Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Название Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte
Автор произведения Tanja Langer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963115943



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Augenbraue war geteilt; als Kind war er vom Fahrrad auf einen Stein gestürzt und hatte genäht werden müssen, was er damals mit Interesse verfolgt hatte, um anschließend selbige Operation an der Puppe seiner Schwester Hilde auszuprobieren.

      „Nein, nein, nein“, rief Eva, „das hätten sie niemals getan!“

      Sibylle dachte an die Zeit, als sie zum letzten Mal in Italien gewesen war, mit ihrem Rucksack und einem Zelt, wo waren sie nur hin, diese Tage, so frei und mutig war sie gewesen, und die Männer hatten sie angesehen, allerdings ein bisschen zu gierig für ihren Geschmack und mit einem Hauch Verachtung, so hatten sie ihr nachgepfiffen, aber sie hatte sich zur Wehr gesetzt, strenger Blick, mach die Fliege, aber presto, zwanzig Jahre war das her, zwanzig …

      „Sie haben den Hühnern auf dem Dach des Hauses ein Gehege gebaut“, sagte Eva und trank ihren Wein aus.

      … jetzt war es eindeutig anders, ihre dunklen Augen sahen sie aufmerksam an, voller Respekt, denn …

      „Das ist doch nicht dein Ernst! Auf dem Dach?“ (Ludwig)

      … sie hatte zwei Kinder an der Hand …

      „Sie haben ihnen ein hübsches, ordentliches Gehege gebaut oben auf dem Dach des Hauses!“ Eva lachte.

      … belästigt worden war sie nie, Sibylle, und der einzige Mann, der ihr nahe kam, auf dem Campeggio in Firenze, als es in Strömen regnete und sie mit dem abgebauten Zelt und dem Rucksack auf der überdachten Terrasse saß und heißen Kaffee schlürfte und auf die Stadt sah und sich fragte, wieso sie so ein Pech haben musste. Da war er aufgetaucht, braungebrannt mit hinreißenden Augen und Muskeln, und wie der die weißen Zähne beim Lächeln …

      „Und alle Lüneburger Passanten haben hinaufgezeigt und gesagt: Das sind die Hühner von Frau Greta.“

      … aus Südafrika war der gekommen, aber ein Weißer, der ihr leise auf Afrikaans ins Ohr sang und leider leider …

      „Einmal ist ein Huhn aus dem Gehege geklettert, wer weiß, wie“, sagte Eva, „und ist vom Dach gefallen.“

      … gleich am nächsten Abend eine andere ansah …

      „Da hat Greta –“

      … und nicht nur das, ins Zelt ist er verschwunden mit der anderen, wo er doch die Nacht zuvor mit ihr, und noch nicht mal besonders gelungen, zu schnell für sie, die sich zum ersten Mal im Sturm so hatte einnehmen lassen, aber mit ihr ist er dann durch Florenz gelaufen und nach Elba gefahren …

      „also meine Oma, beschlossen, die Hühner doch lieber bei einem Bauern unterzubringen.“

      … und sein Freund war mitgekommen, der eigentlich viel netter war und sie tröstete, hätte sie sich mal an den gehalten, sie war so dumm gewesen und einfach diesem Lächeln erlegen … Jetzt aber genug, sie trank noch einen Schluck, die Sibylle, das war nicht wieder vorgekommen, so eine Nummer, noch einen Schluck, das war so lange her, aber irgendwie schön war es doch und sie würde alles wieder genauso machen und –

      Erleichtert von dieser Einsicht lächelte sie dem Bauarbeiter zu, der oben auf dem Transporter stand.

      „In allen Filmen“, sagte Ludwig und bestellte Kaffee, „in allen Filmen, die in der Zeit nach dem Krieg spielen, verdienen die Frauen mit Hemdenwaschen Geld.“

      „In welchem denn zum Beispiel?“, fragte Sibylle, nun wieder im Hier und Jetzt.

      Die Kinder hatten nun genug und sprangen vom Tisch auf. Sina und Fabian führten die Bande an, „dürfen wir?“, riefen sie kurz über die Schulter, und schon waren sie los, auf Erkundung. Sina nahm ihre kleine Schwester Lucie an die Hand, David und Jennifer trotteten hinterher.

      „Naja“, sagte Ludwig.

      „Es tut auch nichts zur Sache“, Eva jetzt wieder, etwas spitz, „er will nur sagen, dass das Schicksal meiner Großmutter nicht so außergewöhnlich ist, wie ich mir das einbilde.“

      „Nein, nein“, sagte Ludwig.

      „Müsst ihr denn immer vom Krieg reden?“, meldete sich Stefan plötzlich. Er hasste solche Gespräche. „Lasst uns mal lieber gucken, welche Tempel –“

      Eva zog nur einen Mundwinkel hoch und sagte: „Erzähl uns doch mal von deiner Großmutter, Ludwig!“

      „Miststück!“, sagte Ludwig und lachte.

