Harka. Liselotte Welskopf-Henrich

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Название Harka
Автор произведения Liselotte Welskopf-Henrich
Жанр Исторические приключения
Серия
Издательство Исторические приключения
Год выпуска 0
isbn 9783957840004



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wollte ich aufspringen und ihn töten.

      Aber es ist kein Feind gekommen. Ihr seid gekommen.«

      »Ja«, antwortete Sonnenregen nur und überlegte dann lange. Endlich nahm er wieder das Wort. »Es ist eine Zauberhöhle, und es ist Zauberwasser«, sprach er dann und legte großes Gewicht auf jedes Wort. »Hawandschita, unser Zaubermann, hat das ganze Dorf gewarnt. Es war nicht gut, Mattotaupa, dass du in der Nacht vor unserer Wanderung zu der Zauberhöhle gegangen bist und einen Knaben mitgenommen hast. Der Zaubergeist hat dich noch einmal gewarnt. Es kann auch sein, dass dies für uns alle ein böses Zeichen ist.«

      Harka sah, wie dem Vater das Blut aus dem Gesicht wich, so dass seine braune Haut einen grauen Schimmer bekam. »Ein böses Zeichen? Wofür?«, fragte Mattotaupa mit einer Stimme, die so wenig Klang hatte wie ein gesprungener Krug.

      »Ein böses Zeichen dafür, dass wir uns in große Gefahr begeben, wenn wir mit unseren wenigen Männern in neue Jagdgründe ziehen.«

      Mattotaupa runzelte die Stirn. »Die Büffelherden scheinen ihre Wege geändert zu haben. Wir wollen nicht verhungern.«

      Sonnenregen vermied es, dem Häuptling ins Gesicht zu sehen. »Also gehen wir«, sagte er nur noch.

      Die Männer wollten sich in Bewegung setzen, da machte Harka ein bittendes Zeichen mit der Hand.

      »Du willst noch etwas sagen?«, fragte ihn der Vater.

      »Die Spur, Vater! Ich habe in der Nacht eine Fußspur gesehen, die Spur eines fremden Fußes, du weißt es, und Sonnenregen weiß es auch.«

      »Wir können auf dem Rückweg noch einmal suchen«, entschied Mattotaupa nach einigem Zögern.

      Sonnenregen stimmte nur ungern zu. Aber er wollte sich auch nicht weigern. So riefen die Männer Tschetan von seinem Ausguck herbei; sie riefen nicht seinen Namen, sondern gaben ein dreimaliges Zeichen mit einer Vogelstimme. Zu viert machten sie sich dann auf den Weg nach jenem Platz im Wald, an dem Harka in der Nacht gewartet und den Fußabdruck gesehen hatte.

      Zu viert suchten sie, ohne eine Fährte zu finden. Allerdings, Harka war der Einzige, der ganz entschlossen und sehr genau suchte, und er glaubte, dass die Männer und Tschetan, verwirrt durch das Geschehene, die Suche zu früh abbrachen. Aber er war nur ein Knabe, und es war genug, dass er einmal seine Meinung hatte sagen dürfen. Ein zweites Mal würden ihm die Häuptlinge nicht das Wort gegeben haben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als nach der bis dahin vergeblichen Umschau dem Vater und seinen Begleitern zurück ins Dorf zu folgen.

      Es war dem Jungen seltsam zumute, als er wieder zu dem väterlichen Zelt kam, aber er ließ sich äußerlich nichts von seinen erregten Gedanken und Gefühlen anmerken. Die Mutter rief ihn zum Essen. Sie röstete den Hasen über dem Feuer in der Zeltmitte, und Harka setzte sich mit dem jüngeren Bruder und der Schwester, mit der Mutter und der Großmutter zusammen. Das röstende Fleisch duftete köstlich, und vor dem Zelt lauerten die halbwilden Hunde und schnüffelten sehnsüchtig. Als das Fleisch gar war, nahm jeder sein Messer – auch Harkas jüngere Geschwister besaßen schon ein eigenes – und eine irdene Schüssel. Die Großmutter wählte sich den Hasenkopf, die Mutter und das kleine Mädchen Uinonah erhielten je einen Vorderlauf, die beiden Jungen Harka und Harpstennah je einen Schlegel. Das Rückenstück blieb für den Vater, der jetzt nicht im Zelt anwesend war und nach der Sitte des Stammes auch nicht mit Frauen und Kindern zusammen aß.

      Nach der Mahlzeit traf Harka sich mit Tschetan. Er hätte gern mit dem älteren Freund über die Ereignisse gesprochen; am liebsten wäre er nochmals in den Wald gelaufen, um nach Fährten bei dem Höhleneingang zu suchen! Ein Mensch konnte unmöglich spurlos kommen und gehen. Aber da Tschetan nicht mehr von der Sache sprach, wagte auch Harka es nicht, seine eigene Meinung offen zu vertreten. Er schwieg über das, was er dachte, doch er blieb voll Unruhe. Um sich nichts anmerken zu lassen und auch um sich selbst über seine Unruhe hinwegzutäuschen, rief er eine ganze Rotte Junger Hunde zusammen. Sie rannten miteinander hinunter zu dem Fluss am Fuße des Berges. Dort spielten die Knaben, tauchten rasch in das eiskalte Wasser unter, schwammen ein Stück. Die Jungen waren sehr abgehärtet. Wer empfindlich war, starb bei dem rauhen Leben in der Wildnis früh, und die Kinder, die herangewachsen waren, konnten schon viel vertragen.

