Название | Existenzielle Psychotherapie |
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Автор произведения | Irvin D. Yalom |
Жанр | Документальная литература |
Серия | EHP-Edition Humanistische Psychologie |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783897976061 |
Wenige Menschen waren mit intellektuellen Gaben gesegnet, die denen Freuds vergleichbar wären; er hatte große Imaginationskraft, unbegrenzte Energie und unbezähmbaren Mut. Aber als er erwachsen wurde, fand er, dass sein Weg zum Erfolg in unfairer und unberechenbarer Weise versperrt war. Brücke musste Freud davon in Kenntnis setzen, dass es wegen des Antisemitismus in Wien praktisch keine Hoffnung auf eine erfolgreiche akademische Karriere gab: Die Unterstützung der Universität, die Anerkennung, die Promotion waren ihm verwehrt. Freud wurde im Alter von siebenundzwanzig gezwungen, seine Forschung aufzugeben und seinen Lebensunterhalt als praktizierender Arzt zu verdienen. Er studierte Psychiatrie und trat in eine private medizinische Praxis ein. Die »große Entdeckung« war nun seine einzige Chance, Ruhm zu erlangen.
Freuds Gefühl, dass ihm Zeit und Gelegenheit entglitten, erklärt zweifellos seine Unklugheit bei dem Vorfall um das Kokain. Er las, dass die Einheimischen Südamerikas dadurch Stärke gewannen, dass sie Kokainpflanzen kauten; er führte Kokain in seine klinische Praxis ein und pries in der Wiener medizinischen Gesellschaft die positiven Wirkungen der Droge auf Depression und Müdigkeit. Er verschrieb vielen seiner Patienten Kokain und drängte seine Freunde (sogar seine Verlobte), es einzunehmen. Als bald darauf die ersten Berichte über Kokainabhängigkeit erschienen, fiel Freuds Glaubwürdigkeit bei der Wiener medizinischen Gesellschaft in sich zusammen. (Dieser Vorfall erklärt, zumindest zu einem kleinen Teil, warum die Wiener akademische Gemeinschaft es an Reaktionen auf Freuds spätere Entdeckungen fehlen ließ.)
Die Psychologie fing an, ihn vollständig gefangen zu nehmen. Die Struktur des Geistes zu entwirren, wurde, wie Freud es formulierte, zu seiner Geliebten. Seine Hoffnungen auf Ruhm hingen vom Erfolg dieser Theorie ab; als gegenteilige klinische Beweise erschienen, war er am Boden zerstört. Freud beschrieb diesen Rückschlag in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Fließ im Jahre 1897: »Die Erwartung des ewigen Nachruhmes war so schön, und des sicheren Reichtums, die volle Unabhängigkeit … all dies hing davon ab, ob Hysterie aufgeht oder nicht.«122
Systematische Beobachtungen waren von geringer Bedeutung. Freuds Ziel war nichts Geringeres als ein umfassendes Modell des Geistes. Im Jahr 1895, als er immer noch auf halbem Weg zwischen Neurophysiologie und Psychiatrie war, hatte Freud das Gefühl, dass die Entdeckung eines Modells des Geistes kurz bevorstand. Er schrieb in einem Brief:
In einer fleißigen Nacht der verflossenen Woche, bei jenem Grad von Schmerzbelastung, der für meine Hirntätigkeit das Optimum herstellt, haben sich plötzlich die Schranken gehoben, die Hüllen gesenkt, und man konnte durchschauen vom Neurosendetail bis zu den Bedingungen des Bewußtseins. Es schien alles ineinander zu greifen, das Räderwerk paßte zusammen, man bekam den Eindruck, das Ding sei jetzt wirklich eine Maschine und werde nächstens auch von selber gehen. Die drei Systeme von Neuronen, der freie und gebundene Zustand von Quantität, der Primär- und Sekundärvorgang, die Haupttendenz und die Kompromißtendenz des Nervensystems, die beiden biologischen Regeln der Aufmerksamkeit und der Abwehr, die Qualitäts-, Real- und Denkzeichen, der Zustand der psychosexualen Gruppe – die Sexualitätsbedingung der Verdrängung, endlich die Bedingungen des Bewußtseins als Wahrnehmungsfunktion – das alles stimmte und stimmt heute noch! Ich weiß mich vor Vergnügen natürlich nicht zu fassen.123
Damit die Entdeckung für Freuds Bedürfnisse voll zufriedenstellend sein konnte, waren zwei Kriterien zu erfüllen: (1) das Modell des Geistes sollte ein umfassendes sein, welches mit den Helmholtzschen wissenschaftlichen Kriterien übereinstimmte; und (2) es sollte eine originelle Entdeckung sein. Das Freudsche Grundschema des Geistes, die Existenz von Verdrängung, die Beziehung zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten, das grundlegend biologische Substrat von Gedanken und Affekt war eine kreative Synthese – nicht neuartig in ihren Komponenten (Schopenhauer und Nietzsche hatten einen kühnen Weg markiert), aber neuartig in ihrer Gründlichkeit und ihrer Anwendbarkeit auf viele menschliche Aktivitäten, von Träumen und Fantasie bis hin zu Verhalten, Symptombildung und Psychose. (Über seine Vorgänger sagte Freud an einer Stelle: »Viele Leute haben mit dem Unbewussten geflirtet, aber ich war derjenige, der es zuerst heiratete.«) Die Energiekomponente des Freudschen Modells (die sexuelle Kraft oder Libido) – ein beständiges Maß an Energie, das durch vorherbestimmte, wohldefinierte Stadien der Entwicklung während der frühen und späteren Kindheit geht, welches gebunden oder ungebunden sein kann, mit dem Objekte besetzt werden können, das überfließen oder aufgestaut oder verschoben werden kann, das die Quelle des Gedankens, des Verhaltens, der Angst und der Symptome ist – ist vollständig neu; es war die große Entdeckung, und Freud hielt grimmig daran fest. Um der Libidotheorie willen opferte er seine Beziehungen zu seinen vielversprechendsten Schülern, die von ihm abrückten, weil sie sich weigerten, sein absolutes Beharren auf der neuen Entdeckung zu akzeptieren – die zentrale Rolle der Libido bei der menschlichen Motivation.
