Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Название Soziologische Kommunikationstheorien
Автор произведения Rainer Schützeichel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846344699



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(vgl. Schütze 1975) verwiesen.

      Eine wichtige Stellung in der Phalanx der verschiedenen Ansätze nimmt die schon erwähnte und dargestellte Ethnografie des Sprechens ein, wie sie von Hymes und Gumperz (vgl. Kap. 5) herausragend repräsentiert wird. Die Ethnografie des Sprechens setzt eine pragmatische Sprachauffassung in der Soziolinguistik durch. Das Sprechen selbst wird als soziales Handeln, als eine soziale Praxis thematisiert, Sprache als ein Interaktionsmedium, in welchem Sprecher auf der Basis von geteilten Normen und kulturellem Wissen ihre sozialen Beziehungen ordnen.

      Und schließlich ist als weiterer Meilenstein die Konversationsanalyse zu nennen, der wir ein eigenes Kapitel widmen. Ihr Interesse gilt den Konstruktionen sozialer und kommunikativer Ordnung im Vollzug von alltäglichen und institutionellen Konversationen, die eine unaufhebbare Indexikalität aufweisen und die Sprecher und Hörer deshalb dazu zwingen, sich durch ein entsprechendes ›accounting‹ verstehbar zu machen.

      Diesen sprachsoziologischen oder soziolinguistischen Ansätzen ist trotz ihrer Heterogenität die Auffassung gemeinsam, dass Sprache eine soziale Entität darstellt, die in ihrem Gebrauch zu studieren ist. Sie wenden sich gegen solch idealisierte Auffassungen von der Sprache, wie sie etwa in der die Linguistik dominierenden Transformationsgrammatik von Chomsky (1992) zu Grunde gelegt wird. Die Sprache besteht der Soziolinguistik zufolge nicht aus eindeutigen und einheitlichen phonetischen, syntaktischen und lexikalischen Strukturen, sondern aus variablen Komponenten, die in ihrer sozialen Bedingtheit zu erfassen sind.

      Ziehen wir zum Abschluss dieses Kapitels ein kurzes Resümee im Hinblick auf eine soziologische Kommunikationstheorie. Diese kann angesichts ihrer umfassenden Ansprüche sich nicht auf eine hermeneutische Position, also eine Position des Verstehens oder der Interpretation beschränken. Sie kann sich auch nicht, wie manche sprachphilosophischen Theorien, vornehmlich auf den Sprecher, den vermeintlichen Produzenten von kommunikativen Akten reduzieren. Und sie kann sich auch nicht allein auf das Medium der Sprache konzentrieren. Eine soziologische Kommunikationstheorie muss alle drei Komponenten aufeinander beziehen. Die Hermeneutik, die Linguistik, Sprachphilosophie und Semiotik stellen in kommunikationssoziologischer Hinsicht gleichsam Prototheorien dar. Sie rücken nur einen Aspekt des kommunikativen Geschehens in den Vordergrund. Entweder befassen sie sich, wie die Hermeneutik, mit dem Verstehen. Oder sie setzen am Pol des Sendens an, fragen also nach den kommunikativen Kompetenzen eines Sprechers. Oder sie untersuchen vornehmlich den Kanal, die Botschaft, den Code oder allgemeiner das Medium der Kommunikation, die Zeichen und die Sprache. Diese einflussreichen theoretischen Strömungen abstrahieren also von dem Kommunikationsprozess als solchem und spezialisieren sich auf gewisse Aspekte. Die Soziologie hingegen strebt eine integrale, alle Komponenten des Kommunikationsprozesses umfassende Theorie an.

      Lektüreempfehlungen:

       Sprachwissenschaftliche und sprachwissenschafilicher Klassiker, die einen großen Einfluss auf die Soziologie haben, sind:

      Bühler, Karl (1934 / 1982): Sprachtheorie. Jena 1934 (zit. nach dem Neudruck: Karl Bühler: Sprachtheorie. Stuttgart, New York 1982).

      Humboldt, Wilhelm von (1835 / 1994): Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. In: ders.: Schriften zur Sprachphilosophie (Werke in 5 Bänden, Bd. 3). Darmstadt.

