Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Название Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte
Автор произведения Tanja Langer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963115943



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Träger in ihren weißen Kitteln schmunzelten, brachten Schatullen aus dem 18., Kistchen aus dem 19. und allerlei Schnickschnack aus dem 20. Jahrhundert, Meerschaumpfeifen, Freimaurerdegen, erotische Drucke aus Japan.

      „Mmh, sehr fein, eine echte Rarität. Na, meine Herren?!“

      Frau Spoerli senior sah über ihre tiefsitzende Brille fragend hinweg in den Raum.

      Die Herren beugten sich nach vorn und hoben ihre Hände.

      „Was sind denn das für Petschaften“, amüsierte sich die Olympionikin. „Oh, ein Samowar, da is ja sogar alles dran, fehlt nix, na, wie wär’s?“

      Manch einer fing nervös zu schmatzen an, wenn das Jagdfieber ihn packte. Die ersten Teppichhändler rückten an; kleine Männer mit dicken Brillanten und goldenen Ringen an den kräftigen Händen, breitbeinig, in ausgewaschenen Jeans, kurz geschorene Häupter, Gesichter wie Krater und Felslandschaften, Kroatien, Albanien, Russland. Paschas, dachte Eva, neuerdings ganz abgeklärt, dabei unattraktiv bis sonst wohin. Ein besonders umfangreicher Händler schnaufte laut, als er sich setzte. Manche müssen allen verkünden, dass sie da sind. Rehweiler zog die Wangen angewidert nach innen. Die älteren Händler, Perser und Türken, wirkten gepflegter. Sie nickten Eva zu. Es roch immer intensiver nach Aftershave.

      „Is ja schön, dass sich alle freuen“, rief Frau Spoerli senior in den entstehenden Tumult, „sich wiederzusehen, aber wir müssen jetzt rasch hintereinander, wir haben noch einiges vor!“

      Und streng sah sie auf ihre Armbanduhr. Frau Spoerli senior machte nach vier Stunden eine kurze Pause, in der sie eine Tasse löslichen Kaffee trank.

      „Der Staub“, entschuldigte sie sich, „ich muss mich sonst zu oft räuspern.“

      Eva bewunderte sie dafür. Sie selbst musste immer mal heimlich hinausgehen und in einen Kokosriegel beißen, ein Glas Wasser herunterstürzen oder ein Stück Schokolade in den Mund schieben. An den Dingen klebt eine Geschichte, dachte sie, man spürt sie. Die Musik hat eine Geschichte, auch wenn nicht jede Musik eine Geschichte erzählt. Sie sagt sie im Wechsel von Noten und Stille. Die Architektur spricht ohne Worte. Bilder vermitteln eine Empfindung, wie eine Geste. Sie dachte daran, wie sehr sie es mochte, wenn die Dinge zur Sprache kamen, und lächelte Frau Spoerli an.

      · 6 ·

      Nach der Auktion („Ich komme dann direkt“) fuhr Eva zu Karl. Sie rannte die Treppen zu seiner Wohnung hinauf und zog noch vor der Tür die Jacke aus. Sie küssten sich atemlos (vom Treppehochrennen), sie legte ihre Nase an seinen Hals, dessen Haut weich und zart war, er schob den Rock ihres Kostüms hoch.

      „Lass das andere an“, sagte er und legte sie vorsichtig auf sein Bett. „Du bist bestimmt ein bisschen müde von deiner Arbeit.“

      Er streifte ihr langsam Strumpfhose und Höschen herunter und betrachtete Eva anerkennend. „Das sieht sehr schön aus“, sagte er und öffnete die eigene Hose.

      Danach lagen sie nackt im Bett und Eva sah die grün gestreiften Vorhänge an und dann sprachen sie über das Bild, das sie vom Bett aus an der Wand sahen: Karls Mutter hatte es ihm geschenkt, eine Landschaft aus verschieden grünen Feldern. „Sie war depressiv“, sagte Karl, „sie hatte fünf Kinder und neigte zu Depressionen.“

      „Warum?“, fragte Eva und schmiegte sich an ihn. Karl streichelte ihr Haar. Er schmeckte sie und streichelte sie unermüdlich und ausdauernd. Er redete nie über seine Geschäfte; er erzählte von seinen Reisen und seiner Familie; seinen zahlreichen Tanten, Onkeln, Brüdern und Schwestern, die über die ganze Welt verteilt waren. Eva hörte ihm gern zu. Sie roch auch gern seinen Schweiß. Über ihnen ging jemand hin und her.

      „Ich weiß es nicht“, sagte Karl. „Ich war der Jüngste, für mich hatte sie nie Zeit. Einmal bin ich auf allen vieren über den Flur zur Wohnung unserer Nachbarn gekrochen. Die Nachbarin hatte keine Kinder.“

      „Auf allen vieren?“, fragte Eva. „Daran kannst du dich erinnern?“

      „Nein, natürlich nicht, nur an das Gefühl. Meine Geschwister haben mir das erzählt.“

      „Armer kleiner Karl“, flüsterte Eva und streichelte sein Gesicht. Karl hatte den Kopf an ihren Hals gelegt und die Hand auf ihren Bauch.

