Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Название Der Flügelschlag des Zitronenfalters
Автор произведения Martin Scheil
Жанр Зарубежная публицистика
Серия
Издательство Зарубежная публицистика
Год выпуска 0
isbn 9783961450718



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Abitur-Zeugnis wurde. Am Schluss noch ein paar astreine Kopien vom Ganzen und gut. Das war idiotensicher. Selbst die vom Gymnasium haben gesagt „Jawoll, das ist ein Zeugnis von uns!“, außerdem war das richtig viel Arbeit. Ich habe fast sechs Stunden darüber gesessen, bis alles perfekt war. So habe ich es auch mit den anderen Sachen gemacht. Hat aber nichts genützt, wie Du weißt.“

      „Und warum nicht?“ Briefke hatte die Frage so provozierend gestellt, dass es Pfeffer schon wieder irritierte.

      „Warum nicht? Na ja, weil ich eben nie da war!“

      „Genau!“, sagte Briefke und stellte sein Glas ab. Pfeffer erkannte nun ein hintersinniges Funkeln in Briefkes Augen und als sich dieser ein wenig zu ihm herüberbeugte, hatte sein Tonfall eine Mischung aus Konspiration und professoraler Gelehrtheit. „Es ist nur aufgeflogen, weil Du eben nie da warst. Auch die raffinierteste Fälschung wird Dich nicht in ein Klassenzimmer in Bad Bentheim teleportieren. Mach Dir nichts draus. Ist ein klassischer Anfänger-Fehler! Wenn Du ein Zeugnis von irgendeiner Schule fälschst, aber nie da warst, wird es immer ein überprüfbarer Punkt bleiben. Und damit ein Risikofaktor. Irgendwann wird dann einer von diesen Maulwürfen heiß und gräbt es aus, da hast Du keine Chance. Du musst immer versuchen, möglichst viele Risikofaktoren auszuschließen. Und zwar von vornherein.“

      „Ja klar, aber was soll ich machen? Ich habe nun mal kein Abitur!“

      „Ja und? Ich habe auch kein Abitur, und ich bin immerhin Arzt!“

      „Du bist kein Arzt“, sagte Pfeffer erneut, Briefke jedoch überging es ganz sachlich und dozierte einfach weiter.

      „Weißt Du, was Du machen musst? Du erfindest es einfach. Du erfindest einfach alles! Pass auf: Du bist meinetwegen bis dann und dann zur Schule gegangen, hast aber kein Abitur gemacht. Das ist nicht gut, aber Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden, nicht? Du schreibst also in Deinen Lebenslauf: Schule da und da bis dann und dann und legst Deine echten Zeugnisse dazu. Wenn Du dann aber ein Abitur dazudichtest, musst Du Dir was einfallen lassen. Einfach ein Skalpell kaufen und ein Ei kochen, das kann jeder, das reicht nicht aus. Du musst den ganzen Werdegang erfinden, mein Lieber. Was denkst Du, was passiert wäre, wenn Du folgendes gesagt hättest. Schule bis dann und dann, also die echte, dann sind wir nach Kanada gezogen. Du denkst Dir irgendein Kaff aus, das keiner kennt und sagst Du hast da Abitur gemacht. In Sasquatchovia von mir aus, keine Ahnung.“

      „Gibt es das wirklich?“

      „Oh Gott, das ist doch scheißegal. Hauptsache es steht oben auf Deinem Zeugnis!“

      Pfeffer konnte dem falschen Doktor noch nicht so ganz folgen. „Aber das zählt doch ganz anders als das deutsche Abitur.“

      „Siehst Du? Ganz genau! Kein Mensch wird sich dafür interessieren, ob Du ein Abitur hast oder nicht, niemand wird da anrufen und fragen, ob mal irgendwann irgendein Deutscher namens Ricki-Ficki da sein Abi gemacht hat. Außerdem gibt es die Schule ja gar nicht. Was sollen die denn machen, wenn am anderen Ende der Leitung „Kein Anruf unter dieser Nummer“, kommt? Da hinfahren? Wegen eines Schulabschlusses? Wohl kaum. Als nächstes entwirfst Du Dir Dein eigenes Zeugnis mit allem drum und dran. Du kannst Dir sogar selbst ein Wappen ausdenken und einen Stempel machen lassen! Alles ganz offiziell, verstehst Du? Und wenn einer nach der Anerkennung in Deutschland fragt, sagst Du so was wie, dass es ganz und gar nicht einfach war, und dass es am Ende, Gott sei Dank, unbürokratisch gelöst wurde, Du willst da aber nicht näher drauf eingehen, um keine schlafenden Hunde zu wecken, und so weiter und so fort. Außerdem wäre es nicht so wichtig gewesen, weil Du ja im Ausland geblieben bist!“

      „Im Ausland geblieben?“

      „Na klar! Auslandserfahrung macht sich immer gut! Ich war zum Beispiel zwei Jahre forensischer Psychologe im Zentralklinikum von Johannesburg!“

      „Im Ernst?“ Pfeffer war jetzt wieder völlig elektrisiert von der mitreißenden Dynamik des Dr. Bartholdy, „Du warst in Südafrika?“

