Als Gott dem Unternehmensberater R. begegnete. Petra Stödter

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Название Als Gott dem Unternehmensberater R. begegnete
Автор произведения Petra Stödter
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783941435704



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so dass ich ins Taumeln geriet. Spätestens jetzt hätten bei mir die Alarmglocken läuten müssen. Das taten sie wohl auch, aber ich wollte mir beweisen, dass ich gut drauf war, und ignorierte die Warnungen meines Körpers. In mir war ein unüberwindbarer Zwang weiterzulaufen, dem ich mich aus unerklärlichen Gründen nicht widersetzen konnte. Nun, ihr müsst nicht lange rätseln, was dann mit mir geschah.

      Ich spürte noch einen unbeschreiblichen Druck in meiner Brust, so als würde sich ein eiserner Ring darum legen und mir die Luft abschnüren. Aber dann spürte ich nichts mehr. Ich befand mich plötzlich über meinem Körper schwebend. Noch ehe ich diese Situation begriffen hatte, erschienen vor mir Bilder. Sie wurden wie ein Film im Schnelldurchlauf für mich abgespielt und ließen mein ganzes Leben noch einmal Revue passieren. Ich lebte es blitzschnell noch einmal durch, fühlte hierbei intensiv alle Emotionen und erkannte schmerzlich die zahlreichen Fehler, die ich begangen hatte. Aber trotzdem war alles gut - niemand klagte mich dafür an. Es war einfach nur ein Erkennen - eine klare Sicht, die mir im Leben verborgen war. Ich erschrak, als ich einen letzten Blick auf meinen leblosen Körper werfen konnte. Wie ein Stück Müll lag er völlig verlassen im dunklen Wald und schneite langsam zu. Ich war ziemlich verwirrt. Ich existierte zwar, aber vor mir lag mein Körper - getrennt von mir. Wie war das nur möglich?

      „Du bist tot - du Idiot!“ Diese Erkenntnis drang plötzlich erbarmungslos in mein Bewusstsein. Ich konnte es nicht fassen, denn ich hatte mein Sterben überhaupt nicht mitbekommen. Was sollte ich jetzt tun? Es gab keinen Weg zurück in diesen Körper - das wusste ich. Warum ich das wusste, weiß ich nicht. Ich wusste es einfach. Irgendwie trieb ich völlig orientierungslos umher. Plötzlich befand ich mich in meiner Wohnung. Es war eigenartig, denn ich hatte zuvor an die neue sündhaft teure Designereinrichtung denken müssen, von der ich nun keinen Nutzen mehr hatte. „Wirklich schade“, dachte ich in diesem Augenblick. Wie viele Leute aus meinem Freundeskreis hatten sie noch gar nicht gesehen. Zu der großen Einweihungsparty hatte ich noch nicht einmal die Einladungen verschickt. Während ich das dachte, vernahm ich in meinem Bewusstsein ein völlig anderes Denken - einen anderen Geist - der nicht zu mir gehörte, aber irgendwie auch wieder doch. Es ist schwer zu erklären.

      „Was hast du jetzt davon?“

      Nun, ich hatte nichts mehr davon, das war mir schon klar. Und mir wurde auch bewusst, dass ich mir diese Einrichtung nur zugelegt hatte, um meine Freunde damit zu beeindrucken. Es war der neueste Trend - hierauf fuhr die Jugend voll ab. Leisten allerdings konnten es sich nur die Alten. Eigentlich gefiel mir dieser glatte, unpersönliche Ufostil überhaupt nicht. Er schaffte keine Gemütlichkeit, strahlte keine Wärme aus, sondern wirkte abweisend und kühl. Die Hightech-Küche erinnerte mich stark an einen Operationssaal, so dass mir ein längerer Aufenthalt zum ausgiebigen Kochen in diesem Raum nicht möglich war, ohne dass mir hierbei eine Gänsehaut über den Rücken lief. Also hatte ich mich auf das Erwärmen von Fertiggerichten beschränkt, um nicht mehr Zeit als eben nötig in dieser Monsterküche verbringen zu müssen.

      „Was war ich doch für ein erbärmlicher Schisser!“

      „Gute Erkenntnis!“

      Der andere Geist schlich sich wieder in mein Bewusstsein. Ihr müsst ihn euch wie eine innere Stimme vorstellen, die nicht eurer Gedankenwelt entspricht. Ich glaube, es ist die Stimme Gottes - sein Geist, der mich jetzt sehr sanft mit viel Verständnis auf meine irdischen Fehler aufmerksam macht.

