Einführung Ernährungspsychologie. Johann Christoph Klotter

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Название Einführung Ernährungspsychologie
Автор произведения Johann Christoph Klotter
Жанр Документальная литература
Серия PsychoMed compact
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846355282



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letzten Jahrhunderts herausgearbeitet hat, dass die soziale Lebenslage einen bedeutsamen Einfluss auf die Art des Essens hat. Und sie stellen fest, dass dies auch auf das Großbritannien von heute zutrifft. Flemmen und Hjellbrekke (2018) kommen für Norwegen zum selben Schluss. In Kanada kaufen arme Familien günstig ein, weil es nicht anders geht, aber sie wissen, dass es bessere Lebensmittel gibt. Die Wohlhabenden erwerben eben diese (Beagan et al. 2016). Ärmere Menschen essen mehr Fleisch, nicht weil sie mehr Hunger haben, sondern aus Statusgründen, die symbolische Bedeutung von Fleisch wird verzehrt (Chan/Zlatevska 2018). Fleisch steht in der gesamten Menschheitsgeschichte für Überleben, Wohlstand und Macht (Mellinger 2000). Das sich ausbreitende alternative Essen wie Vegetarismus und Veganismus wird hingegen von den besser Gestellten bevorzugt. Essen stellt also im Sinne Bourdieus ein Mittel der sozialen Distinktion dar, ein Mittel der sozialen Abgrenzung (Paddoch 2016).

      Hurrelmann (2002, 15f) gibt eine umfassende Definition der Sozialisation: „Sozialisation bezeichnet […] den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt. Sozialisation ist die lebenslange Aneignung von und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, insbesondere den körperlichen und psychischen Grundmerkmalen, die für den Menschen die ‚innere Realität‘ bilden, und der sozialen und physikalischen Umwelt, die für den Menschen die ‚äußere Realität‘ bilden.“

      Wichtig in dieser Definition ist der Umstand, dass Sozialisation nicht auf Anpassung an Realität reduziert wird. Sozialisation ist lebenslängliche aktive Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt. In diesem Abschnitt soll nun weniger der aktiven Auseinandersetzung nachgegangen werden, sondern ihrem Gegenteil: dem prägenden Einfluss der Sozialisation auf das Ernährungsverhalten.

      Kinder entwickeln sich zu gesünderen Menschen, wenn sie unter förderlichen Bedingungen aufgewachsen sind, wenn der sozioökonomische Status der Eltern relativ hoch ist und wenn hinreichend emotionale Zuwendung vorhanden ist (Siegrist 2003; Fiesea et al. 2012; Andersona 2012).

      Auch die Ernährung ist von entscheidender Bedeutung. Und Ernährung ist mehr als biologische Nahrungsaufnahme. „Food is an interaction not an object.“ (Eagleton, zit. n. Belton 2003, 2) Um etwas die Schärfe aus diesem Zitat herauszunehmen: Nahrungsaufnahme ist eingebettet in Interaktion, sie ist untrennbar verbunden mit Interaktion. Die kleinen Kinder essen das, was ihre Eltern essen. Sie mögen die Lebensmittel, die die Eltern besonders gerne konsumieren.

      ungesunde Esskultur

      Mielck (2000) nimmt an, dass die Kinder aus den unteren Schichten die ungesunde Ernährungsweise ihrer Eltern regelrecht lernen. Kinder reproduzieren die Esskultur, die ihnen die Eltern vorleben. Wenn die Mahlzeiten stumm vor dem Fernseher eingenommen werden, dann kopieren die Kinder diese Verhaltensweisen. Mit zunehmendem Alter schwinden die elterlichen Einflüsse, das Ernährungsverhalten wird dann z. B. auch durch gleichaltrige Jugendliche bestimmt. Aber im Sinne des Klassikers von Bourdieu (1987) ist anzunehmen, dass es zwar möglich ist, die Einflüsse der Eltern zu reduzieren, dass es aber prinzipiell sehr schwer ist, dem spezifischen Lebensstil der sozialen Schicht, der man entstammt, zu entkommen.

      Der Zusammenhang zwischen Sozialisation und Ernährung lässt sich bezüglich der Adipositas so knapp umreißen: Kinder, die in nicht intakten Familien aufwachsen, haben ein siebenfach erhöhtes Risiko, eine Adipositas zu bekommen (Petermann/Häring 2003).

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      Zum Zusammenhang zwischen Sozialisation und Ernährungsverhalten wurden zahlreiche Studien durchgeführt. Einige sollen nun vorgestellt werden.