      Hymes, Dell (1981): Die Ethnographie des Sprechens. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. 5. Aufl. Opladen, S. 338-456.

      Saussure, Ferdinand de (1967): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin. (2. Aufl.)

       Theoriegeschichtliche Grundlagen der Soziologie, Sprachphilosophie und Sprachtheorie präsentieren:

      Grewendorf, Günther (1995): Sprache als Organ, Sprache als Lebensform. Frankfurt am Main.

      Krämer, Sybille (2002): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen? Frankfurt am Main.

      Schneider, Wolfgang Ludwig (1994): Die Beobachtung von Kommunikation. Zur kommunikativen Konstruktion sozialen Handelns. Opladen.

      Schneider, Wolfgang Ludwig (2002): Grundlagen der soziologischen Theorie. 2 Bände. Wiesbaden.

       In die Medien- und Kommunikationssoziologie führen ein:

      Badura, Bernhard / Gloy, Klaus (Hg.) (1972): Soziologie der Kommunikation. Stuttgart, Bad Cannstatt.

      Faßler, Manfred (1997): Was ist Kommunikation? München.

      Ludes, Peter (2001): Mediensoziologie. In: Helmut Schanze (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte. Stuttgart, S. 119–139.

      Neumann-Braun, Klaus / Müller-Doohm, Stefan (Hg.) (2000): Medien- und Kommunikationssoziologie. Eine Einführung in zentrale Begriffe und Theorien. Weinheim, München.

      Rommerskirchen, Jan (2014): Soziologie & Kommunikation. Theorien und Paradigmen von der Antike bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Springer VS.

       Klassiker der Kommunikationsforschung stellen die Werke des Biologen, Psychologen und Kommunikationsforschers Gregory Bateson dar:

      Bateson, Gregory (1996): Ökologie des Geistes. 6. Aufl. Frankfurt am Main.

      Bateson, Gregory / Ruesch, Jürgen (1995): Kommunikation: Die soziale Matrix der Psychiatrie. Heidelberg.

       Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft liegt vor in:

      Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Wien, Köln, Weimar.

      Lenke, Nils / Lutz, Hans-Dieter / Sprenger, Michael (1995): Grundlagen sprachlicher Kommunikation. München.

      Sottong, Hermann / Müller, Michael (1998): Zwischen Sender und Empfänger: eine Einführung in die Semiotik der Kommunikationsgesellschaft. Bielefeld.

       Einführungen in die Semiotik oder Semiologie stellen dar:

      Keller, Rudi (1995): Zeichentheorie. Tübingen, Basel.

      Volli, Ugo (2002): Semiotik: eine Einführung in ihre Grundbegriffe. Tübingen, Basel.

      Weiterführende Literatur:

       In der Kommunikationsforschung ist der Ansatz des erkenntnistheoretischen Konstruktivismus bedeutsam, wie er vor allem von Klaus Krippendorff repräsentiert wird:

      Krippendorff, Klaus (1988): A Heretic Communication about Communication about Communication about Reality. In: Miriam Campanella (Hg.): Between Rationality and Cognition. Turin, S. 257–276.

      Krippendorff, Klaus (1993): Major Metaphors of Communication and Some Constructivist Reflections on their Use. In: Cybernetics & Human Knowing 2: 3–25.

      Schmidt, Siegfried J. (1994): Die Wirklichkeit des Beobachters. S. 3–19 in: Klaus Merten u. a. (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Opladen.

       In die Medientheorie und Mediengeschichte führen ein:

      Faßler, Manfred / Halbach, W. (1998): Geschichte der Medien. München.

      Flusser, Vilém (1998): Kommunikologie. Frankfurt am Main.

      Hartmann, Frank (2000): Medienphilosophie. Wien.

      McLuhan, Marshall (1968): Die magischen Kanäle. Düsseldorf.

       Soziologische Untersuchungen zur Kommunikationsgesellschaft bieten:

      Giesecke, Michael (2002): Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. Frankfurt am Main.

      Wenzel, Harald (2001): Die Abenteuer der Kommunikation. Echtzeitmassenmedien und der Handlungsraum der Hochmoderne. Weilerswist.

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