      Nun, ich schäme mich - ein bisschen. Ich war nun einmal der, der ich war und auch immer noch bin. Dieser Typ, den ich verkörpert habe, ist euch mit Sicherheit nicht gerade sympathisch. Aber genau diese Art von Kotzbrocken bewundert und beneidet ihr in eurer Gesellschaft. Gierige, rücksichtslose Typen kommen voran und werden anerkannt. Auch mir war gar nichts heilig. Ich zählte zu den Götzenanbetern, deren Götter Macht, Gier und Geld hießen. Somit entsprach ich voll und ganz dem Zeitgeist. In meinem Beruf als Unternehmensberater ging ich über Leichen. Unter dem Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ war immer meine erste Strategie das Einsparen von Lohnkosten, um gierigen Konzernmanagern die Gewinne noch zu optimieren. Ich ließ Köpfe rollen, vernichtete Existenzen und stopfte mir selbst hierbei ohne Skrupel die Taschen voll. Mitleid kannte ich nicht, denn Mitleid war für mich der Erfolgskiller Numero 1.

      Sicherlich wäre es oftmals auch anders gegangen. Aber Leute zu entlassen und dem verbleibenden Personal hierdurch immer mehr Arbeit aufzubürden, war immer der einfachste und sicherste Weg, um einen ersten Erfolg zu verbuchen.

      „Entdecke ich da eine Spur von Reue?“

      „Reue? Eigentlich nicht. So läuft das nun einmal bei Erfolgsmenschen. Anders geht es nun mal nicht!

      Jetzt aber genug damit. Ich muss mal wieder einen Blick auf meinen Körper werfen.“

      „Interessiert er dich noch?“

      „Ja, ich will wissen, ob man ihn bereits gefunden hat. Ich will wissen, ob man um mich trauert. Ich will wissen, was aus meinem Vermögen wird.“

      „Immer noch ganz schön materiell, mein Sohn!“

      „Ich bin ganz schön durcheinander, das kann ich dir sagen!“

      *

      Das könnt ihr doch sicher verstehen, dass ich mir um all diese Dinge Sorgen machte. Auch wenn ich mich hierbei wieder gänzlich unfrei fühlte. Ich konnte nicht abschließen und loslassen, ohne zu wissen, was da nach meinem Tod so abging.

      Außerdem machte es mir in meinem jetzigen Zustand keine große Mühe nach dem Rechten zu sehen. Schließlich konnte ich schneller als das Licht reisen. Es war mir möglich, jeden Ort auf der Stelle mit Gedankenkraft barrierelos zu erreichen.

      Mein Körper allerdings lag immer noch im Wald - vollkommen zugeschneit. Auch mein geliebter Porsche stand noch an derselben Stelle.

      „Wieso vermisst mich denn niemand?“

      „In deinem Büro vermisst man dich schon, der Arbeit wegen. Aber wer soll dich in deinem Zuhause vermissen - vielleicht deine Designereinrichtung?“

      „Nun, ganz so trostlos ist es ja auch nicht. Schließlich kannte ich eine Menge Leute und verfügte über einen sehr großen Freundeskreis!“

      „Du belustigst mich, Rainer! Was verstehst du unter Freundschaft? Du kanntest eine große Schar von berechnenden Geiern. Niemanden deiner so genannten Freunde hast du wirklich gemocht. Du hast sie zu deinem Vorteil benutzt, so wie auch sie dich aus denselben niederen Gründen um sich geduldet haben.“

      „Aber was ist mit Werner, mein Kompagnon und wirklich bester Freund? Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen und haben gemeinsam die Firma aufgebaut.

      Er wird mich nicht nur als Partner, sondern vielmehr als Freund vermissen - ganz sicher!“

      „Schön, dass du das Beste von ihm denkst!“

      Wie ihr euch schon denken könnt, dachte ich mich auf der Stelle in Werners Büro.

      Ich sah ihn über Aktenberge brüten. Es war mir möglich, in seinen Geist einzutauchen und seine Gedanken wahrzunehmen:

      „Wo treibt das Arschloch sich bloß wieder herum? Wahrscheinlich wieder versackt bei irgendeiner Tussi.“

      Ich war geschockt über seine Denkweise. Mit der Energie meines Geistes ließ ich auf der Stelle alle Lampen flackern, bis Werner auf den Gang hinausstürzte und hierbei völlig gereizt die erschrockene Lindner an der Rezeption anbrüllte: „Was ist hier los mit dem Strom?“

      Oh, das machte Spaß. Ich trieb es jetzt in sämtlichen Räumen mit den Lampen und unterbrach die Stromzufuhr zu allen Computern. Die Lindner rannte aufgeregt zum Sicherungskasten und rief völlig außer Atem: „Es sind alle Sicherungen an ihrem Platz!“ Werner schob das nervöse Frauenzimmer hieraufhin barsch zur Seite und überzeugte sich selbst von ihrer für ihn unglaubwürdigen Aussage. Die Lampen flackerten weiterhin - an - aus - an - aus, immer schneller im fliegenden Wechsel, bis die Röhren platzten. Ich trieb es richtig bunt, wie ein kleiner Poltergeist, und zog aus dem ganzen Tohuwabohu immer mehr Energie, so dass es in dieser verflixten Firma mittlerweile jedem dämmern musste, dass hier wohl übernatürliche Kräfte am Werk