      ● Hays et al. (2001) haben eine Feldforschungsstudie an mexikanischamerikanischen Müttern durchgeführt, um herauszufinden, welche sozialisatorischen Einflüsse Mütter auf das Ernährungswissen und Essverhalten von Kindern haben können. Sie ermittelten, dass ein nicht direktiver, erklärender und partizipatorischer Erziehungsstil der Mütter das Ernährungswissen der Kinder verbessert.

      ● Patrick et al. (2005) stellten fest, dass ein bestimmter und entschlossener Erziehungsstil positiven Einfluss auf den Konsum von Früchten und Gemüse bei Kindern hat. Dagegen erzielt ein unterwerfender, Gehorsam verlangender Erziehungsstil diesbezüglich negative Effekte.

      Erziehungsstil

      Die Befunde von Hays et al. (2001) und Patrick et al. (2005) lassen sich dahingehend bündeln, dass weder Gleichgültigkeit noch autoritärer Erziehungsstil zu gesundem Ernährungsverhalten der Kinder führen. Vielmehr scheinen sich Kinder dann gesund zu ernähren, wenn sie ein entschlossenes Anliegen der Eltern spüren, ohne sich allerdings diesem Anliegen blind unterwerfen zu müssen. Entscheidend ist auch, dass gesunde Ernährung nicht zum Dogma erhoben wird.

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      Weitere Studien zum Zusammenhang von Sozialisation und Ernährungsverhalten belegen Folgendes:

      ● Roos et al. (2001) konnten einen starken Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau in Haushalten und dem Konsum von rohem Gemüse ermitteln: Je höher das Bildungsniveau, umso höher war auch der Konsum von rohem Gemüse. Die Schulleistungen hatten ebenfalls einen starken Einfluss auf diesen Konsum. Wer gute Schulleistungen hatte, aß viel Gemüse.

      ● In einer Längsschnittstudie untersuchten Lake et al. (2004), wie sich Personen ihr verändertes Essverhalten im Zeitraum von der Jugend bis zum Erwachsenenalter erklären. Die Veränderungen wurden zugeschrieben dem Einfluss der Eltern, des Partners, der Kinder, dem Ernährungsbewusstsein, der Beschäftigung und dem Mangel an Zeit. Der Einfluss der Eltern wurde sowohl als positiver als auch als negativer, dem man entkommen muss, erlebt. Für Männer, die eine Partnerschaft eingingen, war der Einfluss der Partnerin auf das Essen tendenziell ein positiver.

      ● Hannon et al. (2003) ermittelten, dass die Person, die in einem Haushalt das Essen zubereitet, sehr großen Einfluss auf das Essverhalten des Ehepartners und der Kinder hat. Nimmt diese Person viel Gemüse und Obst zu sich, so tun dies auch der Partner und die Kinder. Isst diese Person viel Fett, so essen auch Partner und Kinder viel Fett. Verstärkt wird dieser Einfluss, wenn viele Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden.

      ● Nicklaus et al. (2005) schreiben der Kindheit einen wesentlichen Einfluss auf das spätere Essverhalten zu. In einer prospektiven Studie verfolgten sie die Entwicklung kleiner Kinder bis in das junge Erwachsenenalter. Wer als zwei- bis dreijähriges Kind eine freie Auswahl von Lebensmitteln treffen durfte, ernährte sich als Jugendlicher oder als junger Erwachsener abwechslungsreich und damit gesund.

      ● Groele et al. (2018) stellen fest, dass der Obstkonsum der Mütter den der Kinder stark beeinflusst.

      ● In einer Metaanalyse kommen Yee et al. (2017) zum Schluss, dass die Verfügbarkeit von Lebensmitteln im Haushalt und die Eltern in ihrer Vorbildfunktion am stärksten mit dem Essverhalten der Kinder korreliert sind, und zwar sowohl mit dem gesunden, als auch mit dem ungesunden. Wenn die Schüssel mit den Keksen immer vorhanden ist, und wenn die Eltern die ganze Zeit Kekse naschen, dann tun dies die Kinder auch.

      Eigensinn der Disziplinen

      Es liegt in der Eigenart vermutlich jeglicher wissenschaftlicher Disziplin, einen bestimmten Forschungsgegenstand für die eigene Disziplin zu reklamieren. Für die Medizin oder die Oecotrophologie ist die Nahrungsaufnahme überwiegend ein körperlicher Vorgang. Die Psychologie möchte geltend machen, dass psychische Variablen eine entscheidende Rolle spielen können. Die Soziologie will die sozialen Dimensionen der Ernährung herausstellen. Sie wendet sich gegen Modelle, die entweder soziale Merkmale gar nicht berücksichtigen oder – wie das von ihr angeprangerte biokulturelle