Die weise Schlange. Petra Wagner

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Название Die weise Schlange
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783959665964



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      Und ihre Geduld wurde belohnt.

      Drei Reiter trabten nun aus derselben Richtung heran. Offensichtlich hatten sie es nicht so eilig wie die anderen, aber auch sie stanken. Was hatten die Männer getrieben, um derart ins Schwitzen zu kommen? Oder wann hatten sie sich das letzte Mal gewaschen?

      Rasch hielt sich die Frau den Mantel vor Nase und Mund, und unterdrückte eine plötzlich aufkommende Übelkeit, während ihr Blick hoch konzentriert über die drei Gestalten huschte. Jede Kleinigkeit war wichtig.

      Alle drei trugen abgewetzte Brustpanzer aus Leder, die vor langer Zeit einmal sehr teuer gewesen sein mussten; den besten besaß der mittlere, ältere Mann. Die gehärteten Lederplättchen lagen absolut präzise übereinander, wie ein sorgsam gedecktes Dach. Ein echtes Meisterstück, bemerkte sie mit Kennerblick.

      Um ihre Schultern lagen dunkelgrüne Wollumhänge, dick gefilzt und gehalten von bronzenen Fibeln; sehr große, klobige Fibeln, doch die Gestalt der Spangen war nicht genau zu erkennen. Vielleicht waren es Adler oder Falken – irgendetwas mit Flügeln. Nachdenklich wiegte sie den Kopf. Dem Aussehen nach hätten die Männer Vater mit Söhnen sein können.

      Die Bärte trugen sie zu zwei Zöpfen geflochten und ihr langes Haupthaar kringelte sich in engen Spiralen bis weit über die Schultern. Zwei von ihnen waren mehr rothaarig als blond. Das Haar des Jüngsten jedoch wies bloß einen schwachen roten Schimmer auf. Er hatte himmelblaue Augen, die seine goldenen Locken besonders strahlend machten. Er führte ein reiterloses Zweitpferd mit sich.

      Die Frau schüttelte ihren Kopf, so als müsse sie … ja, was? Diese Augen aus ihren Gedanken fegen? Ein unmögliches Unterfangen.

      Die letzten azurblauen Augen, in die sie geblickt hatte, hatten ihr traurig Lebewohl sagen müssen, denn Merdin selbst hatte kein Wort herausgebracht. Ihm war der Abschied noch schwerer gefallen als ihr, doch was blieb ihnen übrig? Sie mussten sich trennen. Ihre Aufgaben konnten sie nicht zusammen lösen. Sie waren wie zwei Flüsse, die eine Zeit lang im selben Bett geflossen waren und nun auseinanderdrifteten. Wann sie wieder zusammenfinden würden – wer konnte das schon sagen?

      Kein Wunder, dass der Abschied geschmerzt hatte, als wäre ein Stück von Viviane abgerissen worden, ein wichtiges Stück, ein großes. Die Wunde war noch lange nicht verheilt, und vielleicht würde sie das nie. Eine Ära war zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte. Es war zum Heulen.

      Schluss damit. Jetzt war sie hier, wo sie hingehörte, und musste sich auf das Wesentliche konzentrieren.

      Der Kleidung und Bewaffnung nach zu urteilen, bildeten die Reiter eine Kriegerschar, eine Eskorte. Vielleicht hatten sie gerade jemanden abgeliefert und waren nun auf dem Heimweg. Das war durchaus möglich, fragte sich bloß, wo sie hingehörten. Auf ihren Schilden war kein Wappen zu sehen, und ihre Torques waren unter den Umhängen verborgen. Oder hatten sie gar keine? Doch, sicher. Krieger trugen ihre Torques ständig, erst recht, wenn sie unterwegs waren.

      Nachdenklich schürzte Viviane die Lippen und tastete den Hals entlang nach ihren eigenen Torques.

      Irgendetwas kam ihr hier nicht geheuer vor.

      Krieger, die nicht erkannt werden wollten – das war eigenartig. Jeder trug das Wappen seines Clans auf dem Schild und auch die Torques waren für jeden Clan spezifisch, zumindest für die hochrangigen Personen. Man musste schließlich wissen, ob man es mit Freund oder Feind zu tun hatte, wenn man sich begegnete, und wie tief man sich zu verbeugen hatte.

      In ihrer Heimat – und sie war hier auf heimischem Boden, sie hatte die Grenze längst passiert – gab es keine Feinde und man brauchte sich erst recht nicht verstecken; alle Clans waren im großen Bund der Hermunduren vereint. Wer also waren diese Krieger?

      Waren es schon Späher der Chatten? Eher nicht. Der Krieg hatte noch nicht begonnen, das wäre ihr aufgefallen. Vielleicht waren es Chatten auf Beutezug. In fremden Revieren zu wildern, war bei den Chatten Pflicht, wenn sie zum Krieger gekürt werden wollten. Vielleicht war es auch etwas von beidem, oder ganz anders – sie könnte noch bis Sonnenuntergang Vermutungen anstellen.

