Die weise Schlange. Petra Wagner

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Название Die weise Schlange
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783959665964



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Hanibu zu sich. Kopf an Kopf lugten sie durch den Spalt. Sie staunten beide nicht schlecht.

      Gemächlich schlenderte Loranthus über die Wiese, die Daumen eingehakt in einem Ledergürtel, auf dessen Gürtelschnalle ein Stier eingraviert war; selbst auf den Gürteltaschen rechts und links war dieser Stier zu sehen, hier jedoch ins Leder gepunzt. Dazu trug er ein hellbraunes Hemd, eine gelb-grün karierte Hose und kniehohe Stulpenstiefel aus weichem Leder. Die Kleidung musste von Angus sein, denn er hatte eine ähnliche Statur, wenngleich er auch viel muskulöser war. Loranthus wusste wahrscheinlich gar nicht, wo sich seine Muskeln versteckten, trotzdem konnte er jetzt als Einheimischer durchgehen – falls er seinen Mund hielt. Eine Gans, die zu schnattern aufhörte, war allerdings wahrscheinlicher.

      Viviane und Hanibu kicherten, denn gerade in diesem Moment hörte eine Gans mit dem Schnattern auf. Mit weit ausgebreiteten Flügeln zischte sie aus dem Uferschilf heraus, sie war eindeutig im Angriffsmodus. Loranthus hüpfte ängstlich hinter Angus, der kramte hastig in einer Gürteltasche und warf ein paar Brotkrümel. Besänftigt ließ sich die Gans wieder auf ihrem Nest nieder und Angus bedeutete seinem Hintermann, er habe nun kein Brot mehr, um ihn noch einmal zu retten. Loranthus sah jedoch kaum hin, er hielt die Nase in den Wind und schnupperte, dann komplimentierte er Angus ziemlich hastig im großen Bogen um den Brutplatz herum zur Badestelle der Männer.

      Viviane und Hanibu wussten genau, warum er es mit dem Waschen plötzlich so eilig hatte. Vom Gasthaus wehte ein herrlicher Duft nach geröstetem Brot herüber. Verschmitzt grinsten sie sich an: Wie gut, dass sie längst sauber waren und ihre Kleidung griffbereit.

      Genüsslich strichen sie Butter auf ihre warmen Brotscheiben und sahen zu, wie diese einsickerte, bevor sie Hagebuttenmarmelade daraufgaben und hineinbissen. Sie schafften es sogar noch, eine Schale Haferbrei mit getrockneten Apfelstücken und einen Becher Ziegenmilch zu leeren, bevor Loranthus ins Gasthaus stürmte, dicht gefolgt von Angus und Markus.

      Wider Erwarten fiel Loranthus nicht sofort über das Essen her, sondern bedankte sich bei Markus und hängte einen dicken braunen Mantel an der Kapuze auf. Danach beäugte er die Getränke: Ziegenmilch in einem Holzkrug und frisch gerösteter Eichelsud in einer schwarzen Karaffe. Diese war mit einem tiefgehenden Relief aus Spiralen und einem Deckel aus Silber versehen, auf dem wiederum die Figur eines aufsteigenden Adlers, ebenfalls aus Silber, prangte.

      „Das ist ja ein Meisterstück von einer Karaffe“, schwärmte Loranthus und seine Augen bekamen einen seltsamen Glanz. Begeistert klappte er den Deckel auf, schnupperte genüsslich und klappte ihn wieder zu. „Und dieser schwarze Ton erst noch! Die Farbe kommt von Grafit, das man dem Ton beimischt“, erklärte er den Anwesenden, die allesamt nickten, weil sie die Münder voll hatten. „Grafit macht Getöpfertes bruchsicher.

      Selbst das tiefe Relief tut dem keinen Abbruch.“

      Achtung heischend hielt er die Karaffe in die Höhe, damit alle gut sehen konnten. Er kam gar nicht auf den Gedanken, dass sich die Anwesenden mindestens genauso gut mit Töpferwaren auskannten wie er oder sich die Becher mit heißem Eichelsud füllen wollten. Nein, er fuhr die Rillen der vielen eingeritzten Spiralen mit dem Zeigefinger nach und wirkte fast wie hypnotisiert, bis sein Finger auf dem silbernen Deckel anlangte und über den kleinen Adler strich.

      „Bei den Chimären, wie konnte ich das übersehen! Der hat ja Löwentatzen und einen Löwenschwanz!“ Ungläubig tippte er auf die Schwanzquaste.

      „Daran musst du dich hierzulande gewöhnen, wir haben unseren eigenen Sinn für Kunst“, riet ihm Markus zwischen zwei Löffeln voll süßem Brei. „Kunst kommt von Können und wenn einer das Kunsthandwerk beherrscht, dann sind wir das.“

      „Das kannst du glauben“, tönte der Wirt und warf sich so stolz in die Brust, als hätte er höchstpersönlich für den Adlerlöwen Model gestanden. „Er hat übrigens auch eine Löwenmähne, schau genau hin.“

      Viviane butterte ihre dritte Scheibe Brot und nickte in Richtung der Burg.

