Название | Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt |
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Автор произведения | Stuart Hall |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867548526 |
Die Formierung eines Diaspora-Intellektuellen1
Interview mit Stuart Hall. Die Fragen stellt Kuan-Hsing Chen
KHC: In deinen jüngsten Arbeiten über »Rasse« und Ethnizität ist der Begriff der Diaspora zentral – es ist einer der entscheidenden Orte, von denen aus die Frage nach der kulturellen Identität gestellt wird. Zuweilen hast du Elemente deiner eigenen Diaspora-Erfahrung sehr überzeugend eingesetzt, um bestimmte theoretische und politische Problematiken zu untersuchen.2 Was mich interessiert, ist, wie die verschiedenen historischen Entwicklungen (trajectories) deine Diaspora-Erfahrungen und deine intellektuellen und politischen Positionen geformt haben.
SH: Ich bin in Jamaika geboren und in einer Familie der Mittelklasse aufgewachsen. Mein Vater hat die meiste Zeit seines Lebens damit verbracht, in der United Fruit Company zu arbeiten. Auf jeder Stelle, die er hatte, war er der erste Jamaikaner, der je befördert wurde; vor ihm waren diese Stellen vor allem von Leuten besetzt, die von der Leitung in den USA heruntergeschickt wurden. Es ist wichtig, die »Klassenfraktionen« und die »Farbfraktionen« zu verstehen, aus denen meine Eltern kamen. Sowohl die Familie meines Vaters als auch die meiner Mutter gehörten zur Mittelklasse, aber sie kamen aus sehr verschiedenen Klassenformationen. Mein Vater gehörte zur farbigen unteren Mittelklasse. Sein Vater hatte eine Apotheke in einem armen Dorf auf dem Lande, außerhalb Kingstons. Die Familie war ethnisch sehr gemischt – afrikanisch, ostindisch, portugiesisch, jüdisch. Die Familie meiner Mutter hatte eine sehr viel hellere Hautfarbe; wenn du ihren Onkel gesehen hättest, hättest du ihn für einen englischen Auswanderer gehalten, fast weiß, oder was wir das »lokale Weiß« nannten. Sie wurde von einer Tante adoptiert, deren Söhne – einer ein Anwalt, einer ein Arzt – in England ausgebildet worden waren. Sie wuchs in einem schönen Haus auf einem Hügel auf, das über dem kleinen Besitz lag, von dem die Familie lebte. Meine Familie setzte sich also kulturell aus dieser unteren, jamaikanischen Mittelklasse zusammen, die vom Land kam und von dunkler Hautfarbe war und aus der hellhäutigen Fraktion, die sich auf England und auf die Plantage orientierte.
Was also in meiner Familie von Anfang an kulturell ausgetragen wurde, war der Konflikt zwischen dem lokalen und dem imperialen, kolonisierten Kontext. Diese beiden Klassenfraktionen standen im Gegensatz zur Mehrheitskultur der armen jamaikanischen schwarzen Menschen: sie hatten ein ausgeprägtes Klassen- und Hautfarbenbewusstsein und identifizierten sich mit den Kolonisatoren.
Ich war das schwärzeste Mitglied meiner Familie. Eine Geschichte darüber wurde immer als Witz erzählt: meine Schwester, die sehr viel heller war als ich, schaute nach meiner Geburt in die Wiege und sagte: »Wo habt ihr denn das Coolie-Baby her?« »Coolie« ist in Jamaika ein Schimpfwort für einen armen Ostinder, der als das Unterste vom Untersten galt. Mein Schwester hätte also nicht gesagt: »Wo habt ihr das schwarze Baby her?«, denn es war undenkbar, dass sie einen schwarzen Bruder haben könnte. Aber sie bemerkte doch, dass ich eine andere Farbe hatte als sie. Das ist in Mittelklasse-Familien in Jamaika sehr üblich, weil sie ein Produkt von Verbindungen zwischen afrikanischen Sklaven und europäischen Sklavenhaltern sind und sie daher Kinder verschiedenster Schattierungen hervorbringen.
In meiner Familie hatte ich also immer eine Identität als Außenseiter, derjenige, der nicht reinpasste, der schwärzer war als die anderen, »der kleine Coolie«, etc. Und diese Rolle spielte ich konsequent durch. Meine Schulfreunde, die alle von guten Mittelklasse-Familien kamen, aber schwärzer waren als ich, wurden zu Hause nicht akzeptiert. Meine Eltern meinten, ich würde mir nicht die richtigen Freunde aussuchen. Sie haben mich aufgefordert, mich mit Jugendlichen aus Familien anzufreunden, die mehr zur Mittelklasse gehörten, die eine hellere Hautfarbe hatten, aber ich tat es nicht. Stattdessen habe ich mich emotional von meiner Familie distanziert und mich mit meinen Freunden woanders getroffen. Während meiner Jugendzeit habe ich ständig diese kulturellen Räume ausgehandelt.
