Heimkehr zu den Dakota. Liselotte Welskopf-Henrich

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Название Heimkehr zu den Dakota
Автор произведения Liselotte Welskopf-Henrich
Жанр Исторические приключения
Серия
Издательство Исторические приключения
Год выпуска 0
isbn 9783957840066



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Manchmal hob der Sturm einen Zug aus dem Gleis, oder eine Büffelherde legte sich vor die Lokomotive, so dass kein Weiterkommen war. Die Indianer rissen, wenn es ihnen unbeobachtet gelang, die Gleise auf, denn sie hatten längst begriffen, dass die Lokomotive, dieses geheimnisvolle Tier, nur auf dem Gleispfad laufen konnte und auf Grasboden, ja selbst auf einem staubigen Büffelpfad völlig hilflos war.

      Der Zug sollte nicht nur Material, sondern auch Löhnung und Proviant bringen. Alles spähte nach dem Zug aus.

      Als in der Stille der nächtlichen Wildnis das Rollen der Räder, das Stampfen der Kolben zu hören war, schossen die freudigen Rufe in der Station auf, und als die Lokomotive, dampfend und pfeifend, die letzte Biegung nahm, schlugen sich die Männer gegenseitig auf die Schultern und sich selbst auf die Schenkel, denn nun stand nicht nur fest, dass der Zug wohlbehalten ankam, sondern auch, dass Joes Abschied gebührend gefeiert werden konnte.

      Der Lokomotivführer bremste, der Zug hielt. Die Ausladekolonnen standen schon bereit und griffen sofort zu.

      Joe Brown hatte sich mit Henry und mit dem Leiter des Stationslagers, Taylor, zusammengefunden.

      »Also am letzten Tag doch noch einmal etwas genau nach der Richtschnur gegangen«, sagte der Ingenieur. »Dann können wir anfangen zu feiern! Kommt!«

      In der Nähe der drei hatten noch zwei weitere Ingenieure gestanden, darunter Browns Nachfolger. Sie schlossen sich an, und die Gruppe ging langsam zu dem Hauptplatz und dem riesigen Zelt, das als Speiseraum und Wirtsstube diente. Einfache Tische und Bänke waren aufgestellt, in der Mitte des großen Raumes war ein Podium aufgebaut, und die Kapelle mit dem neuen Zigeunergeiger hatte sich bereits eingefunden. Als die Gruppe der angesehenen Personen eintrat, intonierten die Musiker einen Empfangstusch, und von verschiedenen Tischen dröhnten bereits Willkommensrufe. Das Zelt füllte sich rasch. Ein allgemeiner Lärm breitete sich aus, in dem jedes einzelne Geräusch nicht mehr nach seiner eigenen Natur, sondern nur noch als Lautverstärkung wirkte.

      Die Tische und Bänke waren so gestellt, dass rings an den Zeltwänden entlang ein äußerer Kreis führte. Davon durch einen Zwischenraum, einen Gang, in dem sich drei bis vier Personen nebeneinander bewegen konnten, getrennt, waren die Tische dann in einem großen inneren Rechteck angeordnet. Durch dieses führten für die Bediener nur schmale Gänge, netzförmig, längs und quer. Der Tisch für die Ingenieure und den Stationsleiter befand sich in der äußersten Reihe dieses Rechtecks, unmittelbar an dem breiten Gang, an der oberen Schmalseite des Zeltes. An der unteren waren die Schanktische aufgestellt.

      Für den Tisch, an dem Joe Brown sitzen sollte, hatte jemand eine Tischdecke und Blumen herbeigeschafft. Das wirkte im gewohnten Milieu erstaunlich, vielleicht auch töricht, und Henry hatte davon nichts gewusst, tat aber jetzt so, als ob dies unbedingt sein müsse. Joe Brown in der Mitte, sein Nachfolger links von ihm, der Stationsleiter rechts, präsidierten. Sie hatten den breiten Gang im Rücken und konnten ungehindert bedient werden. Die anderen Ingenieure, der Buchhalter, der Kassierer, der für den Bahnbetrieb Verantwortliche, fanden ihre Namenskarten an diesem Tisch, an den sich keiner setzen sollte, den Henry nicht dafür vorgesehen hatte. Daisy-Vicky kam und fragte nach den Wünschen der Herren. Joe bestellte für den ganzen Tisch.