      „Jetzt hört doch endlich auf!“, rief Sibylle eifersüchtig, und Stefan wollte los, die Rechnung bitte, heute zahlen wir, ihr das nächste Mal, und die Kinder gerufen, und noch mal schnell zu den bagnos, Händchen waschen und ihr wisst schon, und nein, Eis gibt’s später, wie sind wir eigentlich auf das Thema gekommen, jetzt aber erst mal die Treppen hinunter, mitten hinein in die fremde Stadt mit ihren Winkeln und Mörderecken.

      Vielleicht tat Eva ihren Nachbarn unrecht, wenn sie in ihren Gesichtern Ablehnung vermutete; aber es war nicht leicht, mit ihnen ein Gespräch anzufangen und eine andere Meinung von ihnen zu gewinnen. Sei’s drum, das würde schon kommen. Es war genug los. Am Haus, das vor Unordnung, Türenschlagen und Kinderstimmen pulsierte, hätte vieles repariert werden müssen. Der Putz war grau von den Jahren, an der Vorderseite wucherte wilder Wein. Siebzig Jahre war es alt, und überall zog es durch die klappernden Doppelfenster. Die Dielen hatte Eva abgeschliffen und geölt. In der Küche hatte sie den blau-schwarzen Terrazzoboden glänzend geschrubbt. Das Haus hatte zwei Stockwerke und ein spitzgiebliges Dach; nach hinten zum Garten hin gab es eine Terrasse.

      Du, Eva, sagte Sibylle manchmal, den Zaun müsst ihr machen. Er sieht richtig einladend aus, so viele Latten sind weg! Ist gut, lachte Eva, wenn Ludwig mir dabei hilft! Und dann lachten alle drei, weil Ludwig nur darauf wartete, etwas ausbessern zu dürfen, auch wenn Stefan mit ihm zankte, wie man was richtig zu tun hätte. Ludwig war Arzt durch und durch. Ob gebrochene Zehen, abgerissene Puppenarme oder lockere Wegplatten, er konnte alles. Er zog seinen Leatherman aus dem Etui am Gürtel, klappte das passende Utensil auf und los ging’s. Stefan spielte lieber mit den Kindern; Sybille und Eva kochten große Essen; und dann lehnte sich Sibylle am langen Tisch im Garten zurück und sagte: Sieht es hier nicht aus wie in einem französischen Film?

      Zwei Apfelbäume, ein Kirschbaum, kurz: Das Haus war ein geselliger Ort. Die Kinder tobten im Garten oder spielten am benachbarten Tümpel, dass sie Kinder wären, deren Eltern gestorben wären, und dass sie sich nun allein durchschlagen müssten. Die leibhaftigen Eltern unterdessen bosselten, lasen und plauderten. Sibylle stritt fast jedes Mal mit Ludwig darüber, dass sie schrecklich gern auch ein eigenes Haus hätte. Wir müssen die Praxis abbezahlen, sagte Ludwig, der Wiederholung nicht müde werdend, du hast sie unbedingt gewollt, und ich lege mich dafür krumm. Ich mache Nachtschichten und bin fast ständig im Bereitschaftsdienst, hör auf, mich auch noch mit dem Haus zu nerven.

      Tatsächlich trug Ludwig außer seinem Leatherman stets den Pieper an der Hose, der ihm signalisierte, dass er im Krankenhaus gebraucht wurde. Wenn er auch nicht „aufs Land“ ziehen wollte: Er kam gern zu Eva und Stefan. Vielleicht wegen Eva. Sie hatte sprühendes dunkles Haar. Ihre Augen hatten die Farbe eines sommergrünen Waldes, und ihre Haut war hell und zart. Sie trug Kleider und Röcke, die ihren runden Po betonten, und sie bewegte sich wie ein niemals alt werdendes Mädchen. Ludwig, den sie mit ihrer Spottnatur nicht verschonte, mochte ihren Witz, auch wenn er ihn selbst traf; er lachte dann heftig und stoßweise. Er ließ sich auf ihre Zipperlein ein, ihr Bauchzwicken hier und den verspannten Nacken da, gab Ratschläge oder pustete Bedenken fort, doch: Wär ich verheiratet mit dir, entfuhr es ihm, könnt ich dich nicht ertragen!

      Sibylle klagte nie, sie hatte eine ausdauernde, wachsame Natur, und nicht umsonst liebte Ludwig ihre feine Kühle, die stets ein Geheimnis für sich bewahrte. Ludwig wunderte sich, wie gelassen Stefan mit seiner Frau umging, ja, manchmal hatte Ludwig den Eindruck, dass Stefan ihre Reize einfach übersah, ihr wippendes Auf und Nieder; nun gut, dachte er, sie leben schon zehn Jahre zusammen, da vergisst man hin und wieder, sich anzuschauen.

      Dabei verhielt es sich mit Stefan einfach so: Er nahm Eva wie Sonne und Regen und Wind.

      Ludwig selbst, nebenbei bemerkt,