Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie. Ingo Pies

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Название Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie
Автор произведения Ingo Pies
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783846345757



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Firma als Manager per Arbeitsvertrag (gegen einen Marktpreis) zur Verfügung stelle, sei vielmehr eine Frage |144|der Transaktionskosten. Insofern liege auch bei dieser zweiten Position eine Ausblendung der relevanten Alternativen und darauf aufbauend ein Fehlschluss vor: „[T]he fact that certain people have better judgment or better knowledge does not mean that they can only get an income from it by themselves actively taking part in production. They can sell advice or knowledge.“[225]

      Die dritte Position, mit der sich Coase kritisch auseinandersetzt, betrifft die Bedeutung des Verlaufs der Produktionskosten für ein Verständnis empirisch beobachtbarer Firmengrößen. Ausgehend von der Annahme, dass eine Firma jeweils nur ein Produkt herstelle, wird in der zeitgenössischen Literatur ein ansteigender Verlauf der Produktionskosten dafür verantwortlich gemacht, dass Firmen nur eine endliche Größe aufweisen. An dieser Auffassung kritisiert Coase, dass die zugrunde liegende Annahme der Einproduktunternehmung die tatsächlich relevanten Alternativen und damit die für das Problemverständnis entscheidende Frage verdecke. Zu fragen sei nämlich, warum eine Firma, die mit steigenden Produktionskosten konfrontiert ist, nicht auf andere Produkte ausweicht und die Herstellung zusätzlicher Güter in ihr Programm aufnimmt. Die Antwort auf diese Frage sieht Coase in den für das Firmenwachstum tatsächlich relevanten Kosten, und er verweist darauf, dass es sich bei diesen Kosten nicht um Produktionskosten, sondern um Transaktionskosten handelt: „To determine the size of the firm, we have to consider the marketing costs (that is, the costs of using the price mechanism) and the costs of organizing of different entrepreneurs, and then we can determine how many products will be produced by each firm and how much of each it will produce.“[226]

      Insgesamt ist es also stets der gleiche Einwand, den Coase gegen die diversen Positionen erhebt: dass die in der Literatur vorfindlichen Überlegungen einer verfehlten Problemstellung folgen und dass eine Theorie der Firma erst dann vorliegt, wenn mit dem ökonomischen Instrumentarium der Marginalanalyse nach den relevanten Alternativen für die organisatorische Abwicklung von Transaktionen und nach den hierbei jeweils anfallenden Transaktionskosten gefragt wird.

      2. Der Aufsatz „The Marginal Cost Controversy“ (1946)

      Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit dem Problem des natürlichen Monopols und mit der – für Coase: unbefriedigenden – Bearbeitung dieses Problems durch die Wohlfahrtsökonomik. Die Argumentation lässt sich in drei Schritten rekonstruieren. Erstens skizziert Coase die in der zeitgenössischen Literatur dominierende Auffassung, derzufolge ein natürliches Monopol mit Hilfe von steuerfinanzierten |145|Subventionen so reguliert werden sollte, dass es sein Produkt zu Grenzkostenpreisen vertreibt. Zweitens weist er darauf hin, dass bei dieser Auffassung eine relevante und sogar überlegene Alternative außer acht gelassen worden ist, und drittens schließlich führt er aus, dass nach erfolgter Erweiterung des Blickfeldes die in der Literatur für eindeutig gehaltene Überlegenheit von Grenzkostenpreisen gegenüber Durchschnittskostenpreisen nicht länger fraglos akzeptiert werden kann.

      (1) Grenzkostenpreise weisen die allgemein wünschenswerte Eigenschaft auf, die Nachfrager mit genau jenen Kosten zu belasten, die für die Produktion der zuletzt hergestellten Einheit des gekauften Gutes tatsächlich anfallen. Sie sorgen damit für eine Angleichung der marginalen Zahlungsbereitschaft und der marginalen Produktionskosten und ermöglichen so eine an den gesellschaftlichen Knappheitsverhältnissen orientierte Entscheidung über die marginale Einschränkung bzw. die marginale Ausdehnung der Produktion. – Im Spezialfall des natürlichen Monopols besteht nun allerdings die Besonderheit, dass die gesamte Marktnachfrage (N) von einem einzigen Anbieter kostengünstiger als durch mehrere Anbieter bedient werden kann (Abb. 2).

      Abbildung 2:

      Grenzkostenpreis im natürlichen Monopol

      Aufgrund dieser Besonderheit wird im Bereich sinkender Durchschnittskosten produziert, d.h. im Bereich links vom Durchschnittskostenminimum, so dass die Grenzkosten (GK) stets unter den Durchschnittskosten (DK) liegen. Dadurch entsteht das Problem, dass der mit dem Grenzkostenpreis (pG) verbundene Umsatz die Gesamtkosten nicht deckt. Vielmehr entsteht eine Deckungslücke, d.h. ein Verlust. Dieser soll – so die wohlfahrtsökonomische Vorstellung – durch steuerfinanzierte Subventionen ausgeglichen werden. Der zum Verlustausgleich benötigte Subventionsbetrag entspricht dem grauen Rechteck in Abb. 2.