      Die Frau schnalzte mit der Zunge und lenkte ihre Pferde wieder auf den Weg zurück. Nichts wie weg von hier. Sie wollte zu Hause sein, bevor es dunkel wurde. Im leichten Trab ritt sie weiter und spähte vorsorglich um jede Wegbiegung.

      Lang zog sich die Strecke durch den Wald und für eine Weile passierte nichts. Doch sie blieb wachsam und hörte schließlich von Weitem eine aufgebrachte Männerstimme. Gleichzeitig nahm sie einen aromatischen Duft wahr, der in ihren Heimatwäldern normalerweise nicht vorkam.

      Mit geschlossenen Augen sog sie noch einmal bewusst die Luft ein. Wunderbar. Da war eindeutig ein Hauch von Zeder zu riechen. Der gehörte zwar nicht hierher, machte aber die faulen Eier von eben hundertmal wett. Wenn da nicht dieses Gezeter wäre …

      Ohne das Tempo zu verringern, trabte sie weiter und schüttelte missbilligend den Kopf. Der Schreihals hatte absolut keinen Respekt vor der erhabenen Würde des Waldes. Wer solch einen Lärm machte, konnte ihr nicht gefährlich werden, die Bären hätten ihn nämlich bald gefressen – und das war kein Jux.

      Allerdings war von hungrigen Bären keine Spur zu sehen. Vielleicht waren sie gerade woanders unterwegs. Wobei es zu bedenken galt, wie schnell so ein Bär rennen konnte – ein letzter Aufschrei seiner Beute, schon wäre hier wieder Ruhe. Gar nicht auszudenken, wie diese Beute aussähe, wenn er mit ihr fertig wäre.

      Wer so etwas noch nicht gesehen hatte, machte sich vielleicht kein Bild davon, Viviane jedoch wusste, was Bären, besonders nach dem Winterschlaf, anrichten konnten. Aufmerksam sah sie sich um und tastete sogar nach der Doppelaxt am rückwärtigen Teil ihres Gürtels. Zur Not hätte sie ihren Mantel schnell beiseitegeschoben und ein Treffer würde ihr genug Zeit verschaffen, um an die restlichen Waffen zu kommen. Völlig unbeeindruckt ob drohender Gefahren polterte die Stimme weiter und fluchte lauthals auf Griechisch, wie sie nach der nächsten Biegung feststellte. Daher also der Zedernduft.

      Sie seufzte.

      Die letzte Etappe ihrer Reise hatte äußerst gewöhnlich begonnen und jetzt, kurz vor dem Ziel, wurde es auf einmal interessant. Oder womöglich doch gefährlich? Vorsichtig lenkte sie ihre Stute um eine weitere Wegbiegung und hielt sich im Schutz der Büsche.

      Eine Falle, einen Hinterhalt konnte sie sofort ausschließen. Im Gegenteil, der Anblick, der sich ihr bot, hätte sie beinahe laut lachen lassen.

      Ein mittelgroßer junger Mann in einer ehemals weißen, nun aber schlammverschmierten Tunika stapfte den breiten Waldweg entlang und drehte Runden oder besser gesagt, Ovale.

      Seine schwarzen Locken standen völlig zerzaust vom Kopf ab und sein nasser Umhang aus feinstem Gewebe klatschte bei jedem Schritt an seine schlanken Beine. Darüber wölbte sich ein Bauch so prall und feist – er passte gar nicht zu dieser sonst schmalen Gestalt. Eigentlich passte noch mehr nicht zusammen.

      Bei den heutigen abrupten Wetterumschwüngen trug man besser einen dicken Filzmantel mit Kapuze statt eines dünnen Umhangs, und sei er auch noch so edel. Sandalen an nackten Füßen waren bei diesem frischen Wind auch reichlich gewagt, erst recht, wenn man keine Hosen anhatte. Zum Glück ging seine Tunika als kurzes Kleidchen durch – es sah drollig aus.

      Weil die Beine darunter so stark behaart waren, erinnerte er an eine Stachelbeere – eine ziemlich saure noch dazu. Ja, bei genauerem Hinsehen kam ihr das mürrische Mienenspiel bekannt vor. Tatsächlich. Es war noch gar nicht lange her, da hatte sie den jungen Mann schon einmal gesehen. Es war sogar zur selben Tageszeit gewesen, gegen Abend. Nur der Ort war ein anderer. Damals, im Hafen von Londinium, war der Grieche anstandslos sauber gewesen und hatte höchst pikiert getan; wenn es geregnet hätte, wäre ihm das Wasser in die Nase gelaufen. Heute sah es eher danach aus, als hätte ihn jemand an der Nase gepackt und durchs Wasser gezogen, durch ziemlich dreckiges noch dazu. Jede seiner Gesten, jeder Fluch, jedes Schimpfwort spritzte förmlich von ihm weg.

      Und das Lamentieren nahm kein Ende: Sein Leibsklave hatte sich wegen einer Sklavin geprügelt und ein Messer in den Hals gerammt bekommen. Jetzt hatte er keinen bärenstarken Beschützer mehr, nur noch ein Häufchen Asche in