      Harka bemerkte, dass auch Schonka, der Sohn des Weißen Büffel, durch den Wald zu dem Fluss herankam. Er beschloss, ihm einen Streich zu spielen, und versteckte sich hinter einem Weidengebüsch, bei dem Schonka das Ufer erreichen musste, wenn er seinen Weg nicht änderte. Es wurde schon dämmrig. In schimmerndem Rosa leuchteten Wolken und Wasser, die Blätter spielten zwischen Abendschein und wachsenden Schatten. Schonka kam arglos zum Ufer. Er war breit und kräftig gebaut. In seinem jungen Gesicht lag schon ein Anflug von Verbissenheit, der sich verhärtete, sobald es schien, dass Schonka von seinen Altersgenossen und den Jüngeren nicht so geachtet wurde, wie er es verlangte. Niemand wusste eigentlich, warum sein Ansehen nicht uneingeschränkt war, denn er blieb in den Übungen der Burschen, im Wettreiten, im Steinwerfen, im Schwimmen, nicht hinter den anderen zurück. Aber es gab einen, der ihn übertraf, obgleich er jünger war: Harka Steinhart Nachtauge. Dieser genoss noch größere Achtung, und das beeinträchtigte das Ansehen Schonkas bei den Jungen und Mädchen.

      Schonka hatte das Weidengebüsch erreicht, ohne Harka zu bemerken. Dieser fasste nach Schonkas linkem Fuß und riss ihn aus dem Halt. Schonka, völlig überrumpelt, klatschte bäuchlings ins Wasser. Ein lautes Gebrüll der Knabenhorde belohnte Harkas Erfolg. Harka selbst sprang mit ein paar Sätzen über Steine und einen alten Baumstamm zur Flussmitte, wo das Wasser in einer tiefen Rinne schnell flutete. Mit einem schrillen Ruf verhöhnte er Schonka, der eben triefend wieder auftauchte und sofort auf den Knaben losrannte. Harka ließ ihn bis auf Armlänge herankommen, dann schoss er wie ein Hecht in die Flussrinne und schwamm unter Wasser abwärts.

      Schonka folgte ihm nicht. Er blieb stehen und beobachtete, wo Harka auftauchen würde; einen Stein nahm er als Wurfwaffe zur Hand.

      Harka spürte, dass er fast zu viel gewagt hatte. Das Wasser war, von der Schneeschmelze gespeist, von beißender Kälte, und dem jungen Schwimmer begannen Hände und Füße abzusterben. Er wollte durchaus unter Wasser bleiben, bis er die nächste Biegung gewann und hinter einem großen Felsblock, von Schonka ungesehen, die Flussrinne verlassen konnte. Er fühlte, wie ihm die Kälte ans Herz ging und die gefährliche verführerische Müdigkeit über ihn kam, die die Energie lähmt und den Übergang zur Ohnmacht angenehm wie das Einschlafen erscheinen lässt. Aber die Vorstellung, wie lächerlich es sei, bei einem Spiel umzukommen, spornte ihn von neuem an, und er schwamm mit aller Anstrengung noch ein Stück, bis er wahrnahm, dass er die Biegung gewonnen hatte. Da fasste er Grund, kroch schnell aus dem Wasser und duckte sich, nass und vor Kälte schnatternd, hinter den Felsblock. Er konnte Schonka sehen, der langsam über Sand und Geröllstreifen flussabwärts ging, den Stein noch in der Hand. Oben am Fluss hatte die Horde der Jungen Hunde alle Spiele abgebrochen, um Schonka und seinen Kampf mit Harka zu beobachten. Einige rannten am Ufer abwärts, sie wollten in der Nähe sein.

      Schonka steuerte direkt auf den Felsblock zu, hinter dem Harka hockte. Vielleicht wollte er von diesem Block Ausschau halten. Harka zog den Kopf ein und schmiegte sich dicht am Boden an den Fels. Er konnte Schonka nicht mehr sehen, umso aufmerksamer lauschte er.

      Es wurde rasch dunkel, schon blinkten die ersten Sterne auf.

      Harka bemerkte, wie der andere sich auf den Block schwang. Das war der Augenblick, auf den er gewartet hatte. Er schnellte hoch, sprang auf den Block, warf sich auf den überraschten Schonka und brachte ihn zu Fall. Beide stürzten von dem Felsblock in den Flusssand. Harka riss dem Gegner die Krähenfeder vom Schopf und jagte mit einem lauten Siegesruf in den Wald. Ein verdoppeltes Triumphgebrüll der Jungen Hunde belohnte diesen endgültigen Sieg ihres Anführers über den älteren Burschen.

      Zwischen den Bäumen begegnete Harka seinem Freund Tschetan, der ihn mit den drei jungen »Rabenbrüdern« zusammen laut lachend und sehr lobend begrüßte.

      Unterdessen hatte sich Schonka erhoben. Mit gespielt verächtlicher Haltung gegenüber der Knabenhorde verließ er den Schauplatz