      „Natürlich nicht, Richard! Aber wer soll das wissen? Kein Mensch kann das jemals wirklich nachprüfen, und außerdem: keiner hat dazu Lust! Im Gegenteil. Die finden es alle richtig geil, wenn sie erzählen können, dass Ihr Oberarzt schon in Südafrika praktiziert hat. Verstehst Du? Wenn Du wirklich so ein Ding durchziehen willst, dann musst Du es mit dem ganz großen Plan machen, dann musst Du am ganz großen Rad drehen!“

      Pfeffer war nun ehrlich erstaunt. So hatte er das alles noch nie betrachtet. Aber hatte er nicht eine ähnliche Aktion mit den Firmen gehabt, bei denen er vorgegeben hatte, gearbeitet zu haben? Er berichtete Briefke davon und dieser klopfte ihm mit anerkennender Geste auf die Schulter „Na also, sag ich doch! Dann ist ja bei Dir doch noch was zu retten! Noch mehr Wein?“

      Natürlich noch mehr Wein.

      „Verstehst Du jetzt, Richard? Je größer das Rad ist, an dem Du drehst, desto weniger wird den Leuten auch nur der geringste Verdacht kommen, dass irgendetwas daran faul sein könnte. Und wenn der Damm doch mal einen Riss zeigt, dann erfindest Du halt irgendeine noch größere Sauerei, die davon ablenkt. Du kannst aber auch einfach irgendwelchen Quatsch machen, um die Leute zu beeindrucken. Die glauben einfach alles. Weißt du, was ich mache? Ich schalte manchmal Anzeigen in irgendwelchen Zeitungen. Nur so zum Spaß.“

      „Und was steht da drin?“

      „Keine Ahnung, alles mögliche. Sachen halt. Jetzt zum Beispiel habe ich gerade..“, er nahm eine Zeitung von einem der Beistelltische, blätterte darin herum, und legte Pfeffer schließlich einen Artikel mit der Überschrift „Flensburger Arzt erneut ausgezeichnet“, vor, „das hier, das habe ich gerade als letztes gemacht. Ich schicke denen immer einen Brief, da sind dann tausend Mark drin, außerdem ein Foto, so wie das hier, und der vorgefertigte Artikel. Die drucken das immer. Immer! Und das Beste ist: die überprüfen gar nichts. Von wegen Journalisten und nur der Wahrheit verpflichtet. Was für ein Quatsch! Aber man muss aufpassen, dass man es nicht zu bunt treibt. Der hier, der war schon hart an der Grenze. Hier, lies mal.“

      Und Pfeffer las: „Die Professor-Bürger-Prinz-Stiftung hat dem aus Bremen stammenden Arzt und Wissenschaftler Dr. Clemens Bartholdy den diesjährigen Hauptpreis verliehen für seine Arbeit „Die Pseudologia Phantastica am Beispiel der literarischen Gestalt des Felix Krull.“2 Pfeffer lies die Zeitung sinken. „Das ist das Buch, das bei Dir im Büro steht!“

      „Ja, genau!“ Briefke war so vergnügt, dass er die Beine im Sessel bis vor die Brust zog und vor Freude in seiner Wipp-Bewegung jauchzte. „Verstehst Du? Felix Krull, Pseudologia Phantastica, das ist so bescheuert, dass es knallt, aber die drucken einfach ALLES! Und das kannst Du Dir dann alles in Deinen Lebenslauf schreiben, solange Du zwei Regeln beachtest: Erstens: veröffentliche niemals so etwas in der Stadt, in der Du lebst und arbeitest oder in ihrem Umfeld. Und Zweitens: behalte es erst ein, zwei Jahre im Schrank, bevor Du es jemandem zeigst, oder in Deinem Lebenslauf verwendest. Es darf nie aktuell in Umlauf kommen, sonst sind die Leute, auch die anerkennenden, so scharf darauf, dass sie womöglich noch Nachforschungen anstellen! Wenn Du Dich an ein paar Regeln hältst, dann kannst Du so gut wie alles machen! Ich habe es sogar zum Papst gebracht!“ „Zum Papst? Jetzt hör` aber auf, Gert!“

      „Nein ehrlich! Ursprünglich wollte ich Priester werden. Als wir uns damals, ich meine wir beide, als wir uns in Bremen im Park getroffen haben, war ich ja noch bei der Post, aber andererseits auch gerade dabei mein Abitur-Zeugnis zu erstellen. Ich habe es übrigens genau so wie Du gemacht und erst viel später professionell korrigiert. Aber egal, ich bin dann erst mal Rechtspfleger geworden, aber das war einfach nur langweilig. Als ich mal den Papst im Fernsehen gesehen habe, fand ich das eigentlich ganz gut. Das hatte schon Schneid mit dem ganzen goldenen Pomp, und wie sie ihn alle angehimmelt haben und so weiter. Das war noch, bevor sie auf ihn geschossen haben. Na ja sei’s drum, auf jeden Fall – ich war ja jung – dachte ich mir, dass ich ja wohl auch einen ganz guten Papst abgeben würde und habe mich an der Uni für Theologie eingeschrieben. Irgendwann haben dann die Jesuiten in Mainz eine Audienz vermittelt und ich war dabei. Da bin ich zum Papst, habe ihm die Hand geschüttelt und gesagt: Wissen Sie, Euer Heiligkeit, Ihr Stuhl, der wird mal mir gehören!“

      „Und was hat der Papst