Название | Einführung in die Publizistikwissenschaft |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846321706 |
Aufzeigen von Handlungs- und Entwicklungsalternativen
Kommunikations- und medienhistorisches Bewusstsein ruft Handlungs- und Entwicklungsalternativen in Erinnerung, was die Gegenwart (aber auch die Vergangenheit) zwar als komplex, aber zumindest teilweise als gestaltbar erscheinen lässt. Damit öffnen sich Freiräume für Reformgedanken oder Gegenentwürfe;•
Lernprozesse fördern
Aus der Analyse erfolgreicher und gescheiterter Entwicklungen lassen sich Lehren für aktuelle Probleme ziehen. Lernprozesse können damit gefördert werden.
Der Kommunikations- und Mediengeschichte stellt sich die spezifische Aufgabe, die umfangreichen publizistikwissenschaftlichen Teilergebnisse zu konsistenten Entwicklungslinien zu verdichten und in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge einzubetten. Mit der Analyse historischer Dokumente oder der Befragung von Zeitzeugen („oral history“)
Integration von Einzelergebnissen
können weitere Informationsquellen erschlossen werden. Die Bandbreite möglicher Umsetzungsformen reicht von der chronologischen Ordnung „harter“, datierbarer Fakten zu einzelnen publizistischen Persönlichkeiten oder Medienorganisationen bis hin zur „histoire totale“, die als Gesellschaftsgeschichte Kontinuitäten und Umbrüche von Kommunikationsstrukturen in langfristiger Perspektive untersucht.
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1.1 Kommunikationsgeschichte
Kommunikatorrollen und Kommunikationsformen
Den Gegenstand der Kommunikationsgeschichte bilden alle Formen von Kommunikation zwischen Menschen (Humankommunikation)–also Kommunikation, die direkt unter Anwesenden stattfindet oder indirekt durch Medien vermittelt wird. Einen wesentlichen Aspekt der Kommunikationsgeschichte bildet die Ausdifferenzierung spezifischer Kommunikationsrollen: Kommunikatorrollen wie beispielsweise jene des Priesters, des Erzählers oder Moderators sowie Rezipientenrollen wie jene des Theaterbesuchers, Lesers oder Radiohörers liefern erste Hinweise auf die historische Entwicklung gesellschaftlicher Kommunikationsstrukturen.
Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich beschäftigt sich mit der Entwicklungsgeschichte menschlicher Kommunikationsformen. Ihr ist zu entnehmen, dass die modernen Kommunikationsmedien wie Fernsehen oder Internet Urformen der Kommunikation wie beispielsweise den Dialog oder die Erzählung in sich aufnehmen und umformen. Die unterschiedlichen Darstellungsformen von publizistischen Kommunikationsangeboten werden in den Sprach- und Publizistikwissenschaften als „Textsorten“ bezeichnet und kategorisiert (vgl. Saxer 1999a). Aus historischen Vergleichsstudien kann erschlossen werden, ob, wann und inwiefern Massenkommunikationsmedien innovative Kommunikationsformen entwickeln bzw. entwickelt haben–beispielsweise die grossen Reportagen in den Illustrierten nach dem Ersten Weltkrieg oder das Radiohörspiel in den 1920er-Jahren.
1.2 Mediengeschichte
Geschichte der durch Medien vermittelten Kommunikation
Die Mediengeschichte umfasst als Teilgebiet der Kommunikationsgeschichte jene Kommunikation, die mithilfe von Medien zustande kommt. Die durch Medien vermittelte Kommunikation kann an eine breite Öffentlichkeit gerichtet, oder aber nur kleinen Teilöffentlichkeiten bzw. Einzelpersonen zugänglich sein.
Was unter den Forschungsgegenstand der Mediengeschichte fällt, hängt direkt vom verwendeten Medienbegriff ab. Eine starke Eingrenzung des Forschungsgegenstandes bringen jene Definitionen, die
Massenmedien regeln öffentliche Kommunikation
Medien als ein technisches Mittel verstehen, mit dem sich Aussagen an ein potenziell unbegrenztes Publikum verbreiten lassen. Sie führen |80◄ ►81| zu einer Reduktion auf die durch die Druckpresse hergestellten Massenmedien wie das Buch oder die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Presse und die modernen Kommunikationsmedien wie Radio, Film und Fernsehen. Nicht unter den Begriff der Massenmedien fallen demnach u.a. die mittelalterliche Massenproduktion von Manuskripten nach Diktat in Schreibwerkstätten und all jene Kommunikationsformen, die im öffentlich zugänglichen Raum stattfinden (vgl. Luhmann 1996: 11).
