Название | Geschichte des frühen Christentums |
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Автор произведения | Markus Öhler |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846347379 |
Das Heiligtum selbst wie auch die gesamte Anlage wurden von Herodes dem Großen seit 20/19 v. Chr. zu einer der prächtigsten Kultstätten des Mittelmeerraums ausgebaut. So nennt etwa Plinius der Ältere Jerusalem „die berühmteste Stadt des Ostens“ (vgl. nat. hist. 5,70). Angeführt vom amtierenden Hohepriester vollzogen Priester und Leviten aus 24 Klassen im Turnus den Kult. Dessen korrekte Durchführung war von so hoher Bedeutung, dass sich wegen Streitigkeiten über den richtigen Ablauf u. a. die Gemeinschaft, auf die die Qumranschriften zurückgehen, vom Jerusalemer Tempel trennte (s. u. 3.2.3). Schon deutlich früher hatten sich die Samaritaner u. a. wegen des Anspruchs Jerusalems, allein die Wohnstätte Gottes zu beherbergen, von Israel getrennt (s. u. 3.3).
(Die wirtschaftliche Bedeutung des Tempels)
Der Tempel war aber nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein wichtiger Faktor für die Jerusalemer Bevölkerung. Nicht nur die Pilger sind hier zu nennen, sondern auch die Jahrzehnte dauernden Bauarbeiten, die Funktion des Tempelgeländes als Marktplatz und als durch heiliges Recht geschützte Bank. Die Zerstörung dieses zentralen Elements judäischer Identität im Jahr 70 n. Chr. bedeutete daher einen Einschnitt in der Geschichte des antiken Judentums (s. u. 3.5.1).
(Der Tempel im frühen Christentum)
Die Ereignisse um Jesu Tod und Auferstehung sowie das Entstehen der ersten Gemeinschaften von Christusgläubigen banden die Geschichte des frühen Christentums von Beginn an an die Stadt Jerusalem und den Tempel als ihr religiöses Zentrum. So unterschiedliche Texte wie die Paulusbriefe, die Apostelgeschichte, der Hebräerbrief und die Johannesapokalypse zeigen, dass die Stadt und ihr Heiligtum, wenngleich in einer von der realen Situation losgelösten Weise, weiterhin wichtige Punkte waren, an denen sich frühchristliche Identitätsbildungen orientierten (Gal 4,25f.; Röm 15,19; Apg 1,8; Hebr 12,22; Apk 21,10).
3.1.4 Jüdische Identitäten im Diskurs
(Zugehörigkeit zum judäischen Volk)
Für das antike Judentum war die Zugehörigkeit zum erwählten Volk durch mehrere Faktoren bestimmt, die in der Tora festgelegt waren: die Abstammung von Abraham bzw. Jakob/Israel, die Beschneidung der männlichen Mitglieder des Volkes, die Einhaltung von Bestimmungen zu Reinheit, Speisen, Sabbat und weiteren Festen sowie die Verheiratung innerhalb des Volkes (Endogamie). In der Diaspora war auch die Zugehörigkeit zu einer Synagoge ein wichtiges Element judäischer Identität.
Allerdings ist gegen jede Generalisierung dieser verschiedenen Identitätsmerkmale einzuwenden, dass ihre Gewichtung unterschiedlich ausgeprägt war bzw. nicht alle Faktoren von jedem Judäer und jeder Judäerin für gleich wichtig gehalten wurden. So zeigt der Streit über eine Annäherung an Gesetze und Kultur anderer Völker, wie er in 1Makk 1,11–15 dargestellt wird, dass über die Bedeutung einzelner Identitätsfaktoren heftig gestritten wurde. Das schließt auch ein, dass die Festlegung judäischer Identität jeweils unterschiedlich vorgenommen wurde. Manche Elemente waren zudem aus der Außenperspektive besonders auffällig, während andere lediglich für einzelne Gruppen innerhalb des Judentums von großer Wichtigkeit waren.
Karte 2: Der Jerusalemer Tempel
(Beschneidung / Speiseregeln / Sabbat / Endogamie)
Ein paar Beispiele zeigen eindrücklich die unterschiedliche Gewichtung von Identitätsmerkmalen in verschiedenen Kontexten durch die jeweiligen Handlungsträger: Im Zuge der Hellenisierung im 3. Jh. v. Chr. stand etwa die Beschneidung zur Disposition, die aus griechisch-römischer Perspektive als barbarisch eingeschätzt wurde (vgl. 1Makk 1,48.60; 2,45–48; Philo, migr. 89–94). Ähnliche Diskussionen wurden auch über die Beachtung von Speiseregeln geführt, die in der Praxis am schwierigsten einzuhalten waren (2Makk 6,18; 7,1; Arist. 184; Josephus, c. Ap. 2,173f.; vgl. Tacitus, hist. 5,5,1f.). Die in der Jesustradition überlieferten Streitigkeiten über die Umsetzung des Sabbatgebots spiegeln die unterschiedlichen Perspektiven darauf wider (Mk 2,23–3,6; vgl. Sueton, Aug. 76,2). Die Bedingung, nur Angehörige des eigenen Volkes zu heiraten (Num 25,6–8; vgl. Tacitus, hist. 5,5,5), wurde in persischer Zeit nachdrücklich eingeschärft (vgl. Esr 9f.). Immer wieder wurden solche Verbindungen zwischen Juden und Nicht-Juden scharf verurteilt, sodass wahrscheinlich ist, dass sie – in welcher Häufigkeit, lässt sich nicht sagen – durchaus vorkamen. Das zeigt sich in unterschiedlichen Schriften des frühen Judentums, sowohl bei solchen aus einem griechisch geprägten Kontext (Arist. 139; Philo, spec. leg. 3,29; Josephus, ant. 8,192) als auch bei Schriften radikaler Randgruppen (vgl. Jub 30; 4QMMT [396] Frg. 2 col.ii 4–11). Das bekannteste Paar waren in dieser Hinsicht Drusilla, die Schwester Agrippas II., und der römische Prokurator Felix (Apg 24,24; Josephus, ant. 20,142f.; vgl. Apg 16,1).