Die Rolle des Todes im menschlichen Verhalten hatte für Freud offensichtlich weder als Quelle von Angst noch als Determinante der Motivation einen Reiz. Sie erfüllte keine dynamische Erfordernisse: Der Tod war kein Instinkt (obwohl Freud im Jahr 1920 dieses postulieren sollte) und passte nicht in ein mechanistisches Helmholtzsches Modell. Noch war die Rolle des Todes neuartig: Es war ein alter Hut, sozusagen Altes Testament; und es war nicht das Ziel Freuds, sich einer langen Prozession von Denkern anzuschließen, die bis an den Beginn aller Zeiten zurückreicht. »Ewiger Ruhm«, wie er es zu nennen pflegte, lag dort nicht. Ewiger Ruhm würde ihm sicher sein auf Grund der Entdeckung einer his dahin unbekannten Quelle menschlicher Motivation: der Libido. Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass Freud einen wichtigen Faktor im menschlichen Verhalten korrekt darstellte. Freuds Irrtum war eine Überbesetzung: Seine grimmige Investition in das Primat der Libido war überdeterminiert; er erhob einen Aspekt menschlicher Motivation in eine Position absoluten Vorrangs und absoluter Exklusivität und subsumierte unter diesem Aspekt alles Menschliche, für alle Personen und für alle Zeiten.
Gegentheorien
Bald erschienen Gegentheorien. Freuds kreativste Studenten nahmen sich die Libidotheorie vor; und um 1910 herum hatten Carl Jung, Alfred Adler und Otto Rank sich entschlossen, die Gnade ihres Meisters hinter sich zu lassen, statt sein mechanistisches dualistisch-instinkthaftes Menschenbild zu akzeptieren. Jeder dieser Abtrünnigen schlug eine andere Quelle der Motivation vor. Jung forderte einen spirituellen Lebenskraft-Monismus. Adler betonte die Sorge des Kindes um das Überleben und seine Kleinheit und Hilflosigkeit angesichts einer makroskopischen Erwachsenenwelt und eines umfassenden Universums. Rank betonte die Bedeutung der Todesangst und behauptete, dass das menschliche Wesen sich zwischen zwei Ängsten ständig hin- und herwindet – der Angst vor dem Leben (und dessen intrinsischer Isolation) und der Angst vor dem Tod. Diese Ansichten und die Beiträge solcher jüngeren Theoretiker wie Fromm, May, Tillich, Kaiser und Becker ergänzen alle die Freudsche strukturelle Theorie, aber ersetzen sie nicht. Freuds großer Beitrag war seine Formulierung eines dynamischen Modells des Geistes. Den Tod in das Freudsche dynamische Modell einzuführen, sowohl als Furcht vor dem Tod als auch als ein Begreifen des Todes, ist lediglich eine Wiedereingliederung: Der Tod war immer da, unterhalb der Kastration, unterhalb der Trennung und Verlassenheit. In diesem einen Fall blieben Freud und die ihm folgende analytische Tradition zu oberflächlich; nachfolgende Theoretiker haben eine korrektive Kraft zur Verfügung gestellt und haben so zur Vertiefung unserer Sichtweise vom menschlichen Wesen beigetragen.
3. Kapitel: Der Todesbegriff bei Kindern
Unsere Sorgen über den Tod und unsere Art, mit Todesangst umzugehen, sind keine Oberflächenphänomene, die leicht zu beschreiben oder zu verstehen wären. Sie treten im Erwachsenenalter auch nicht neu auf. Sie sind vielmehr tief in der Vergangenheit verwurzelt und werden im Verlauf des Lebens, während wir mit Sicherheit und Überleben beschäftigt sind, rundlich umgeformt. Das Studium des Kindes liefert uns eine einzigartige Möglichkeit, das Ringen des menschlichen Wesens mit dem Tod in der ursprünglichen Form zu untersuchen. Der Zweck dieses Kapitels ist es, die Begegnung des Kindes mit