Die weise Schlange. Petra Wagner

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Название Die weise Schlange
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783959665964



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Arion, und manchmal gebärdet er sich ein bisschen toll; nicht aus Bosheit, oh nein, aber er kann ganz schön bocken. Natürlich bekomme ich ihn stets gebändigt, jedoch sollten sich andere Leute keinesfalls in seine Nähe wagen. Keinesfalls, verstehst du?“

      „Dein Hengst hat Allüren? Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht.“

      Zweifelnd sah Usheen zu Arion hinüber, der ganz ruhig dastand, als wäre er die Seefahrt gewöhnt. Allerdings war es wirklich nicht ratsam, einen Tritt von seinen langen Beinen abzubekommen. Die Aussicht, die Stute halten zu dürfen, war dagegen sehr verlockend; sie machte einen äußerst braven und wohlerzogenen Eindruck.

      Freudig willigte Usheen ein und zeigte wieder sein Sonnenscheinlächeln.

      Viviane lächelte zurück, ging um Dina herum und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die Stute schnaubte, als würde sie antworten, und bekam prompt die lange silberne Mähne gestreichelt. Viviane nickte Usheen noch einmal dankend zu und stellte sich neben Arion.

      Auch ihm raunte sie ins Ohr. Es sah beinahe so aus, als würde sie dem Hengst etwas erklären, fand Usheen, denn sie zeigte auf seinen Stiefvater neben der Weide und taumelte dabei nach links und rechts, dabei war die Werra heute ganz ruhig.

      Der Hengst beobachtete sie sehr genau und – nickte?

      Für einen Moment tauchte ein verschlagenes Grinsen in seinem Pferdegesicht auf. Usheen blinzelte heftig, Viviane hatte ihm eindeutig den Kopf verdreht. Seine Arbeit litt jedoch nicht darunter. Im Gegenteil, er wollte ihr beweisen, wie gut er sich als Fährmann machte. Besonders das Anlegen beherrschte er wie kein Zweiter, auch wenn ihm der rechte Arm mächtig wehtat. Mit flinken Fingern schlang Usheen die Halteleinen um die dicken Eichenpfosten und huschte hinüber zu Dina.

      Viviane bedankte sich bei ihm mit einem hinreißenden Lächeln und führte Arion über den Anlegesteg; bereitwillig ging er neben ihr her, ohne das geringste Bocken. Am Ufer angekommen, sahen beide zurück, Viviane hob die Hand und schwenkte sie ein Stück herum.

      Usheen wollte gerade den Gruß erwidern, da stellte sich Dina auf der Fähre quer und er wurde von ihr mitgezerrt. Doch niemand interessierte sich dafür, ob Dina nun den Ausgang blockierte. Die Männer schienen noch nicht einmal bemerkt zu haben, dass sie am anderen Ufer angelangt waren. Wie gebannt starrten sie allesamt auf Hanibu, die redete, mit ihren Armen seltsame Wellenbewegungen machte und ihre Hüften kreisen ließ. Anscheinend erzählte sie etwas sehr Spannendes und niemand dachte ans Aussteigen. Fahrgäste für die Rückfahrt waren auch nicht in Sicht. Usheen zuckte mit den Schultern. Er war es gewohnt zu warten. Umso besser konnte er nun Viviane hinterherschauen.

      Entspannt ging sie vor ihrem großen Hengst her. Ja, beide schlenderten gemütlich über die Wiese Richtung Weidenbaum, als ob nun keinerlei Gefahr mehr drohte, kein Bocken, keine tollen Allüren …

      Keine Gefahr? Was dachte er sich eigentlich?! In sieben, acht Schritten waren sie an der Weide! Usheen schlug sich die Hand vor die Stirn und riss den Mund auf. Am liebsten hätte er gebrüllt, das sei der falsche Weg, Viviane solle einen weiten Bogen machen, solle sich keinesfalls in die Nähe der Weide wagen, aber er wollte seinen Stiefvater nicht wecken. Der war noch viel gefährlicher als ein bockendes Pferd, zumal er mit Lang- und Kurzschwert bewaffnet war.

      Unbewusst duckte sich Usheen hinter Dina und hoffte inständig, seine neue Freundin würde leise an der Weide vorbeischleichen; gleichzeitig beschlich ihn ein ungutes Gefühl – er verstand nicht, wieso sie sich zu ihrer vollen Größe aufrichtete und sogar den Hals reckte.

      Viviane betastete ihre torqueslosen Hals und musterte den schlafenden Mann höchst aufmerksam.

      Vor Jahren musste er einmal sehr stark und gut aussehend gewesen sein, doch jetzt war sein Gesicht aufgedunsen und seine Muskeln waren einer dicken Fettschicht gewichen. Das einzig Brauchbare an ihm waren seine beiden Schwerter, doch die würden ihm nicht viel nützen, da ihm mit jedem Schnarcher auch ein schaler Geruch entwich – halb verdauter Met. Es war einfach widerlich.

