Название | Der Tanz des Mörders |
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Автор произведения | Miriam Rademacher |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943709063 |
»Colin Duffot. Ich wohne im Ortskern bei Mrs Grey.«
»Mrs Grey, die alte Schreckschraube vermietet noch immer Zimmer? Hat sie die Schulden ihres spielsüchtigen Mannes etwa immer noch nicht abgezahlt? Hach, dabei ist der Verlierer doch schon fast ein Jahrzehnt unter der Erde.«
Colin konnte Mrs Summers, die Tee rührend dasaß und Unverschämtheiten von sich gab, immer weniger leiden. Diese Frau sollte ein wertvolles und fleißiges Mitglied von Jaspers Gemeinde sein? Kaum vorstellbar. Colin war nicht von Natur aus geduldig mit seinen Mitmenschen, sein Job hatte ihm die Geduld über Jahre hinweg aufgenötigt. Gegenüber bösartigen Menschen fiel es ihm schwer, seine Empörung zurückzuhalten, und so würde ihn dieses Gespräch auf eine harte Probe stellen, wenn Mrs Summers weiter in dieser Art und Weise über ihre Mitmenschen sprach.
Norma hatte derweil die Flucht ergriffen, Mrs Summers war in Schweigen verfallen und starrte Colin aus ihren listigen Augen an. Es war an ihm, ein neues Gesprächsthema anzustoßen. Da fiel sein Blick auf ein teuer wirkendes Fernglas, das in Griffnähe der alten Dame auf einem Beistelltischchen stand.
»Sie interessieren sich für Ornithologie?«
»Keine Spur. Damit habe ich einen besseren Blick auf die Umgebung. Sehen Sie selbst einmal hindurch, es ist ein ausgezeichnetes Glas.«
Sie reichte es dem verdutzten Colin, der es ergriff und einen Moment lang ratlos in der Hand drehte. Dann setzte er es an die Augen, wandte sich der Fensterfront zu, die den Wintergarten einfasste, und sah hinaus. Sein Blick glitt über die Rabatten in Mrs Summers’ Garten und erfasste eine Reihe eng beieinanderstehender Häuser unterhalb von Mrs Summers’ Grundstück. Das leistungsstarke Glas enthüllte ihm alle Details mit erschreckender Klarheit. Er sah sowohl die Gärten, als auch die Rückseiten der Häuser, konnte sogar durch einige Fenster in die Gebäude hineinblicken.
»In dem gelben Haus ganz links wohnt Deliza Norton. Ihr Sohn hat sich im letzten Winter erhängt. Sie behauptet wegen Depressionen, dabei weiß doch jeder, dass der Bengel stockschwul und darüber zu Recht völlig verzweifelt war. Verstehe gar nicht, wem sie meint, etwas über ihr missratenes Kind vormachen zu können.«
»Ihnen jedenfalls nicht«, entfuhr es Colin, und er war sich bewusst, dass seine Stimme einen eisigen Unterton bekommen hatte. Das hier würde hart für ihn und seine Selbstbeherrschung werden. Früher hatte er Menschen mit schwulenfeindlichen Äußerungen einfach aus seinem Tanzsaal verwiesen. Hier blieb ihm nur die Flucht. Hoffentlich konnte er sie bald antreten.
»Gewiss nicht. Was diesen Bengel betrifft, habe ich mehr gesehen als ich jemals wollte, das dürfen sie mir glauben.«
Mit einem Ruck setzte Colin das Fernglas ab und legte es auf den Glastisch. Ihm war klar geworden, wen Mrs Summers zu Beginn des Gesprächs mit so reizenden Umschreibungen bedacht hatte: Jene armen Menschen, die das Pech hatten, in Blicknähe ihres Hauses, nein, ihres Spinnennetzes zu leben. Hier hockte diese alte Spinne und starrte durch die Linsen ihres Fernglases direkt in das Leben anderer Leute hinein. Colin versuchte, sich statt in Ärger in Mitgefühl hineinzusteigern. Mitgefühl für eine Frau, deren eigenes Leben so langweilig war, dass sie ihre Aufmerksamkeit ganz auf ihre Nachbarn gelegt hatte. Sein sich ständig beschleunigender Puls machte ihm klar, dass es ihm nicht gelingen würde. Er saß im Netz einer Spinne. Wunderbar. Er fragte sich, ob Jasper das gemeint hatte, als er von Mrs Summers als einem fleißigen Gemeindemitglied sprach.
»Ich bin hergekommen, um Ihnen Gesellschaft zu leisten. Die Aktivitäten ihrer Nachbarn interessieren mich überhaupt nicht!« Sein Ton war etwas zu scharf, seine Stimme eine Nuance zu laut.
Mrs Summers hob erstaunt die Augenbraue auf der unverfärbten Gesichtsseite und fixierte ihn. »Ach, wirklich? Das ist ungewöhnlich. Interessieren wir uns nicht alle für die Dinge, die uns nichts angehen? Nun, vielleicht nicht mit meiner Leidenschaft, aber glauben Sie wirklich, frei von Neugier zu sein, Mr Duffot?«
Colin zog es vor, nicht zu antworten. Nur nicht provozieren lassen. Er atmete tief ein.