      „Die Karaffe ist nicht nur Kunsthandwerk, sie hat auch symbolischen Wert. Vor einiger Zeit haben sich zwei große Königshäuser vereint, das eine mit einem Löwen als Wappentier, das andere mit einem Adler. Seitdem ist dieser Adlerlöwe das Symbol von Aodhrix. Sein Clan wählt ihn jedes Jahr aufs Neue zum König, einstimmig wohlgemerkt. Er hat einfach alles, was ein guter König braucht.“

      „Ach. Was braucht man denn so alles, wenn man König sein will in deinem Land?“

      Viviane sah Loranthus geheimnisvoll an.

      „Wissen, Weisheit und Gedenken.“

      „Interessant.“ Loranthus nickte verständnisvoll – jedenfalls hatte er akustisch alles verstanden. Aber deshalb war er ja hier, um dieses rätselhafte Land zu erkunden. Sein Vater hatte allerdings keine Ratespiele im sprichwörtlichen Sinne gemeint, oder? So oder so, er musste sich erst einmal stärken. Gierig fiel er über alles her, was auf dem Tisch stand.

      Viviane und Hanibu staunten, wie schnell er ihren Vorsprung wettmachte.

      Gerade schaufelte er den dritten Nachschlag Haferbrei mit Apfelstücken in sich hinein, da deckte der Wirt den Nebentisch.

      Neugierig reckte Loranthus den Hals und überlegte, was es wohl noch zu essen gäbe, auch wenn er ja eigentlich satt war – prompt verfehlte der Löffel seinen Mund und er musste hastig zuschnappen, um den süßen Brei noch zu erwischen – eine körperliche Meisterleistung, denn seine Augen ließ er nicht vom Nachbartisch.

      Dort gab es zwar nichts zu essen, aber eine Auswahl an Schreibzeug – Loranthus wusste gar nicht, wie ihm geschah.

      „So viele Schreibutensilien“, seufzte er glücklich und nun hielt ihn nichts mehr auf seinem Platz. Wie ein Adler stürzte er sich auf seine Beute – nein, eher wie ein Geier, schließlich war die Beute schon tot. „Pergament in drei verschiedenen Stärken und Farbnuancen! Ich fasse es nicht! Mit Punkten, mit gepunkteten Linien, ohne Punkte …“ Prüfend hielt er sämtliche Pergamentblätter der Reihe nach in die Höhe. „Beste Qualität und akkurat zugeschnitten. Sehr fein. Und diese Schreibgriffel erst noch! Dermaßen spitz!“

      Fast ehrfürchtig griff er nach den Schreibgriffeln und besah sie sich genauer.

      Der erste war ein dünnes Schilfrohr mit einer angeschrägten Seite.

      „Damit kann man durchaus ordentlich schreiben.“

      Der zweite war ein dünnes Kupferrohr, eine Seite ebenfalls schräg zugespitzt.

      „Damit kann man noch besser schreiben!“

      Der dritte war ein schlankes Röhrchen aus Silber und so spitz zulaufend, dass man damit nicht nur winzig klein schreiben konnte – man konnte es auch bewundern, denn es war von einem hauchdünnen, in sich selbst gewundenen Silberdraht umflochten.

      „Das ist ja ein Kunstwerk, ein Meisterstück! Solch filigranes Schmuckwerk auf einem Schreibgriffel habe ich noch nie gesehen! Und er liegt prima in der Hand!“ Begeistert wirbelte er den Griffel mit den Fingern durch die Luft. „Oh, und diese hübschen bauchigen Tonfässchen!“ Ohne den silbernen Griffel aus der Hand zu legen, zog er die knubbeligen Holzpfropfen aus den Fässchen und lugte hinein. „Aha. Eines mit roter und eines mit schwarzer Tinte. Wieso?“

      Fragend sah Loranthus in die Runde.

      „Ist das in deiner Heimat nicht so?“, fragte der Wirt. „Die rote Tinte ist für die Ausgaben, die schwarze für die Einnahmen. Das gilt bei uns überall, nicht nur in Gasthäusern. Alle führen auf diese Weise ihre Finanzen; natürlich ist es am besten, wenn die schwarzen Zahlen größer sind als die roten.“

      „Und ich dachte …“ Loranthus schob die Unterlippe vor, klemmte den Griffel zwischen kleinen Finger und Ringfinger und sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Unschlüssig zuckten seine Augen zwischen den Tonfässchen hin und her.

      „Wenn du nur schreiben willst, ist es natürlich egal, welche Farbe du nimmst“, versicherte der Wirt und machte eine einladende Handbewegung. „Ich habe von beiden genug. Suche dir einfach aus, was du brauchst, ich mache dir einen guten Preis und setze