      (2) Coase macht nun geltend, dass die wohlfahrtsökonomische Auffassung zur Regulierung natürlicher Monopole aus einem Vergleich von Grenzkostenpreisen und Durchschnittskostenpreisen resultiert und dass dieser Vergleich auf einem unangemessen verengten Blickwinkel beruht.

      |146|Im natürlichen Monopol führen Durchschnittskostenpreise zu einem Gewinn in Höhe von null (Abb. 3). Da hier kein Verlust entsteht, erfordern sie also keinen staatlichen Eingriff, um den monopolistischen Anbieter anzuregen, die entsprechende Menge bereitzustellen. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht sind sie dennoch mit einem Problem behaftet. Dieses besteht darin, dass nun nicht, wie im Fall der Grenzkostenpreise, die Menge xG angeboten wird, sondern lediglich die geringere Menge xD. Da die Nachfrager nicht mit den in der Produktion tatsächlich anfallenden Zusatzkosten, sondern mit einer höheren, auch einen Fixkostenanteil enthaltenden Preisforderung (pD) konfrontiert werden, sind ihre marginalen Anpassungsentscheidungen ‚verzerrt‘. Folglich fragen sie weniger als die pareto-optimale Menge xG nach. Deshalb, so Coase, befürwortet die zeitgenössische wohlfahrtsökonomische Literatur eine Regulierungslösung, die das natürliche Monopol auf Grenzkostenpreise festlegt. Er sieht hierin der Tendenz nach ein Argument ex negativo: Grenzkostenpreise, so seine Vermutung, werden befürwortet, weil Durchschnittskostenpreise aus allokativen Gründen abgelehnt werden.

      Abbildung 3:

      Grenzkostenpreis versus Durchschnittskostenpreis im natürlichen Monopol

      Vor diesem Hintergrund nun wendet Coase ein, dass bei diesen Überlegungen eine relevante Alternative übersehen wird, eine Alternative jenseits von Grenzkosten- oder Durchschnittskostenpreisen. Coase verweist auf die Option eines „multi-part pricing“. In der Tradition der deutschsprachigen Finanzwissenschaft würde man dies als einen gespaltenen Tarif bezeichnen: als eine Kombination von Beiträgen und Gebühren. Der Grundgedanke dieser Option besteht darin, eine Nutzungsgebühr in Höhe der Grenzkosten zu verlangen und den dabei entstehenden Verlust durch Beiträge zu decken, die nicht von der Gesamtheit der Steuerzahler, sondern ausschließlich von der Gemeinschaft der Nutzer aufzubringen sind. Es handelt sich also um eine Vereins- oder Clublösung, in der die fixen Kapazitätskosten über Beiträge und die variablen Nutzungskosten über Gebühren finanziert werden.

      |147|In einer vergleichenden Betrachtung stellt Coase sodann mehrere Aspekte heraus, die aus seiner Sicht für einen gespaltenen Tarif und damit zugleich gegen reine Grenzkostenpreise sprechen. Zu diesen Aspekten gehört, dass die staatliche Subventionierung von Grenzkostenpreisen den Steuerzahlern eine Leistung abnötigt, für die viele von ihnen keine Gegenleistung erhalten, während ein gespaltener Tarif dem Äquivalenzprinzip folgt und nur jene belastet, die das zu finanzierende Gut auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Für besonders wichtig jedoch hält Coase eine – ihrerseits ebenfalls wohlfahrtsökonomische – Überlegung. Sie besagt, dass Grenzkostenpreise im natürlichen Monopol zu allokativen Verzerrungen führen, obwohl sie doch genau solche Verzerrungen eigentlich vermeiden helfen sollen. Die Argumentation lautet wie folgt.

      Auf einem normalen Markt produzieren konkurrierende Unternehmen im Bereich steigender Durchschnittskosten. Hier gilt: DK < GK. Deshalb erzielen sie Gewinne, auch wenn sie durch Wettbewerb gezwungen sind, ihre Preisforderungen auf das Niveau der Grenzkosten zurückzunehmen. Unter solchen Bedingungen stellen Grenzkostenpreise sicher, dass knappe Ressourcen in ihre produktivste Verwendung wandern. Dies gilt zum einen für jene Ressourcen, die in die Produktion der letzten gerade noch hergestellten Gütereinheit Eingang finden. Es gilt zum anderen für jene Ressourcen, die für den Aufbau der Produktionskapazität verwendet werden. Da die Grenzkosten im hier relevanten Bereich über den Durchschnittskosten liegen, signalisiert die Bereitschaft der Nachfrager, Grenzkostenpreise zu bezahlen, eine Gesamtvorteilhaftigkeit