Medien regeln private und öffentliche Kommunikation
Eine Einschränkung der Mediengeschichte auf die Massenmedien ist jedoch zu eng. Mehr Erkenntnisgewinn ermöglicht die nachfolgende Definition von Medienkommunikation, die den soziologischen Aspekt der Rollenteilung zwischen Kommunikator und Rezipient in den Vordergrund rückt: Medienvermittelte Kommunikation unterscheidet sich von anderen Kommunikationsformen insbesondere darin, dass keine direkte oder lediglich eine stark geregelte Interaktion zwischen Kommunikator und Rezipient vorgesehen ist. Bei Medien mit Präsenzpublikum –szenischen Medien wie öffentliche Reden oder Theateraufführungen beispielsweise–erfolgt die Regelung bzw. Beschränkung der Interaktion über gesellschaftliche Konventionen, die für eine stabile Rollenteilung zwischen Kommunikator und Publikum sorgen.
2 Systematisierung des Forschungsgegenstandes: Strukturen und Analyseebenen
Kommunikations- und Mediengeschichtsforschung ist eine vergleichende Wissenschaft: Kontinuitäten und Wandel lassen sich nur
Zeitlicher Vergleich von Strukturen
im zeitlichen Vergleich mehrerer Momentaufnahmen bestimmter „Zustände“–beispielsweise der Wettbewerbssituation in der Medienbranche –empirisch erschliessen. Verglichen werden meist Strukturen, wobei ganz unterschiedliche Strukturbegriffe verwendet werden. Der
Vielfältiger Strukturbegriff
Beschreibung materieller Objekte wie technischer Einrichtungen liegt häufig ein Strukturbegriff zugrunde, der die Plan- und Regelmässigkeit in Aufbau, Gefüge oder Bauart eines bestimmten Gebildes bzw. seiner Teile erfassen möchte (vgl. Schäfers/Titscher 2002: 577f.). In ähnlicher Weise werden weitere für die Kommunikations- und Mediengeschichte bedeutsame Strukturen beschrieben: so die geologischen und topografischen Beschaffenheiten von Kommunikationsräumen (beispielsweise|81◄ ►82| hinsichtlich der Ausbreitung von Radiowellen), alle Arten von „Infrastrukturen“ (beispielsweise hinsichtlich der Transportmöglichkeiten von Zeitungen) oder auch Bevölkerungsstrukturen (beispielsweise Alphabetisierungsrate) usw. In soziologischer Perspektive dient der Strukturbegriff nicht nur der Beschreibung bestehender–historisch gewordener–sozialer „Gebilde“, sondern auch der Analyse von Handlungs- bzw. Entscheidungsgrundlagen hinsichtlich zukünftiger Prozesse. In diesem Sinne lassen sich historische Kommunikationsstrukturen als Erwartungs- bzw. Entscheidungsstrukturen verstehen (vgl. Abbildung 1).
Unterschiedlich abstrakte Analyseebenen
Kommunikationsstrukturen können auf unterschiedlich abstrakten Analyseebenen untersucht werden: Sie sind analytisch fassbar auf der Ebene gesellschaftlicher Funktionssysteme, als Strukturen von Organisationen oder bei einzelnen Menschen, die vielfach Träger formalisierter Rollen sind, aber auch ganz persönliche Eigenschaften (Präferenzen, Erwartungen usw.) aufweisen (vgl. Abbildung 1).
Wie sich gesellschaftliche Funktionssysteme begreifen lassen, wird nachfolgend am Beispiel des Einflusses der Wirtschaft auf die Massenmedien kurz illustriert: Das Wirtschaftssystem funktioniert als wichtiges Teilsystem der Gesellschaft nach ganz bestimmten Regeln und Normen (Systemlogik), die in einem Spannungsverhältnis zu jenen anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme (Politik, Massenmedien, Recht, Wissenschaft, Religion, Erziehung, Kunst u. a.) stehen können (vgl. die Ausführungen zur Systemtheorie im Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.). Auf der Ebene einzelner Organisationen werden solche Spannungen zwischen unterschiedlichen Systemlogiken konkret beobachtbar. Für einen Grossteil der Medienorganisationen stellt sich beispielsweise laufend die Frage, ob sie in die journalistische Qualität investieren oder die Gewinnausschüttung an die Shareholder erhöhen sollen. So bildet das Spannungsverhältnis zwischen den Funktionslogiken des Medien- und Wirtschaftssystems einen Kernaspekt der Kommunikatorgeschichte (vgl. Requate 1995: 19ff.; McManus 2009).