Название | Studieren und Forschen mit Kind |
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Автор произведения | Annette Caroline Cremer |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846348772 |
Dieser Ratgeber ist gedacht für Betroffene und Interessierte aller akademischen Statusgruppen, besonders aber für Studierende und Promovierende, für Eltern und die, die es werden (wollen). Der ersten Gruppe will er Entscheidungshilfe und Wegbegleiter sein und zugleich eine praktische Unterstützung anbieten. Der zweiten Gruppe, also denen, die Eltern werden wollen oder sich aus beruflichen oder wissenschaftspolitischen Gründen für das Thema der Vereinbarkeit von Studium und Familie interessieren, will der Ratgeber einen Einblick in die Herausforderung der Doppelbelastung und die strukturellen Bedingungen des Arbeitsfeldes Universität ermöglichen.
Mit Kind zu studieren, zu promovieren und zu habilitieren, ist kein leichtes Unterfangen. Wer postuliert, die Vereinbarkeit sei „kein Problem“, der betreibt Augenwischerei und tut dies vermutlich aus Gründen der Political Correctness. Denn was gewollt ist, muss auch machbar sein. Fast alle, die mit Kind an der Universität studieren oder forschen – und damit in einem System, das einen hohen Grad an Flexibilität fordert, ohne zugleich Sicherheit zu bieten –, betonen in der Öffentlichkeit die Machbarkeit. Hinter vorgehaltener Hand jedoch werden zugleich immer Zweifel an der Vereinbarkeit und Probleme aufgrund der hohen Belastung laut. Zweifel und Belastung steigen mit der Anzahl der Kinder, mit der fehlenden finanziellen Versorgung und der Beschaffenheit der sozialen Situation, in der sich die Mutter oder die Eltern befinden.
1.3 Die Konkurrenz um die Ressource Zeit
Der zentrale Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Familie und den Anforderungen der Universität dreht sich um die Ressource Zeit. Stand vor dem ersten Kind noch die Ausbildung oder das Forschen und Lehren an erster Stelle, konkurrieren nun Familie und Universität um Priorisierung und um den größtmöglichen Anteil an der Lebenszeit von Mama und Papa, von Student/in und Forscher/in. Während jedoch das Kind ein bedingungsloses Anrecht auf die Aufmerksamkeit der Eltern hat, drängen existenzielle Notwendigkeiten oder auch der Wunsch nach Selbstverwirklichung die Eltern gleichzeitig zu Studium oder zu Forschung und Lehre.
Trotz der bestehenden Unterschiede in den Anforderungen der einzelnen Qualifikationsstufen ähneln sich die grundlegenden strukturellen Bedingungen von Studium, Promotion, Habilitation und Professur. In Studium und Wissenschaft müssen sich Eltern mit Nichteltern als Kollegen und Kolleginnen vergleichen, denen weit mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. Eltern sind weniger flexibel, fallen öfter aus, brauchen mehr Zeit für vergleichbare Leistungen und sind meist älter als die Studierenden/Promovierenden oder Habilitierenden ihrer Vergleichsgruppe. Betroffene haben oft den Eindruck, ‚dreimal so gut‘ sein zu müssen, um für potenzielle Arbeitgeber ihr Manko der Inflexibilität wettzumachen. Der Erfolgsdruck und die Belastung können dadurch sehr hoch werden.
Die Krux und der einzige Weg, Familie und Studium/Wissenschaft für alle zufriedenstellend und erfolgreich zu bewältigen ohne dabei in eine Überforderungsspirale zu gelangen, liegt in einer bewussten Priorisierung und einer effektiven Arbeitsorganisation. Die dem Buch zugrunde liegende Idee ist die tatsächliche Vereinbarkeit von Studium/Wissenschaft und Familie. Dies bedeutet, der Familie den gebührenden Platz einzuräumen und die Anforderungen von Studium und Forschung in den wechselnden Lebensphasen der Kinder auf ein pragmatisch-handhabbares Niveau zu bringen.
Die Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, dass Eltern nicht in signifikant höherem Maß zu den Studien- oder Promotionsabbrechern, jedoch überproportional zu Wissenschaftsaussteigern gehören. Das bedeutet, dass die Vereinbarkeit mit dem zunehmenden Druck als schwierig eingeschätzt wird.