(Abstammung)
Die Ansicht, dass ethnische Identität durch Abstammung festgelegt wird, war in der Antike nicht allein maßgeblich. Das wird z. B. daran erkennbar, dass im 1. Makkabäerbuch die griechischen Spartaner aus politischen Gründen zu Verwandten der Judäer gemacht werden (1Makk 12,20–23). Auch die heute im Judentum gültige Ableitung jüdischer Herkunft von der Mutter galt nicht immer, wie die zahlreichen genealogischen Angaben des Alten Testaments (z. B. 1Chron 1–9) oder auch zu Jesus (Mt 1; Lk 3) erkennen lassen, in denen die Väter die Zugehörigkeit zum Volk Israel bestimmen. Erst ab dem 2. Jh. n. Chr. wurde dies, offenbar als Verarbeitung der Versklavungen und Vergewaltigungen im Zusammenhang der judäischen Aufstände, auf die mütterliche Linie geändert (mQid 3,12). Dass die genealogische Herkunft aber nicht als allein entscheidendes Kriterium galt, zeigen auch jene Fälle, in denen entweder Judäer ihre judäische Identität aufgaben – wie z. B. Tiberius Alexander (s. u. S. 74) – oder Nicht-Judäer als Proselyten Teil des Volkes wurden (s. u. 3.8).
(Streit um judäische Identität)
Die gesellschaftliche Abgrenzung zu Nicht-Juden bei Mählern, öffentlichen Spielen oder in Vereinigungen war ein andauernder Diskussionspunkt innerhalb des antiken Judentums. Überliefert sind dazu etwa unterschiedliche Ansichten des Josephus (ant. 15,267–276) und des Philo (ebr. 20–26.177; prob. 26.141; prov. 58). In rabbinischen Texten wurden aktive und passive Teilnahme an Theateraufführungen und Wettkämpfen kritisch gesehen (tAZ 2,5–7; bAZ 18b). Die Bedeutung des Tempels stand bereits bei den Propheten zur Debatte (Am 5,21–23; Jes 1,10–17), die Qumranschriften dokumentieren eine deutliche Distanz zum vorfindlichen Kult (CD 5,6–13; 6,11–19; 1QpHab 12,8f.). Im ägyptischen Leontopolis stand sogar ein eigener JHWH-Tempel, der erst 71 n. Chr. von den Römern geschlossen wurde. Auch die Vorstellung der Vereinbarkeit von judäischer Identität mit anderen Kulten lässt sich an einigen wenigen Zeugnissen erkennen (IJO I Ach45; IJO II 21).
Die ethnische Identität der Judäer war also nicht fixiert durch ein unumstößliches Set von Identitätsmerkmalen, sondern umstritten und veränderbar. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass es nicht nur unterschiedliche Formen von Judentum in der Antike gab, sondern dass sich diese auch gegenseitig die judäische Identität absprachen. Dies geschah nicht nur im Hinblick auf christliche Gemeinden, sondern ebenso gegenüber anderen Gruppen. Vor allem in frührabbinischer Zeit wurde dies verstärkt betrieben, wie der Fluch gegen die Minim („Ketzer“) im 18-Bitten-Gebet, dem Schemone Esre, zeigt (s. u. S. 271).
3.2 Gruppen innerhalb des Judentums in Judäa und Galiläa
Vor allem aus den Schriften des Josephus, aber auch aus den Evangelien, von Philo von Alexandrien sowie aus den Texten, die in Qumran gefunden wurden, lassen sich verschiedene Gruppierungen innerhalb des Judentums in Judäa und Galiläa rekonstruieren. Josephus selbst beschreibt sie mehrfach, u. a. in ant. 13,171–173:
„Um diese Zeit gab es bei den Judäern drei Schulen, welche über die menschlichen Verhältnisse verschiedene Lehren aufstellten, und von denen eine die der Pharisäer, die zweite die der Sadduzäer und die dritte die der Essener hieß. Die Pharisäer behaupten, dass manches, aber nicht alles das Werk des Schicksals sei, manches dagegen auch freiwillig geschehe