Ideologie, Identität, Repräsentation. Stuart Hall

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Название Ideologie, Identität, Repräsentation
Автор произведения Stuart Hall
Жанр Зарубежная публицистика
Серия
Издательство Зарубежная публицистика
Год выпуска 0
isbn 9783867548540



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vielen Gelegenheiten so verwendet. Seine Verwendung in dieser Bedeutung ist also tatsächlich durch sein Werk sanktioniert. So sprach er in einer berühmten Passage zum Beispiel von den »ideologischen Formen, worin sich die Menschen … [eines] Konfliktes bewusst werden und ihn ausfechten« (MEW 13, 9). Im Kapital spricht er häufig in Nebenbemerkungen das »gewöhnliche Bewusstsein« des kapitalistischen Unternehmers oder die Denkformen des kapitalistischen »Alltagslebens« an. Er meint damit die Formen spontanen Denkens, in denen der Kapitalist sich die Funktionen des kapitalistischen Systems vorstellt und seine praktischen Verhältnisse dazu ›lebt‹ (d.h. wirklich erlebt). In der Tat gibt es schon hier Anhaltspunkte für die späteren Verwendungsweisen des Ausdrucks, von denen viele wohl nicht glauben würden, dass sie durch Marx’ eigenes Werk gerechtfertigt sind. Die spontanen Formen des praktischen bürgerlichen Bewusstseins zum Beispiel sind real, aber sie können keine adäquaten Gedankenformen sein, da es Aspekte des kapitalistischen Systems gibt – zum Beispiel die Produktion des Mehrwerts –, die mit den herkömmlichen Kategorien einfach nicht gedacht oder erklärt werden können. Andererseits können sie auch nicht einfach falsch sein, da diese praktischen Bürger anscheinend durchaus in der Lage sind, ohne die Hilfe eines anspruchsvolleren oder ›richtigeren‹ Verständnisses dessen, worin sie sich bewegen, Profite zu machen, das System zu bedienen, seine Verhältnisse aufrechtzuerhalten, die Arbeit auszubeuten.

      Um ein anderes Beispiel zu nehmen: Man kann aus Marx’ Worten durchaus ableiten, dass derselbe Set von Verhältnissen – der kapitalistische Kreislauf – auf mehrere, verschiedene Arten dargestellt oder (wie die moderne Schule sagen würde) innerhalb verschiedener Diskurssysteme repräsentiert werden kann. Da gibt es – um nur drei zu nennen – den Diskurs des ›bürgerlichen common sense‹, die anspruchsvollen Theorien der klassischen politischen Ökonomen wie Ricardo, von dem Marx so viel gelernt hat, und natürlich Marx’ eigenen theoretischen Diskurs, den Diskurs des Kapital selbst.

      Sobald wir uns von einer religiösen und doktrinären Marx-Lektüre lösen, sind die Verbindungswege zwischen vielen der klassischen Verwendungsweisen des Ideologiebegriffs und seinen neueren Ausarbeitungen nicht mehr so geschlossen, wie es uns gegenwärtige theoretizistische Polemiken glauben machen wollen. Tatsache ist jedoch, dass Marx den Ausdruck ›Ideologie‹ meistens verwendete, um speziell auf die Äußerungsformen bürgerlichen Denkens zu referieren, vor allem auf dessen negative und verzerrte Merkmale. Er neigte auch dazu – zum Beispiel in der Deutschen Ideologie, dem gemeinsamen Werk von Marx und Engels –, diesen Ausdruck im Kampf gegen seiner Auffassung nach unrichtige Ideen zu verwenden – oft gegen gut unterrichtete und systematische Ideen (die wir heute ›theoretische Ideologien‹ oder, Gramsci folgend, ›Philosophien‹ nennen, im Gegensatz zu den Kategorien des praktischen Bewusstseins oder zu dem, was Gramsci den ›Alltagsverstand‹ nannte). Marx gebrauchte den Ausdruck als eine kritische Waffe gegen die spekulativen Mysterien des Hegelianismus, gegen die Religion und die Religionskritik, gegen die idealistische Philosophie und die vulgären und degenerierten Varianten der politischen Ökonomie. In Die Deutsche Ideologie und Das Elend der Philosophie bekämpften Marx und Engels bürgerliche Ideen. Sie fechten die antimaterialistische Philosophie an, die die Herrschaft solcher Ideen untermauerte. Um ihre Polemik zuzuspitzen, vereinfachten sie viele ihrer Formulierungen. Unsere nachfolgenden Probleme entstanden teilweise dadurch, dass diese polemischen Umkehrungen als Grundlage für die Arbeit einer allgemeinen positiven Theoriebildung betrachtet wurden.

