Название | Faulfleisch |
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Автор произведения | Vincent Voss |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783966291040 |
»Weiß nicht, kann sein.«
»Dann beiß ihn doch«, bot Jack als einfache Lösung an. ›Warum nicht?‹, dachte Liam, ›und den Geländewagenbesitzer beiß ich gleich mit.‹ Liam liebte seinen Sohn.
Nackter Mann mit Gummiball
Vier Tage später. Wieder war es die Stille, die Liam aus seiner Konzentration brachte. Mit einem Becher Milchkaffee in der Hand stand er vor seiner Terrassentür und versuchte, dieser Stille zu entkommen. Draußen sah es kalt aus, in der Nacht hatte es wieder Bodenfrost gegeben und ein dichter Nebel verschluckte sämtliche Farben.
Er nippte an seinem Kaffee und fasste den Entschluss, seine Arbeit zu unterbrechen, um nach Draußen zu gehen. Der Umsetzung seines Entschlusses gingen einige Vorbereitungen voraus. Seine vor zwei Jahren gekauften Trekkingschuhe, die bislang noch nicht zum Einsatz gekommen waren, fand er nicht in dem Schuhkarton auf dem Speicherboden, sondern bei der Zeltausrüstung in der Kammer. Er zog sich eine gefütterte Windjacke über und fröstelte sofort, nachdem er einen Schritt vor die Tür setzte und diese hinter sich zuschloss. Er nahm die Kälte als stimmig zur erdrückenden Stille wahr. Jedoch durchbrach er mit dieser geplanten Aktion seine Hilflosigkeit.
Nach der Hofeinfahrt bog er links auf die Straße ein. Das aufgestellte Sackgassenschild, hatte ihm sein Vermieter erklärt, sei nur dazu da, Ortsunkundige von einer Einfahrt in die Straße abzuhalten. Somit wurde die Straße nur von Anwohnern befahren und sie hätte angeblich die Qualität einer Spielstraße. Jack würde es im anstehenden Sommer ausprobieren.
Von den Anwohnern fehlte jegliches Lebenszeichen. Die Silhouetten der Einfamilienhäuser ließen sich im Nebel nur erahnen, Wasser sammelte sich in den Hecken an den Resten der letztjährigen Spinnennetze. In Gedanken plante er seine Route, und genoss es, vor neuen Entdeckungen zu stehen. Bislang kannte er nur den einen Weg, der ihn zur Steinbrücke über die Alster und von dort ins Moor führte. Zwischen dem vorletzten und dem letzten Haus auf der rechten Seite zweigte ein asphaltgranulierter Feldweg ab. Liam erinnerte sich an drei knorrige Bäume, die dort im Nebel stehen mussten und von seinem Nachbarn wusste er, dass dieser Weg zur dorfeigenen Kläranlage führen würde. Allein dieses Wissen ließ ihn den Hauptweg weitergehen.
Die Bewohner des letzten Hauses auf der rechten Seite waren ein Mann mit einem grauen Vollbart und seine Frau, die immer sehr früh in einem grünen Opel Corsa unterwegs war. Sie hielten sich eine Ziege und einen Esel und Jacks Wunsch war es, den Esel streicheln zu dürfen, der hinter dem Graben und dem Knick in seinem Gehege stand. Liams Ohren froren, und da er außer gelegentlichem Tropfen nichts hatte hören können, zog er sich seine Kapuze über.
Ungefähr vierhundert Meter später gabelte sich die Straße. Links führte der unbefestigte Weg auf die Straße zur Steinbrücke, rechts ging es weiter ins Unbekannte. Liam entschied sich für das Unbekannte. Neben dem Weg konnte er die Schemen von Bäumen sehen, und er fand eine Ordnung wieder, die er auch auf vorherigen Erkundungen hatte ausmachen können. Vereinzelte Bäume wurden in den Knicks bis zur vollen Größe stehen gelassen, der Rest durfte bis zu einer bestimmten Größe heranwachsen, ehe dem Knick ein Kahlschlag widerfuhr.
Nachdem der Weg mehrere rechtwinklige Kurven beschrieb, standen am Wegrand den Umrissen nach etliche großgewachsene Bäume. Eichen. Eine Biegung später führten vom Weg tiefe Treckerspuren bis zu einem Gatter ab und die Asphaltierung des Weges endete hier. Weiter ging es auf einen Feldweg, der nur aus zwei Reifenspuren bestand. Vereinzelnd standen Pfützen in den Spurrinnen, die Liam mit seinen Trekkingschuhen durchschritt. Eine Abenteuerlust packte ihn und ebenso eine romantische Furcht vor dem Ungewissen. Er allein im Nebel, seit einer Dreiviertelstunde keine Anzeichen von Zivilisation. Sein cineastisches Gedächtnis spülte Szenen aus dem Film »American Werwolf« hervor, und er genoss den dadurch erzeugten Schauer. Er blieb stehen und lauschte. Nichts. Nur er. Sein Herzschlag. Er beobachtete eine Weile seinen kondensierten Atem, ehe er weiter voran schritt.
