Название | Soziologische Kommunikationstheorien |
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Автор произведения | Rainer Schützeichel |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846344699 |
Zum Schluss dieser Einleitung stellen wir noch die Familie Schmidt vor. Herr und Frau Schmidt sind diejenigen Kommunikationspartner, auf die wir in unseren Darstellungen immer wieder zurückkommen, um bestimmte exemplarische Situationen oder Fälle zu analysieren.
1 Soziologie der Kommunikation
Die moderne Gesellschaft wird als eine Mediengesellschaft, Kommunikationsgesellschaft oder Informationsgesellschaft bezeichnet. Die Bedeutung der Massenmedien wächst stetig, die Alltagswelt wird immer stärker von den Massenmedien durchdrungen. Diese wirken nicht nur in die Tiefe, sondern auch globalisierend in die Breite und können selbst – man denke an die Paralyse der realsozialistischen Länder – riesige Reiche ins Wanken bringen. Die durchdringende Mediatisierung und Kolonialisierung unseres Alltagslebens durch die neue Kommunikationsform Internet ist offensichtlich – mit noch nicht absehbaren Folgen. Und bei zwischenmenschlichen Problemen wird uns von sämtlichen Experten empfohlen, man solle doch miteinander reden. Für alle von uns spielen die Möglichkeiten, kompetent an den gesellschaftlichen Kommunikationsformen teilzuhaben, eine immer größere Rolle. Wir sind von den ersten Schuljahren an mehr oder weniger dazu gezwungen, uns in fremden Sprachen zu üben und sie zu erlernen. Bilingualität wird allmählich zum Ausbildungsstandard in vielen Berufen. Die kommunikative Kompetenz, die richtige kommunikative Dramaturgie und Inszenierung stellen einen enorm wichtigen Selektionsfaktor für unsere Karrieren dar. Dies bezieht sich nicht nur auf unsere sprachlichen Potenziale, sondern auch auf die Fähigkeit, in anderen Zeichen- und Kommunikationssystemen eine, wie man heutzutage sagt, adäquate Performanz zu bieten. Man denke beispielsweise an Zugehörigkeit zu Gruppen und zu Lebensstilen, die wir durch unseren Körper, unser Outfit und insbesondere durch unsere Kleidermoden kommunizieren. Wir reden und hören, schreiben und lesen, sehen fern oder lassen uns musikalisch in einer erstaunlichen Permanenz berieseln – wann eigentlich kommunizieren wir in unserem alltäglichen Leben nicht?
Diese oberflächlichen Indizien mögen genügen, um auf die enorme Relevanz von Kommunikation für das Leben in modernen Gesellschaften hinzuweisen. In dieser Hinsicht ist Kommunikation in all ihren verschiedenen Formungen und Differenzierungen ein zentrales Objekt der soziologischen Forschung über die Bedingungen und Strukturen der modernen Gesellschaft. Kommunikation nimmt dabei durchaus ambivalente Züge an. Die Veränderungen der Kommunikationsformen werden einerseits für den radikalen Wandel verantwortlich gemacht, dem sich die moderne Gesellschaft ausgesetzt sieht, sie werden andererseits aber auch gerade als Lösung für das von ihr hervorgerufene Problem angesehen – nur in und durch Kommunikation und nicht mehr in festen, allseits akzeptierten Werten, Normen oder uniformen Kulturen scheinen sich moderne Gesellschaften in einer fragilen Weise integrieren zu können.
Zum anderen tritt aber Kommunikation in all ihren Formen und Ausprägungen nicht nur als ein zu erforschender Sachverhalt in den Blickpunkt der Soziologie, sondern mehr und mehr auch als ein zentraler Leitbegriff der soziologischen Theoriebildungen. Manche Wissenschaftler sprechen schon seit Längerem von einem ›communicative turn‹ (vgl. Knoblauch / Luckmann 2000, Knoblauch 2000) in der Soziologie. Sie denken beispielsweise an die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas, an die soziologische Systemtheorie von Luhmann und selbstverständlich auch an ihren eigenen sozialphänomenologischen Ansatz. Diese Ansätze rücken Kommunikation in den Mittelpunkt ihrer Theoriebildung. Die Soziologie ist bekanntlich sehr reich an Kontroversen über Theoriebildungen, über ihre Erkenntnisziele und ihre Grundbegriffe. Und so ist der communicative turn vorläufig der letzte in einer längeren Reihe von turns, die sie in den letzten Jahren ereilt haben, angefangen von einem ›linguistic turn‹ in den 1980er-Jahren über den ›cultural turn‹ in den 1990er-Jahren. Es mag dahingestellt sein, ob man wirklich von einer kommunikativen Wende sprechen kann. Mit guten Gründen ließe sich argumentieren, dass ›Kommunikation‹ der Sache nach schon immer im Zentrum der Soziologie gestanden hat. Aber man darf vermuten, dass die postulierte kommunikative Wende in keinem zufälligen Zusammenhang mit den Veränderungen der Gesellschaft steht. Sowohl als Objekt wie als zentraler Begriff soziologischer Theorien genießt ›Kommunikation‹ also eine erhöhte Aufmerksamkeit.