      Erschöpft und leicht staubig riechend kam Eva bei Ludwig und Sibylle in Schöneberg an, die außer Eva und Stefan noch ein weiteres Paar eingeladen hatten, ebenfalls Ärzte, die sie noch nicht kannte. Zu Hause hütete ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft die Kinder.

      Eva stieg das holzgetäfelte Treppenhaus hinauf und dachte an ihre eigene Zeit in Mietshäusern. Sie und Stefan hatten in verschiedenen Bezirken gewohnt, meistens in den Hinterhöfen. Sie hatte es geliebt, den anderen Leuten in die Fenster zu schauen, sie stellte sich vor, heimlich in ihren Räumen zu sitzen und ihnen zuzuhören. Sie fand so vieles an den Menschen unbegreiflich. Unbegreiflich blieben ihr auch Ludwig und Sibylle. Sie mochte sie sehr, sie waren so anders, das machte sie neugierig, doch stets blieb da eine unerklärliche Zurückhaltung, anders als mit Nora. Sie hatte sich noch nie allein mit Sibylle verabredet. Ludwig wie Sibylle bewunderten Stefan, den Musiker, und gerieten manchmal in einen Verteidigungszwang, der Eva und Stefan überraschte. Eva hielt bei jedem Treppenabsatz kurz an und warf einen Blick aus dem Fenster hinaus in die erleuchteten Wohnungen hinein, in denen sich die Leute für ihren Abend fertig machten, Fleisch und Gemüse schnitten, Salat zupften, eine Flasche entkorkten, sich umzogen oder einfach auf dem Sofa vor dem Fernseher gammelten. Krisen kommen und gehen, dachte sie, an manchen Dingen ändert sich nichts.

      „Die Fotos gucken wir uns beim nächsten Mal an“, flüsterte Sibylle im Eingang und küsste Eva aufs Ohr, „wegen der anderen.“

      Seit Sibylle auf neue Weise an Stefan dachte, trieb sie auch etwas Neues zu Eva hin, was sie zugleich fernhielt. Es war eine Art erotischer Identifikation. Küsste sie Eva, berührte sie die Haut, die Stefans Haut berührte. Umarmte sie Eva, hatte sie den Körper im Arm, der Stefans Körper nah war. Sie konnte nicht ahnen, wie selten es solche Berührungen zwischen den beiden gab.

      „Wo sind die Kinder?“, fragte Eva, etwas verwirrt von der ungewohnten Körperlichkeit der sonst eher spröden Freundin.

      „Es ist so ruhig.“

      „Sie schlafen bei Freunden. Hübsch, der Mantel. Grün steht dir gut.“ Sibylle half Eva aus dem Mantel.

      „Danke. Wie praktisch, ich meine mit den Kindern. Ist Stefan schon da?“, fragte Eva. Sie warf einen flüchtigen Blick in den Garderobenspiegel. Sie hatte die Haare bei Karl eilig hochgesteckt. Ihr Mund leuchtete, ganz ohne Lippenstift.

      „Du bist die Letzte“, sagte Sibylle und ging beschwingt vor Eva ins Wohnzimmer.

      Sibylle und Ludwig wohnten seit Jahren in dieser Wohnung; doch jedes Mal hatte Eva den Eindruck, als wäre es nicht ihre Wohnung. Die Einrichtung war wild zusammengewürfelt, ohne miteinander verwachsen zu sein; ein violett-schwarz gemustertes Sofa stand im hinteren Teil des Raumes, davor ein Glastisch, daneben eine Stehlampe mit Aluminiumfuß und einem großen halbrunden Kegel aus Milchglas, die mit der für Evas Empfinden zu hellen Deckenbeleuchtung konkurrierte. Mit modernen Möbeln kannte Eva sich nicht aus, aber wie sie Ludwigs Hang zu extravagantem Understatement kannte, war es ein teures Stück. Günstig erstanden freilich, bei Ebay, wie das Gemälde eines alten Neuen Wilden, das über dem Sofa an der Wand hing und einen Mann darstellte, der auf dem Kopf stand. Er war mit harten schwarzen Strichen konturiert, sein Penis baumelte zwischen den Beinen herunter, worin Eva den Baselitz-Epigonen ausmachte.

      Eva begrüßte Ludwig und Stefan mit einem Kuss und schüttelte dem Ärztepaar die Hand. Martina und Hartmut.

      „Du bist ja so schick heute“, sagte Ludwig, „im Kostüm!“

      „Arbeitskleidung“, sagte Eva und zog die Jacke aus. Ihre helle Bluse war leicht zerknautscht.

      Der Tisch im vorderen Teil des Raumes, von dem der lange Flur zur Küche abging, war mit schwarzen Tellern und bunten Papierservietten gedeckt. Soßen und Senf standen in Schraubgläsern neben gestückelten Karotten und Gurken