Eltern arbeiten meist effizient, sind diszipliniert und zielorientiert. Trotzdem sind für das Gelingen von Studium, Promotion und Forschung mit Kind verschiedene Faktoren ausschlaggebend. Dazu gehören eine sichere finanzielle Grundversorgung in jeder Phase, ein stabiles soziales Umfeld, gesicherte Kinderbetreuung und eine verständnisvolle akademische Unterstützung. Trotz der Gleichstellungsbemühungen existiert nach wie vor ein eklatanter Unterschied zwischen Müttern und Vätern, da alte Rollenmuster noch greifen und die Mütter meist die Hauptsorge für das Kind tragen und damit weniger Zeit für ihr Studium und ihre Forschung aufwenden können. Die Ausbildungsförderung von Frauen in der Wissenschaft ist dank der Bemühungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommen worden. Besonders die Frauenförderpläne, das Professorinnenprogramm zur Erhöhung des Anteils von Frauen in der Forschung, aber auch die Exzellenzinitiativen als Best-Practice-Beispiele und nicht zuletzt der eingangs erwähnte demografische Wandel und die wachsende Kinderlosigkeit der Bildungseliten haben in diesem Zusammenhang zumindest zu einer Sensibilisierung gegenüber dem Themenfeld „Wissenschaft und Familie“ geführt.[1]
1.4 Universität mit Kind in Deutschland
Im Wintersemester 2015/16 studierten 2.757.799 Personen (davon 1.323.673 Frauen) an 426 Hochschulen, davon 107 Universitäten in Deutschland.[2]
Die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigt, dass aktuell 5% der Studierenden in Deutschland ein Kind bzw. mehrere Kinder haben, also knapp 138.000 Personen. Während 50% der Eltern verheiratet sind und 32% in einer festen Partnerschaft leben, sind 18% alleinstehend. Der große Unterschied zwischen Studierenden mit und ohne Kind ist der Altersunterschied: Studierende Eltern sind durchschnittlich 31 Jahre alt und damit fast acht Jahre älter als die kinderlose Vergleichsgruppe.[3]
Deutlich höher ist der Anteil der Eltern bei der Gruppe der Promovierenden. Im Wintersemester waren in Deutschland 196.200 Studierende zur Promotion eingeschrieben.[4] Durchschnittlich 15% der Doktorand/innen – und damit mehr als 29.000 – sind Mütter oder Väter (vgl. Kap. 5).
Im Jahr 2016 schlossen laut Statistischem Bundesamt 1.581 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Habilitation ab, davon entfielen 30% (481) auf Frauen. Im Vergleich dazu waren es noch vor zehn Jahren nur 22%. Das Durchschnittsalter lag dabei bei 41 Jahren, wobei Frauen geringfügig älter waren als Männer.[5]
Im wissenschaftlichen Mittelbau ließ sich für das Jahr 2005 am Beispiel von Nordrhein-Westfalen zeigen, dass 78% der Nachwuchswissenschaftlerinnen sowie 71% der Nachwuchswissenschaftler kinderlos waren (Auferkorte-Michaelis 2006). Zum Vergleich: Der Mikrozensus 2006 wies bei Frauen mit Hochschulabschluss in der Altersgruppe der 40–47-jährigen in den westdeutschen Bundesländern eine ‚nur‘ ca. 34-prozentige Kinderlosigkeit aus (21,5% in den ostdeutschen Bundesländern).[6] Die Kinderlosigkeit in der Wissenschaft war zu diesem Zeitpunkt damit eklatant höher als in anderen akademischen Berufszweigen. Leider liegen keine aktuellen, flächendeckenden Daten zur Mutter- oder Vaterschaft dieser Personengruppe vor.
Für das Jahr 2015 verzeichnet das Statistische Bundesamt 4.689 C4-Professuren (also höchstdotierte Stellen) in Deutschland, von denen nur 536 (11,4%) von Frauen besetzt sind. Unter allen anderen Professuren (Juniorprofessuren, W2) entfallen von insgesamt 46.344 Stellen 10.535 (22,7%) auf Frauen. Auch wenn der Frauenanteil nach wie vor schockierend gering ist, lässt sich verglichen mit dem prozentualen Anteil im Jahr 1990/91 von nur 2,6% C4-Professorinnen und 5,5% C3-Professorinnen (Macha/Paetzold, Identität, 123) immerhin ein deutlicher Anstieg nachweisen. Eine empirische Studie zur Kinderlosigkeit und Elternschaft der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an den nordrhein-westfälischen Universitäten zeigte anhand eines landesweiten Samples von C3- und C4-Inhabern/Inhaberinnen 2004 eine Kinderlosigkeit in beiden Gruppen von Professorinnen von 57,7% (im Vergleich dazu nur 24,1% Kinderlosigkeit bei Professoren).[7] Obwohl die Elternschaft von Professorinnen (und Professoren) bislang nicht bundesweit erhoben wurde, darf angenommen werden, dass maximal die Hälfte aller Professorinnen zugleich Mütter sind.
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