      Innerhalb dieses breiten Rahmens der Verwendungsweisen des Ausdrucks ›Ideologie‹ gelangte Marx zu bestimmten vollständiger ausgearbeiteten Thesen, die dann die theoretische Basis der Theorie in ihrer so genannten klassischen Form bildeten. An erster Stelle die materialistische Prämisse: Ideen entstehen aus den materiellen Bedingungen und Umständen, in denen sie hervorgebracht werden, und sie spiegeln diese wider. Sie drücken gesellschaftliche Verhältnisse und deren Widersprüche im Denken aus. Besonders die Vorstellung, dass die Ideen den Motor der Geschichte liefern und unabhängig von den materiellen Verhältnissen sich weiterentwickeln und ihre eigenen autonomen Effekte erzeugen, wird als das Spekulative und Illusorische in der bürgerlichen Ideologie dargestellt. Zweitens die These von der Determiniertheit: Ideen sind lediglich die abhängigen Effekte der letztlich determinierenden Ebene der Gesellschaftsformation – des Ökonomischen in letzter Instanz –, so dass Veränderungen des Letzteren sich früher oder später als entsprechende Modifikationen der Ersteren bemerkbar machen. Drittens die festen Entsprechungen zwischen der Herrschaft in der sozioökonomischen Sphäre und im Ideologischen: die ›herrschenden Ideen‹ sind die Ideen der ›herrschenden Klasse‹ – die Klassenlage der Letzteren liefert dabei die Kopplung und Garantie der Korrespondenz mit den Ersteren.

      Die Kritik an der klassischen Theorie zielte auf genau diese Aussagen. Zu sagen, Ideen sind ›bloße Reflexe‹, begründet zwar ihren Materialismus, belässt sie aber ohne spezifische Wirksamkeit in einem Bereich reiner Abhängigkeit. Sagt man, dass Ideen ›in letzter Instanz‹ durch das Ökonomische determiniert sind, begibt man sich auf den Weg des ökonomischen Reduktionismus. Ideen können letztlich auf das Wesen ihrer Wahrheit reduziert werden – ihren ökonomischen Gehalt. Der einzige Halt vor diesem letztendlichen Reduktionismus ergibt sich durch den Versuch, ihn etwas zu verzögern und sich durch eine wachsende Zahl von ›Vermittlungen‹ einen Manövrierraum zu erhalten. Zu sagen, dass die Herrschaft einer Klasse die Garantie der Vorherrschaft bestimmter Ideen ist, heißt, sie dieser Klasse als ausschließliches Eigentum zuzuschreiben und einzelne Bewusstseinsformen als klassenspezifisch zu definieren.

      Es sollte festgehalten werden, dass diese Kritiken, obgleich sie sich direkt auf Formulierungen beziehen, die das Ideologieproblem betreffen, in der Tat den Gehalt der allgemeineren, umfassenderen Kritiken rekapitulieren, die gegen den klassischen Marxismus selbst vorgebracht werden seinen rigiden strukturellen Determinismus, seine zwei Varianten des Reduktionismus – den Ökonomismus und Klassenreduktionismus –, seine Art, die Gesellschaftsformation selbst zu begreifen. Marx’ Ideologie-Modell wurde kritisiert, weil es die Gesellschaftsformation nicht als eine bestimmte komplexe Formation begreife, die zusammengesetzt ist aus verschiedenen Praxen, sondern als eine einfache (oder, wie es Althusser in Für Marx und Das Kapital lesen nannte, als eine ›expressive‹) Struktur. Althusser meinte damit, dass eine Praxis – ›das Ökonomische‹ – unmittelbar alle anderen Praxen determiniert und jede Wirkung einfach und gleichzeitig auf allen anderen Ebenen entsprechend reproduziert (d.h. ›ausgedrückt‹) wird.

      Wer die Literatur und die Debatten kennt, wird leicht die Hauptlinien der von verschiedenen Seiten im einzelnen vorgebrachten Revisionen dieser Positionen ausmachen. Sie setzen ein mit Engels’ Kommentaren über das, »was Marx gemeint hat« (besonders in den Altersbriefen), mit der Verneinung, dass es solch einfache Entsprechungen gibt oder dass die ›Überbauten‹ gänzlich ohne eigene spezifische Wirkungen sind. Die Bemerkungen von Engels sind ungeheuer fruchtbar, anregend und produktiv. Sie liefern zwar nicht die Lösung, aber den Ausgangspunkt für jede ernsthafte Reflexion des Ideologieproblems. Die Vereinfachungen entstanden seiner Auffassung nach dadurch, dass Marx sich im Kampf gegen den spekulativen Idealismus seiner Zeit befand. Es waren einseitige Verzerrungen, die notwendigen Übertreibungen der Polemik. Die Kritiken werden weitergeführt durch die groß aufgemachten Bemühungen von marxistischen Theoretikern wie Lukács, die – polemisch – an der strengen Orthodoxie einer bestimmten ›hegelianischen‹ Marx-Lektüre festhielten, während sie praktisch eine ganze Reihe von ›vermittelten und vermittelnden Faktoren‹ einführen, die den Hang zum Ökonomismus und Reduktionismus, wie ihn einige originale Formulierungen von Marx beinhalten, abschwächen und verschieben. Dazu gehört – aber aus einer anderen Richtung kommend – Gramsci, dessen Beitrag weiter unten diskutiert wird. Sie gipfeln in den raffinierten theoretischen Eingriffen Althussers und der Althusserianer, die gegen den Ökonomismus und Klassenreduktionismus und den Ansatz der ›expressiven Totalität‹ kämpfen.

      Althussers Revisionen (in Für Marx und insbesondere in dem Aufsatz Ideologie und Ideologische Staatsapparate) haben eine entschiedene Abwendung von dem Ansatz, Ideologie als ›verzerrte Ideen‹ und ›falsches Bewusstsein‹ zu denken, gefördert. Sie haben den Weg zu einer stärker linguistischen oder ›diskursiven‹ Ideologiekonzeption geöffnet. Sie haben die gesamte vernachlässigte Fragestellung auf die