Der Baumbewuchs wurde lichter und lichter und die übriggebliebenen Bäume fügten sich durch ihr verkrüppeltes Aussehen nahtlos in seine Stimmung. Es wurde morastiger, und er deutete es ohne wirkliche Orientierung als Nähe zum Moor. Er überprüfte seine These, indem er zum Urinieren den Weg verließ und nach nur zwei Schritten auf einen Graben stieß, der bis zum Rand mit schwarzem Wasser stand. Genüsslich pinkelte er ins Wasser, und fast wäre es ihm zu laut geworden. Er schüttelte sich, zog den Reißverschluss zu und ging weiter. Seinem Handy nach war er etwas über eine Stunde unterwegs, ohne auf einen Menschen getroffen oder aber auf ein Haus gestoßen zu sein. Er konnte sich nicht an eine ähnliche Erfahrung erinnern und als Reaktion auf diese Erkenntnis schüttelte er den Kopf.
Später stand er auf einer verwitterten Holzbrücke und bedauerte, dass er nicht mehr urinieren musste. Unter ihm kroch auf drei Metern Breite dunkles Wasser entlang. Er knickte Strauchwerk ab und ließ es unter die Brücke treiben. Auf der anderen Seite wartete er, bis es wieder auftauchte und sah ihm nach. Wieder und wieder schickte er Halme und kleinere Äste durch die Brücke bis ein Strauchgutkonvoi im Nebel verschwand. Es schien ihm, als hätte es ihm früher einmal mehr Freude bereitet, als hätte diese Handlung eine größere Spannung beinhaltet und jetzt wiederholte er sie nach Jahren, ohne um das Geheimnis des Reizes zu wissen. Er warf den letzten Ast ins Wasser und verließ die Brücke auf der anderen Seite.
Verharrte, denn hier endete der Weg. Er stand auf einer Wiese und schon nach den ersten Schritten war er bis zu den Knöcheln im Morast versunken. Absichtlich wartete er und sah zu, wie sich um seine Schuhe das Wasser sammelte. Im Inneren blieben seine Füße trocken und er lobte sich seine Anschaffung. Spätestens jetzt hatte sich die Investition ausgezahlt. Mit einem Ruck zog er seine Füße aus dem Morastloch und stellte sich auf ein sicher wirkendes Gräserbüschel, ohne ein weiteres Mal zu versinken. Hier konnte er in Ruhe nachdenken, ob er seine abenteuerliche Reise fortsetzen sollte oder nicht. Einerseits war er lange unterwegs und er bedachte den Rückweg. Er würde Hunger bekommen und er hatte nichts mitgenommen. Das war ein Argument für eine Umkehr. Andererseits konnte er sich schwer vorstellen, dass dieser Weg bei der Brücke endete. Was für einen Sinn hätte er dann? Er mutmaßte, dass der Weg aus dem Dorfgedächtnis gestrichen worden war. Es musste etwas hinter diesem Feld liegen, dass den Weg selbst rechtfertigte. Vielleicht ein anderer Weg oder eine alte Ruine. Er erinnerte sich, dass er auf dem Wanderweg, der früher einmal eine Eisenbahntrasse von Bad Oldesloe nach Barmstedt gewesen war, eine Wanderkarte in einem Schaukasten gesehen hatte und er hatte sich über die Vielzahl von Wegen um das Dorf und das Moor herum gewundert. Leider konnte er sich nicht an diese alte Brücke auf der Karte erinnern. Es stützte aber seine Mutmaßung, dass es hinter der Wiese weitergehen musste. Er holte sein Handy raus. Eindreiviertel Stunden. Er steckte das Handy wieder ein und sein Blick schweifte zur Brücke und den Weg zurück. Er drehte langsam den Kopf und musterte den Nebel auf der Wiese vor ihm. Unentschlossen ging er einen Schritt vor und entschied sich währenddessen, die Wiese zu erkunden. Glücklich war er mit seiner Entscheidung nicht, denn sein Hungergefühl meldete sich erneut. Aber er wollte nicht das stereotype Bild des verweichlichten Städters erfüllen und bei dem ersten Hungergefühl wieder umkehren. Hier galt es, eine Mission zu erfüllen.
Also ging er weiter auf das Feld. Allerdings wurde er nach nur wenigen Minuten unsicher. Der Nebel war hier so dicht und es gab keine Orientierungspunkte, dass er nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wo er hinging. Oder ob er überhaupt geradeaus ging. Sicher, es war beruhigend, dass er in dieser Gegend nichts von kilometerweiten Moorlandschaften wusste und er glaubte auch, irgendwann auf einen Weg oder ein Gehöft zu stoßen, aber diese völlige Orientierungslosigkeit begann an seinen Nerven zu zerren. Wie die Stille an seinen Nerven zerrte.
Er konnte innehalten und sich einmal im Kreis umschauen, alles sah gleich aus. Zum Glück hinterließ er tiefe Fußspuren, die sich sofort mit Wasser füllten, sodass er zumindest immer zurück finden würde. Er ging weiter und verursachte mit jedem Schritt ein tiefes Schmatzen. Den Blick geradeaus gerichtet, konzentrierte er sich auf Veränderungen im Nebel. Seiner eigenen Atmung unter der Kapuze lauschend, verfiel er dem monotonen Rhythmus und wurde innerlich leer und erreichte einen meditativen Zustand.
Er dämmerte erst wieder hervor, als ein