Mein Vater wollte, dass ich Sport treibe, dass ich in die Clubs eintrat, in denen er war. Aber ich dachte immer, dass er selbst eigentlich nicht so recht in diese Welt passte. Er erhandelte sich seinen Weg in diese Welt. Er wurde von den Engländern geduldet. Ich konnte sehen, wie sie ihn paternalistisch behandelten. Das hasste ich am meisten. Nicht nur, dass er zu einer Welt gehörte, die ich zurückwies, ich konnte einfach nicht verstehen, warum er nicht sah, wie sie ihn verachteten. Ich sagte ihm in Gedanken: »Merkst du denn nicht, dass die in dem Club denken, du seiest ein Eindringling?« Willst du mich da drin haben, damit ich genauso gedemütigt werde?«
Weil meine Mutter auf einer jamaikanischen Plantage aufgewachsen war, glaubte sie, sie sei praktisch »Englisch«. Sie hielt England für das Mutterland, sie identifizierte sich mit der kolonialen Macht. Sie hatte Ziele für uns, ihre Familie, die wir materiell nicht erreichen konnten, aber sie versuchte sie kulturell zu verwirklichen.
Was ich sagen will ist, dass ich die klassischen kolonialen Spannungen als Teil meiner persönlichen Geschichte lebte. Meine eigene Formierung und Identität entstand zu einem großen Teil aus der Zurückweisung des dominanten individuellen und kulturellen Modells, das mir als Vorbild vorgehalten wurde. Ich wollte mir nicht, wie mein Vater, meinen Weg in die US-amerikanische oder englische Geschäftswelt der Auswanderer erbetteln, und ich konnte mich nicht mit dieser alten Plantagenwelt identifizieren, die ihre Wurzeln in der Sklaverei hatte, von der meine Mutter aber als dem »goldenen Zeitalter« sprach. Ich fühlte mich viel eher als unabhängiger jamaikanischer Junge. Aber wo war der Raum für diese Subjektposition in der Kultur meiner Familie?
Dies ist die Periode, in der die jamaikanischen Unabhängigkeitsbewegung sich entwickelte. Als junger Schüler war ich sehr dafür. Ich wurde ein Antiimperialist und identifizierte mich mit der jamaikanischen Unabhängigkeit. Aber meine Familie war nicht dafür. Sie identifizierten sich nicht einmal mit dem Wunsch der nationalen Bourgeoisie nach Unabhängigkeit. Sie waren in dieser Hinsicht sogar anders als ihre eigenen Freunde, die, als der Übergang zur nationalen Unabhängigkeit begann, dachten, »Mindestens werden wir an der Macht sein«. Meine Eltern, besonders meine Mutter, bedauerte das Ende dieser alten kolonialen Welt mehr als alles andere. Es gab eine riesige Kluft zwischen ihren Zielen für mich und meiner eigenen Identität.
KHC: Du meinst also, dein Impuls zur »Revolte« sei aus der jamaikanischen Situation entstanden? Kannst du das ausführen?
SH: Als ein kluger, vielversprechender Schüler wurde ich politisiert; ich war interessiert an dem, was politisch vor sich ging, insbesondere an der Formung jamaikanischer politischer Parteien, dem Entstehen der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung nach 1938, dem Beginn der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen nach Kriegsende: alle diese Entwicklungen gehörten zur postkolonialen oder dekolonisierenden Revolution. Nach Kriegsende begann Jamaika sich in Richtung Unabhängigkeit zu entwickeln. Kluge Jugendliche wie ich und meine Freunde, Jugendliche verschiedener Hautfarbe und aus verschiedenen sozialen Positionen, waren in diese Bewegung involviert, wir identifizierten uns damit. Wir freuten uns auf das Ende des Imperialismus, darauf dass Jamaika sich selbst regieren würde, auf die Autonomie für Jamaika.
KHC: Wie war deine intellektuelle Entwicklung in jener frühen Zeit?
SH: Ich ging in eine kleine Grundschule und später auf eines der großen Colleges. Jamaika hatte eine Reihe von großen Mädchen- und Jungenschulen, die weitgehend nach dem Muster der englischen Privatschulen organisiert waren. Wir machten die englischen Gymnasialprüfungen, bekamen das normale Zeugnis der Cambridge School und machten die A-level-Prüfungen. Es gab keine lokalen