Название | Coaching |
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Автор произведения | Sonja Becker |
Жанр | Зарубежная публицистика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная публицистика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783945562000 |
William James, von 1867 bis 1868 Medizinstudent in Berlin, war von der deutschen Grundstimmung so erfasst, dass er daraufhin seinen Pragmatismus „erfand“, um sich von der in Deutschland erfahrenen Melancholie zu befreien: „Oh God! An end to idle, idiotic sinking into Vorstellungen disproportionate to the object“ (zit. in Melancholie 182). Melancholie – nicht zuletzt ein Erbe der protestantischen Lehre Luthers, seit der man sich mit sich selbst auseinandersetzen muss – ist für William James „der Niedergang der Lebensneugierde“. Sie entsteht aus Enttäuschung über die vorgefundene Wirklichkeit und die Unfähigkeit, jene Brücke zwischen Wirklichkeit und Ideal zu gehen, die Nietzsche nahegelegt hat. Es ist übrigens die persönliche Kommunikation und die reale Beziehung mit anderen Menschen und der Wille zu tatkräftiger Arbeit, die ihn rettet: „For the remainder of the year, I will abstain from the mere speculation and contemplative Grübelei in which my nature takes most delight, and voluntarily cultivate the feeling of moral freedom, as well by acting. (...) Not in maxims, not in Anschauungen, but in accumulated acts of thought lies salvation“ (Letters, Vol. 1, 147f., zit. Melancholie 184).
Die Diskrepanz zwischen der Freiheit zur Selbstverwirklichung aus der Aufklärung und der ständigen Behinderung durch den „Staat“ als ordnende Form zieht sich, wie wir gesehen haben, wie ein roter Faden durch die deutsche Kulturgeschichte. Geblieben ist die traditionelle latente Gewohnheit, viele Dinge als schicksalsergeben hinzunehmen, die eigentlich in unsere private Lebensplanung fallen könnte. Nicht nur die Rente, auch die Karriere. „Sie alle würden die Frage: ‚wozu lebst du?’ schnell und mit Stolz beantworten – um ein guter Bürger, oder Gelehrter, oder Staatsmann zu werden – und doch sind sie etwas, was nie etwas Anderes werden kann, warum sind sie dies gerade?“. Nietzsche meint damit seine Zeitgenossen, die Angestellten seiner Zeit. Hat sich daran etwas geändert?
Wirtschaftswunder und Wirtschafts-Melancholie
WIRTSCHAFTSWUNDER UND WIRTSCHAFTS-MELANCHOLIE
Der Grundstimmung der Bundesrepublik blieb die Melancholie aufgrund der jüngsten historischen Ereignisse erhalten, und „Kompensation war und blieb das Wirtschaftswunder“, stellt der Melancholie-Experte Wolf Lepenies fest. Im sportlichen und mentalitätsgeschichtlichen Sinne sicher das „Wunder von Bern“. Die wirtschaftliche Eigendynamik der Fünfziger Jahre entspricht allerdings nicht dem Pragmatismus etwa amerikanischen Zuschnitts – es handelte sich für viele eben um „Wunder“. Erst jetzt, in der modernen Ökonomie Deutschlands im 21. Jahrhunderts, schickt sich auch die Bundesrepublik endlich an, weniger Staat und mehr Zivilbürgertum zu schaffen. Dreh- und Angelpunkt zu der Hinwendung ist die Eigenverantwortung und Verwirklichung einzelner in Gestalt der Verwirklichung ihrer Utopien, als Karriere. Tatsächlich ist, wie die Systemtheorie sagt, der Wirtschaftsmarkt der einzige Raum, der zur Verwirklichung von Utopien bleibt. Aber der moderne Markt ist nicht U-topia mit räumlicher Beschränkung, sondern A-topia, ein Raum ohne Privilegien und Grenzen, der der Ungleichheit der Menschen Rechnung trägt und jedem durch die allgemeinen Regeln der Wirtschaft eine Chance einräumt: „in einer utopischen Gesellschaft mit globalem Radius findet die Marktutopie die Bedingungen ihrer Selbstverwirklichung. Auch wenn Marktökonomen dies habituell ausblenden, so leiden ihre idealisierten Märkte bislang doch an der territorialen, ortsgebundenen und örtlich bindenden Vormundschaft des Staates.“ (Willke 2001:13)
Mit dem in Deutschland vererbten Abhängigkeitsgefühl von „Vater Staat“ ist es nun endgültig vorbei. Das Ende des Wohlfahrtsstaates ist erreicht – und damit auch das Ende des Pessimismus. Zuletzt hat sich die sozialistische Utopie an ihrer Gängelung und ihrem Einheitszwang selbst zur Strecke gebracht. Noch aber herrscht eine gewisse, wenn nicht traditionelle Art von Melancholie gegenüber den wirtschaftlichen Entwicklungen. Im wiedervereinigten Deutschland hatte sich zunächst die Utopie von „blühenden Landschaften“ als frustrierender Trugschluss erwiesen, der auch den Westen Deutschlands befällt: Je weniger Geld man hat, desto öfter stellt man sich die Frage, wofür man den speziell eingeführten „Solidaritätszuschlag“ bezahlt, der für den fast aufgegebenen „Aufbau Ost“ bestimmt ist. Keine Frage: Das Warten muss ein Ende haben. Das Handeln beginnt. Deutschland steht an einem Punkt, an dem die Überschätzung des Staates als unser Versorger Schicksalsträger nur dazu führen würde, dass es noch mehr Arbeitslose und mehr Markt-Melancholie gibt. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert kann heute niemand mehr vom Staat mit besseren Chancen ausgestattet werden.