Mrs Summers bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. »Dann wenden wir uns lieber anderen Dingen zu, nicht wahr? Mögen Sie Fotografien? Ich fotografiere sehr gern. Mein ganzes Leben hindurch habe ich dieses Dorf und seine Bewohner fotografiert. Wollen wir uns ein paar davon ansehen?«
Colin hatte das Gefühl, dieser Vorschlag sei nicht wirklich eine Verbesserung, aber er nickte ergeben.
Mrs Summers deutete mit ihrem Zeigefinger auf irgendetwas hinter Colin. »Im Wohnzimmer stehen ein paar Kartons in einem Wandregal. Suchen Sie uns einen aus, aber meiden Sie den grünen Karton. Er entspricht nicht Ihren Neigungen.« Sie lachte hämisch.
Wie erwartet, durchzuckte ein jäher Schmerz seine Wirbelsäule, als er sich aus dem Korbsessel erhob, doch er ließ sich nichts anmerken. Im Wohnzimmer hoben die drei Hunde träge die Augenlider. Colins Blick fiel auf ein hohes Regal, in dem sich nicht nur ein paar, sondern eine wahre Flut von Kartons angestaut hatte. Den grünen Karton rechts außen ignorierend, griff er nach einem grauen und versuchte die Aufschrift zu entziffern, als er hinter sich ein Geräusch hörte.
»Möchten Sie ein Glas kaltes Wasser zu Ihrem Tee?« Norma, der mitfühlenden rosa Seele, war der viel zu hastige Schluck aus der heißen Teetasse nicht entgangen. Dankbar griff Colin nach dem Glas und ließ das kalte Wasser über den wunden Gaumen fließen. »Nehmen Sie den rosa Karton. Darin bewahrt sie alte Fotos vom Stadtkern auf. Der Wandel im Laufe der Jahrzehnte ist leidlich unterhaltsam«, flüsterte sie rasch und blinzelte ihm zu. Colin verspürte das warme Gefühl der Sympathie für die kleine Frau, die jetzt in ihrer Jeanslatzhose und den weißen Stiefelturnschuhen davonging. Norma hatte etwas Unverfälschtes und Ehrliches an sich, wie Colin es an Menschen schätzte.
»Der rosa Karton? Wer hätte das gedacht! Hat sich der gute Julian doch zu früh aufgehängt, hm? Wäre jetzt wohl nicht mehr die einzige Schwuchtel im Ort?«
Colin war drauf und dran, dieser Person den rosa Karton um die Ohren zu schlagen und das Haus fluchtartig zu verlassen. Stattdessen nahm er sich vor, Jasper gehörig die Meinung zu geigen.
»Wenn du mir noch einmal eine derart impertinente Person zumutest, kannst du dir einen anderen Partner fürs Dartspielen suchen«, fauchte Colin und warf seinen Pfeil so wutentbrannt auf die Scheibe, dass er abprallte, durch den Lost Anchor schoss und gegen das halbvolle Bierglas eines unschuldigen Gastes prallte.
»’Tschuldigung! Anfänger. Noch kein Gefühl für das Spiel«, rief Jasper dem pikiert dreinblickenden Gast zu, während Colin, die heiße Röte auf seinen Wangen fühlend, eine lahme Entschuldigung stammelte. »Was hat sie dir angetan?«, fragte Jasper und warf entspannt zweimal hintereinander ins Bullseye.
»Sie hat so ziemlich über jedes Lebewesen hier im Dorf hergezogen! Sie ist die gruseligste Person, die mir je begegnet ist! Sie glaubt, dass ich schwul sei, weil ich einen rosa Fotokarton aus ihrer Sammlung ausgesucht habe!«
»Na fein! Da hat sie dir doch eine nette Schublade ausgesucht. Ich stecke in einer wesentlich peinlicheren. Hat sie dir nicht erzählt, dass ich keinen Abend nüchtern ins Pfarrhaus zurückkehre? Nein? Erstaunlich.«
Colin nahm die Pfeile aus Jaspers Hand entgegen und sah ihn einen Augenblick prüfend an. »Bist du ein Trinker?«
»Bist du schwul?«
Colin nahm die Pfeile und warf sie wesentlich zivilisierter als beim letzten Versuch. »Dann liegt sie also immer daneben mit ihren Unterstellungen?«
»Nein, nicht immer. Norma Dooley zum Beispiel, ist wirklich eine hässliche Zwergin, Lauscherin und Töpfeguckerin. Hat Mrs Summers das dir gegenüber nicht erwähnt?«
Colin wollte gerade verneinen, als ein wütendes Schnauben hinter einem Gummibaum erklang. Ein Augenzwinkern später stand Norma zwischen ihm und der Dartscheibe und beäugte den breit grinsenden Jasper misstrauisch. »Sie haben genau gewusst, dass