Kommunikation ist natürlich auch Gegenstand anderer Wissenschaften. Eine Disziplin, die Publizistik oder Kommunikationswissenschaft, manchmal auch Medienwissenschaft genannt, hat insbesondere die Massenmedien wie Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen zu ihrem Thema. Von besonderer Relevanz ist natürlich die Linguistik, insbesondere die Soziolinguistik. Diese weist eine hohe Affinität zur Soziologie der Sprache auf, wobei die Übergänge zwischen beiden Disziplinen durchaus fließend sind. Beide befassen sich mit den sozialen Bedingungen und sozialen Konsequenzen sprachlichen Verhaltens und sprachlicher Kompetenzen. Eine enge Beziehung besteht auch zu der Lehre von den Zeichen, der Semiologie oder der Semiotik, die im vorletzten Jahrhundert als moderne Wissenschaft gleich zweimal begründet wurde – von dem Philosophen und Logiker Charles Sanders Peirce und von Ferdinand de Saussure als dem Ahnherrn der modernen Linguistik. Auch die Geschichtswissenschaften werden in Gestalt einer Mediengeschichte mehr und mehr auf die Bedingungen und die Folgen der verschiedenen Formen menschlicher Kommunikation für die Analyse historischer Verläufe und Entwicklungen aufmerksam (vgl. Faßler / Halbach 1998, Schanze 2001). Medien werden in den letzten Jahren zum Kristallisationskern eines neuen wissenschaftlichen Trends, der den Titel ›Kulturwissenschaft‹ trägt. Zu dieser können insbesondere geisteswissenschaftliche Disziplinen wie die verschiedenen Philologien, Kunst- und speziellen Kulturwissenschaften gerechnet werden. Die Psychologie befasst sich mit den psychischen Voraussetzungen für die Teilnahme an und den psychischen Folgen von Kommunikation. In den Erziehungswissenschaften werden neue pädagogischer Felder erfunden und erforscht, beispielsweise die Medienpädagogik oder neue Bildungstechnologien. Und schließlich ist die Philosophie, insbesondere die Sprach- und neuerdings auch die Medienphilosophie (vgl. Hartmann 2000), als eine wichtige Nachbardisziplin zu nennen.
In der Soziologie ist die Analyse von Kommunikation auf eine Vielzahl von verschiedenen Subdisziplinen aufgeteilt. Zu diesen gehört beispielsweise die Sprachsoziologie (vgl. Cicourel 1978, Schütze 1975), die sich mit den verschiedenen Sprachformen in ihren kommunikativen Verwendungsweisen, mit dem Verhältnis von Sprache, Wissen und Kultur oder der sprachlichen Kompetenz von Sprechern befasst. In dem Gebiet der sozialen Semiotik finden sich Soziologie und die Wissenschaft von den Zeichen, die Semiologie oder Semiotik, zusammen, um die verschiedenen Zeichensysteme in ihren sozialen Kontexten zu untersuchen. Eine weitere Sparte stellt die mikrosoziologische Analyse von Interaktionen dar. Sie befasst sich mit der mündlichen Kommunikation in so genannten Face-to-Face-Beziehungen. Die bedeutendste und bekannteste Interaktionssoziologie liegt in dem Werk von Erving Goffman (vgl. Goffman 1971) vor. Als Kommunikationssoziologie wird in der Soziologie häufig die Subdisziplin bezeichnet, die sich mit den sogenannten Massenmedien befasst. Sie untersucht die Produktions- und Rezeptionsweisen von Verbreitungsmedien wie Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen. Mit den neuen, sogenannten digitalisierten Kommunikationsmedien wie dem Internet beschäftigt sich zudem die sogenannte Techniksoziologie wie auch allgemein die Kultursoziologie.
Daneben gibt es zahlreiche andere Einzelforschungen und Einzeldiskurse, die sich mit spezifischen Themen auseinandersetzen. So interessiert sich einer der berühmtesten Soziologen, Georg Simmel, beispielsweise für den Brief, das Schreiben von Briefen und sozialen Konsequenzen, die damit verbunden sind, dass Menschen einander Briefe schreiben (vgl. Simmel (1908 / 1992: 429–433). Andere Soziologen befassen sich mit Gesellschaften, in denen es keine oder Schrift gab. Diese so genannten oralen Kulturen mussten ihr soziales Leben und ihren kognitiven Haushalt völlig anders strukturieren und organisieren als Schriftkulturen oder gar Gesellschaften wie unsere heutige Gesellschaft, die auf digitale