      Am liebsten hätte Viviane die Luft angehalten, doch sie war bis auf sieben Schritte herangekommen, um etwas Besseres zu tun.

      Leicht zupfte sie am Halfter und wirbelte ihren rechten Zeigefinger mit Schwung aufwärts – die Aufforderung zum ‚wilden Hengst‘, Arions Lieblingsspiel. Er spitzte sogleich die Ohren und stellte sich auf die Hinterbeine. Je mehr sie mit dem Finger dirigierte, desto mehr trat er mit den Vorderbeinen durch die Luft.

      Grinsend tänzelte Viviane rückwärts und Arion steigerte sich zu Höchstleistungen, denn wenn sie hüpfen konnte, dann konnte er das schon lange. Beide hatten mächtig viel Spaß. Unter lautem Wiehern näherten sie sich dem Schläfer an der Weide.

      Bei diesem Lärm drehten sich die Männer auf der Fähre nun doch um und erstarrten vor Schreck. Angus bewegte sich als Erster.

      Fluchend sprang er zu Dina, packte ihr Halfter und wollte sie aus dem Weg zerren, doch es ging nicht. Die anderen kamen ihm zu Hilfe und zogen, schoben, drückten – Dina war stärker. Angus wollte unter ihr durch – Dina war schlauer. Sie konnte prima auf zwei bis drei Beinen die Stellung halten und zugleich ausschlagen, zuschnappen, mit dem Schweif peitschen und böse starren – Angus konterte mit Schimpfwörtern, die jedes standhafte Schlachtross beleidigt hätten, und starrte noch bockiger zurück.

      Usheen fühlte sich genötigt, den Blick von Viviane zu lösen und beschwichtigend auf Angus einzureden, der nun todesmutig auf Dina klettern wollte – nur so konnte man an dieser „Furie von einer Mähre!“ vorbeikommen. Markus hatte gefälligst beim Aufsteigen zu helfen und wusste nicht, vor wem er mehr Angst haben sollte: Dina oder Angus.

      Durch Zufall sah Viviane Angus’ gebleckte Zähne und hätte beinahe laut losgelacht, doch sie wollte Arion nicht durcheinanderbringen; sie war sich durchaus bewusst, was sie hier für ein gefährliches Spiel trieb. Diese speziellen Kunststücke hatte sie ihm nicht selbst beigebracht, die waren inklusive gewesen, als sie Arion geschenkt bekommen hatte.

      „Brav, mein Großer, brav“, redete sie ruhig auf ihn ein. „Nun ist es gut. Komm wieder runter und … Schluuuss.“

      Alle auf der Fähre seufzten erleichtert, als Arion gehorsam die Vorderbeine aufstellte, doch schon mussten sie wieder scharf Luft holen.

      Arion stand zwar mit allen vieren auf der Wiese und war ruhig, aber nun taumelte Viviane rückwärts. Anscheinend hatte er sie angerempelt – ob mit Absicht oder aus Versehen, hatte keiner gesehen. Fakt war: Sie kippte in arge Schräglage, ruderte hektisch mit den Armen und griff mit fliegenden Fingern durch die Luft, als wollte sie sich selbst Aufwind verschaffen – prompt wieherte Arion los und trampelte so wild auf der Stelle, als fände er das zum Verrücktwerden komisch.

      Bei dem irren Lärm, den er veranstaltete, wachte der Mann unter der Weide nun endlich, endlich auf und schielte schlaftrunken durch die Lider. Ehe er sich versah, stolperte Viviane rückwärts über seine Füße und brachte ihn zum Aufjaulen, da sie mit voller Wucht auf seinen Oberschenkeln landete, mit beiden Ellenbogen voran.

      Arion ließ seine lange Silbermähne fliegen und stampfte noch ein letztes Mal auf, weil Viviane mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis formte – das Zeichen für ‚gut gemacht‘. Das gab sie immer, wenn sie mit ihm zufrieden war. Wenn er gekonnt hätte, hätte er das Zeichen gerne zurückgegeben, denn auch sie war recht geschickt im Tollen – fast so gut wie er.

      Tollpatschig drückte sie ihrem ausgewählten, gut gepolsterten Landeplatz die Ellenbogen nun in die Rippen. Ihre Hand rutschte über seinen Hals und würgte ihm die Luft ab, hastig riss sie die Finger weg und packte stattdessen seinen Unterarm … Sie rammte ein Knie in seinen linken Oberschenkel und schrammte mit dem anderen über das rechte Schienbein. Der Mann war währenddessen zu keiner Bewegung fähig, außer mit Händen und Füßen ein klein wenig zu zappeln. Und er konnte noch brüllen: „Run…ter v…on mir, du ver…dammtes W…eib!“

      „Welch missliche Lage“, lallte Viviane und stammelte etliche, allesamt schlecht verständliche Entschuldigungen, weshalb die Lage weiterhin misslich blieb, obwohl sie sich ehrlich beeilte.

      Kein Wort war gelogen. Sie beeilte sich wirklich, schön schmerzhaft