      Als sich der Ingenieur nach den Gefährten seiner Pionierzeit und nach der übrigen Prominenz der Kundschafter und Prärieläufer umsah, stellte er fest, dass für diese an den nächsten beiden Tischen, der Saalmitte zu, gedeckt war. Bloody Bill hatte sich schon eingefunden und seine lange Lilly mitgebracht. Auch Charlemagne tauchte auf, und Red Jim ließ sich sehen, groß, breitschultrig, neu in Leder eingekleidet, mit allen Waffen, ausgenommen die Büchse. Auch die beiden anderen Männer hatten Messer und Revolver bei sich. Dann kam Mattotaupa. Er hatte das Haar glatt gelegt und neu geflochten, und die Schlangenhaut, die um die Stirn lief, hielt am Hinterkopf zwei Adlerfedern, die der ehemalige Häuptling nur sehr selten anlegte. Er hatte einen schön gestickten Rock angezogen, der lose über den Gürtel hing. Die Stickerei zeigte nicht die bei den Dakota gebräuchlichen Muster und Farbzusammenstellungen. Der Rock war in einem Panidorf für Mattotaupa angefertigt worden. Das wussten die wenigsten, von den Weißen wusste es keiner. Mattotaupa war sehr groß und eine würdige und stolze Erscheinung, nicht nur durch seine Kleidung, sondern auch durch eine gestraffte Haltung, die er an diesem Abend annahm. Red Jim beobachtete den Indianer aus einiger Entfernung und fragte sich: Was ist plötzlich wieder in ihn gefahren? Er schaut um sich wie ein Häuptling, der Gäste empfängt; nicht wie ein Indsman, der als alter Kampfgefährte trotz einiger Bedenken wohl oder übel noch eingeladen wird. Auch Harka zeigte sich, ein paar Schritte hinter dem Vater zurück. Er war kaum mehr kleiner, aber noch jugendlich-schlanker als der Vater. Er hatte kein Gewand an, da er eine Sommerjacke überhaupt nicht besaß, sondern nur die im Winter unentbehrliche Pelzkleidung. Mattotaupa hatte wohl empfunden, dass aus Harkas Weigerung, sich einen Festrock für den Sommer arbeiten zu lassen, seine Verachtung für die weißen Männer sprach. Harka hatte in diesem Punkt eigensinnig auf seinem Standpunkt beharrt. Sein nackter Oberkörper war sehr gut eingefettet, nicht nur für den Kundschaftsgang, den er hinter sich hatte, sondern nochmals für die bevorstehende Feier. Er war glatt wie eine Schlange; keine Hand konnte ihn so leicht festhalten. Die Büffelhautdecke, die mit den Taten seines Vaters als Kriegshäuptling der Bärenbande bemalt war, hatte er über die Schulter um Brust und Rücken geschlagen. Niemand konnte ohne weiteres sehen, was für Waffen sich unter der Lederdecke verbargen. Seinen Platz wählte der junge Indianer so, dass er den Tisch mit Joe Brown und den Ingenieuren im Rücken hatte und die Grenzer alle vor sich. Er setzte sich noch nicht, da die meisten anderen sich auch noch nicht gesetzt hatten. Aber er stellte sich so an den Tisch, dass ihm der gewünschte Platz gesichert blieb.

      Die Musik spielte; der Zigeunerprimas ging zu den Gästen in der Nähe des Podiums und sang zu seiner Geige. Die ersten fingen an zu lachen und zu trinken und mit ihren Bechern zu Joe hinüber zu grüßen. Dieser erhob sich und dankte. Eine Rede gedachte er nicht zu halten.

      Mattotaupa ging zu Joe Brown und sagte ein paar leise Worte zu dem Ingenieur. Brown hob rasch den Kopf, erstaunt, erfreut, und winkte die Kellnerin her, deren fettige Haut schon Schweißtropfen absonderte, ehe der Betrieb richtig begonnen hatte. »Daisy«, sagte er, »für dich und deine Kollegen: An den beiden Tischen vor uns wird auf Tops Kosten getrunken. Verstanden?«

      Das Mädchen schaute zweifelnd an dem Häuptling hinauf. »Wenn die das erst merken, an den zwei Tischen, Top, dann hast du morgen früh eine Rechnung, für die du dir eine Farm kaufen könntest! Kannst du so viel zahlen?«

      Der Indianer lächelte wohlwollend, überlegen, öffnete den Lederbeutel ein wenig und ließ das Mädchen einen Blick hinein tun.

      »Donnerwetter ... Top ... du ... wer hätte das geahnt!« Daisy-Vicky wurde über und über rot, und ihre Augen strahlten, als ob sie ein Wunder gesehen habe.

      Mattotaupa gab ihr eine Münze im Voraus. »Das ist für deine Arbeit«, sagte er.

      Das Mädchen war daraufhin sofort bei den beiden Tischen. Sie stellte sich neben Mackie, der Charlemagnes Nachbar geworden war. »Bestellen bitte«, sagte sie. »Top zahlt für alle!«

      Die Mitteilung wurde mit Freudengeschrei und Hallo aufgenommen, und es hagelte Bestellungen, so dass Vicky zusammenrechnen und wiederholen musste, um nichts zu vergessen.

      Charlemagne und Bill warfen Red Jim wieder vielsagende Blicke aus den Augenwinkeln zu, die Jim aber nicht bemerkte, da er selbst Top anstarrte. Harka jedoch fing die Blicke auf, während er Daisy-Vicky eben anwies, ihm eine Fleischmahlzeit zu bringen. »Sonst nichts«, fügte er auf ihre Rückfrage hinzu.

      Bier, Brandy und Becher kamen schnell auf den Tisch. Das Mädchen hatte sich noch zwei Kollegen zur Unterstützung herbeigerufen.

      Die Köpfe erhitzten sich bald. Es wurde viel Unsinn und viel Belangloses geredet, und die Männer tranken immer wieder Mattotaupa zu; er war auf einmal in viel stärkerem Maße der Mittelpunkt als Joe. Harka verzehrte sein Stück Braten. An der Unterhaltung, die ihn langweilte, beteiligte er sich überhaupt nicht. Mattotaupa hatte trotz allen Zutrinkens den ersten Becher Branntwein noch nicht geleert. Um sich einen zweiten eingießen zu lassen, kippte er den Rest aus dem ersten auf den Boden. Harka bemerkte das wohl; den meisten anderen entging es, da es schnell und geschickt geschah.