Heute spielen alle nach den gleichen Regeln: „Statt auf Gleichheit der Menschen setzt die Marktutopie auf die Gleichheit gegenüber den Regeln des Marktes. Tatsächlich kennen diese Regeln keine Privilegien. Bill Gates unterliegt diesen Regeln in gleicher Weise wie Tante Emma, General Motors ebenso wie die Garage an der Ecke.“ (Willke 2001:9) Es kommt nur darauf an, diese Regeln zu verstehen und zu kennen.
Man kann ohne weiteres von unseren alten Einschränkungen eines ver- und fürsorgenden Staates abrücken und sich der längst realen, rigorosen Unbeschränktheit des Marktes aussetzen. „Es muss doch möglich sein, dass sich die Gesellschaft in bestimmten Dingen selbst organisiert. Es kann doch nicht sein, dass der Staat permanent die Familie, das Land, die Wirtschaft reglementiert“, sagt Markus Lüpertz, einer der wichtigsten lebenden deutschen Künstler, im Gespräch mit den traditionellen Vordenkern Günter Grass und Peter Glotz (SPIEGEL 32/2004, S. 41). Aus Angst halten noch viele lieber an der fürsorgenden Rolle des Staates fest. Während der wirtschaftlichen Rezession Anfang der Neunziger Jahre galt es in Deutschland sogar eine Zeitlang als schick, sich arbeitslos zu melden und dem Staat für eine Weile „auf der Tasche zu liegen“ – für Amerikaner ein undenkbares, vor allem „unmännliches“ Verhalten, das ihnen gar nicht in den Sinn kommen würde. „Deutsche Erwartungen an die Allgemeinbildung, die Kirche, den Staat, das Sozialwesen sind anders als die eines Amerikaners. In Deutschland ist es unchristlich, den Schwächeren nicht unter die Arme zu greifen; in Amerika ist es unmännlich, vom Staat zu leben. Die Deutschen finden Sinn in der Kritik und in der Verweigerung; die Amerikaner sehen Sinn nur im Tun.“ (Eric T. Hansen, „Typisch deutsch“, in: Süddeutsche Zeitung v. 13. Juli 2004, S. 11) Traditionell liegt auch die Schuld an der eigenen Arbeitslosigkeit in Deutschland am Staat – niemals an einem selbst. In den Vereinigten Staaten macht niemand dem Präsidenten einen Vorwurf, wenn er arbeitslos wird – höchstens sich selbst. Längst ist die Wirtschaft der Markt einer Weltgesellschaft geworden, wir aber bewegen uns immer noch in den engen Behausungen unserer nationalstaatlichen Grenzen. Deutschland ist eine Weltmacht und verhält sich wie ein ängstlicher kleiner Junge, der nichts mehr fürchtet als den Blauen Brief aus Brüssel. Leute ohne Arbeit sitzen zuhause, schauen fern und warten auf den „Ruck“, die „Wende“, den „Wechsel“, von dem die Politiker sprechen. Dass dieser Ruck von uns selbst kommen muss, werden diese nicht auszusprechen wagen. Wer aber die Globalisierung nicht verpassen will, muss den Rahmen schaffen, in dem man Karrieren und Unternehmen befördern kann. Und dafür muss man sich überlegen, für welchen Job man gerne um neun Uhr morgens vor der Tür ist.
Die moderne Wirtschaft ist vom Nationalstaat unabhängig, ob man will oder nicht: „Heute tragen Beobachtungen und Überlegungen vieler Disziplinen zu der Einsicht bei, dass die Steuerung komplexer Gesellschaftssysteme nicht der Politik überlassen werden kann. (...) Es nimmt die Einsicht zu, dass Steuerung im Wesentlichen als Selbststeuerung konzipiert sein muss.“ (Willke 2001:42) Deutschland befindet sich auf genau diesem Weg: Von der Angestelltenkultur und staatlich reguliertem Arbeitsmarkt zur selbst bestimmten Wirtschaft – und zu selbst bestimmenden Akteuren – hin zu Innovation und Unternehmertum. Deshalb muss man sich vom tradierten deutschen Glauben auf eine Veränderung „von oben“ schleunigst lösen. Dabei müssen sich sowohl Individuen als auch Unternehmen zum Teil umstrukturieren. Wer auf das Anziehen der nächsten Konjunktur wartet, um dann zu handeln, hat nicht verstanden. Die Konjunktur zieht nur dann an, wenn man jetzt handelt. Die Chance, sich in einem Unternehmen oder einem Angestelltenjob wirklich selbst zu verwirklichen, ist gering. Die meisten Menschen, die längere Zeit vergebens versucht haben, in ihrem Bereich einen neuen Job zu ergattern, verstehen langsam, dass man selbst Hand anlegen muss. Die Arbeitslosenzahlen werden nur sinken, wenn immer mehr Menschen aus der Statistik fallen. Nicht, weil sie