens mit der »Erfindung« der modernen Malerei im 19. Jahrhundert wurde dieser Kanon dann auch um die Idee einer subjektiv treffend charakterisierenden Wiedergabe bzw. um einen explizit gestalterisch-schöpferischen Aspekt ergänzt. Das »moderne« Porträt ist in seiner Darstellung nicht mehr auf die Wiedererkennbarkeit fixiert, sondern kann auf die Wiedergabe der subjektiven Sicht des Betrachters bzw. Künstlers fokussieren, was, wie etwa bei Pablo Picasso auch die Integration abstrakter Formen erlaubt. Diese zunehmende Formenvielfalt hat einerseits dazu geführt, dass Fragen nach der Ausdrucksstärke, Funktion, Authentizität oder Wirkung insgesamt stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken (vgl. exemplarisch: Schneider 2002; Trnek 2004).

      In die Zeit des 19. Jahrhunderts fällt auch der Bedeutungswandel des Begriffs Repräsentation (vgl. Müller 1997a: 23–40). War der Begriff im Englischen und im Französischen ursprünglich ein Synonym für das Wort »Bild«, so verselbständigte er sich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker und entwickelte sich zu einem Überbegriff, der nicht nur den visuellen Darstellungsprozess, sondern auch die Repräsentation im politischen Raum, d. h. das politische Handeln Einzelner stellvertretend für eine politische Einheit, bezeichnete. Diese Doppeldeutigkeit von »Repräsentation« schwingt auch heute noch mit. Mit »Repräsentation« wird zum einen die konkrete, materielle Repräsentation im Sinn einer visuell reproduzierenden Darstellung bezeichnet, zum anderen die abstrakte, immaterielle Repräsentation im Sinn einer Stellvertretung für eine Idee oder für Personen. Repräsentation lässt sich insofern als komplexer Prozess charakterisieren, der auf mehreren Ebenen verläuft und der eine materielle und eine immaterielle Komponente hat. Repräsentation bedeutet so immer zugleich die Vergegenwärtigung von etwas Nicht-Gegenwärtigem, Abwesendem sowie die Darstellung oder die Abbildung konkreter Personen oder Objekte. Hier spiegelt sich das Abbild-Denkbild-Phänomen wider. Auch für den Begriff der »Repräsentation« gilt im Rahmen der Visuellen Kommunikationsforschung, was für den Begriff »Bild« festgestellt wurde: Sowohl die materiellen als auch die immateriellen Aspekte der Repräsentation sind Teil Visueller Kommunikationsforschung. Sie beginnt jedoch zunächst bei den konkreten, materiellen Aspekten des Repräsentationsprozesses. Die Fragestellung kann sich, muss sich aber nicht auf den immateriellen Teil von Repräsentation beziehen. Im Fall einer weitgefassten Fragestellung werden die Repräsentationen bzw. Abbilder als Quellen für die Erforschung der Denkbilder benutzt. Eine enggefasste Fragestellung bezieht sich lediglich auf die Abbilder und beispielsweise die Erforschung ihrer Entstehungsbedingungen.

      Die Idee der Repräsentation hat eine besondere Bedeutung für die Bildfamilie der Ikonen. Ikonen sind im ursprünglichen Sprachgebrauch transportabele Darstellungen von Heiligen (seltener auch von biblischen Szenen), die religiös bzw. kultisch verehrt werden. Wie auch in der »Legenda Aurea«, einer mittelalterlichen Sammlung von Heiligenlegenden, exemplarisch für eine Osterprozession von Gregor dem Großen mit einer Marienikone beschrieben, wird den Ikonen eine übernatürliche, mitunter heilende Kraft unterstellt:

      »Als ob die Pest das Angesicht des Bildes fürchtete, wich sie zurück und in der nunmehr gereinigten Luft hörte man Engelsstimmen singen […] Und auf einmal sah man über der Festung des Crescentius einen Engel des Herrn, der ein blutbeflecktes Schwert säuberte und es in die Scheide steckte. Gregor verstand, dass die Pest ein Ende hatte und so war es auch« (de Voragine 1490).

      Laut »Legenda Aurea« war es das Bild selbst, das wirkte und die Luft reinigte; die Ikone wurde besonders im byzantinischen Kulturkreis nicht nur als Abbild der dargestellten Heiligen gesehen, sondern als deren unmittelbare Repräsentation, weshalb man davon ausging, dass die Verehrung, die der Ikone entgegengebracht wurde, direkt auf die dargestellte, verehrte Person überging. Der Begriff »Ikone« umschreibt insofern eine konkrete Bildfunktion sowie auch den Rezeptionskontext des Heiligenbildnisses. Die Verehrung der Ikonen wurde und wird oft im Rahmen aufwendiger Prozessionen vollzogen.

      Die (pseudo-)religiöse Verehrung von Bildern spielt auch im politisch-säkularen Bereich eine Rolle, wo sie zu einer, oftmals intendierten, Verhaltensmobilisierung führen kann. Ähnlich dem traditionellen Heiligenbild werden dann Porträts politischer Führer, besonders im Kontext von Kriegen und Konflikten, zu Heiligen stilisiert, wie dies etwa bei Osama Bin Laden (Abb. 13, S. 51) der Fall war. Auch bei politischen Demonstrationen und Kundgebungen finden neben Textplakaten häufig Porträts besonders verehrter Führungsfiguren oder verstorbener »Helden« Verwendung, um an deren Mythos zu erinnern oder diese für die eigene Botschaft zu instrumentalisieren.