Pepe S. Fuchs - Schatzjäger. Steffen Schulze

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Название Pepe S. Fuchs - Schatzjäger
Автор произведения Steffen Schulze
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783899692440



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Schüsse und Schreie nahmen kein Ende. Pepe presste seine Hände auf beide Ohren, biss sich auf die Lippe, bis er Blut schmeckte. Beißender Pulvergeruch lag in der Luft. Trotzdem passte nichts. Er hatte nur einen kurzen Blick auf das Schlachtfeld werfen können und sein Gehirn brauchte einen Moment, um die erfasste Information zu verarbeiten. Ganz langsam beruhigte sich Pepes Atmung. Obwohl sein Herz noch wie der Flügel eines Kolibris schlug, nahm seine Panik allmählich ab.

      »Reiß dich zusammen!«, schimpfte er sich selbst und schlug mit beiden Fäusten auf die staubige Erde.

      Vorsichtig rappelte er sich auf und lugte hinter dem Findling hervor. Nicht weit von ihm entfernt hatte sich im Schutze einer kleinen Baumgruppe eine schwarz uniformierte Kampfeinheit eingegraben. Ein schweres Maschinengewehr nahm eine Gruppe Soldaten unter Feuer, die sich gegenseitig Deckung gebend über das freie Feld auf die Baumstellung zustürmten. Im Feuer des Maschinengewehrs lichteten sich die Reihen der Angreifer stetig. Einer nach dem anderen stürzte wild mit den Armen fuchtelnd zu Boden. Erst jetzt fielen Pepe die merkwürdigen Helme auf, die sie trugen. Stahlhelme der polnischen Infanterie zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dazu passten auch die Karabiner, mit denen sie auf das Maschinengewehrnest feuerten.

      Plötzlich kam ein offener olivgrüner Kübelwagen, auf dem groß und deutlich die Insignien der deutschen Wehrmacht prangten, von rechts den Feldweg entlanggerast, eine dichte Staubfahne hinter sich herziehend. Der Fahrer bremste mit blockierenden Rädern kurz hinter Pepes Findling. Ein hochgewachsener Mann mit schlohweißen Haaren in der schwarzen Uniform der Waffen-SS richtete sich auf dem Beifahrersitz auf und beobachtete durch einen schweren Feldstecher das Geschehen auf der Wiese vor ihm.

      »Was ist denn hier los, spinnen die denn alle?«, entfuhr es Pepe, während das schwere Maschinengewehr eine weitere Salve den Hügel hinaufjagte.

      »Ich verstehe das auch nicht«, entgegnete der Mann im Kübelwagen ruhig, ohne sich umzusehen oder das Fernglas herunterzunehmen. »Eine Zangenbewegung. Es hätte nichts weiter gebraucht als eine Zangenbewegung. Verdammte Amateure!«

      Seine Stimme war über den Lärm des Feuergefechts kaum zu vernehmen. Trotzdem, als ob die polnischen Soldaten ihn gehört hätten, stoben sie plötzlich nach zwei Seiten auseinander. Während eine Gruppe weiter das Maschinengewehrwäldchen unter Dauerfeuer nahm, rannte die andere auf den Weg zu, den der Kübelwagen zuvor genommen hatte. Durch den leichten Abfall des Geländes waren sie hier vor dem Kugelhagel aus dem schweren MG einigermaßen sicher.

      »Na bitte, gleich haben sie sie!«

      Pepe sah zu, wie ein Drei-Mann-Team direkt auf ihn zu gerannt kam. Die Männer waren keine Soldaten. Nicht nur, dass sie während des Laufens ihre Karabiner wie Holzprügel trugen – bei einem schleifte sogar der Lauf über den Boden –, es war auch um ihre körperliche Fitness nicht besonders bestellt. Schon nach wenigen Metern hatte sich die kleine Gruppe weit auseinandergezogen. Während der erste Infanterist noch einen ganz ordentlichen Eindruck machte, als er schwer atmend an Pepes Findling vorbeistolperte, lösten die letzten beiden den starken Impuls bei ihm aus, die Sanitäter zu rufen. Ihre Gesichter glühten vor Anstrengung und hatten die Farbe eines frisch gekochten Hummers angenommen. Einer riss seinen Mund so weit auf, dass ihm Pepe sogar im Vorbeilaufen die Mandeln hätte rausnehmen können. Bei jedem Schritt rutschte ihm der Stahlhelm über die Augen. Der andere, für sein Gewicht viel zu kleine Soldat blieb neben dem Kübelwagen stehen und stützte sich schwer auf seinem Karabiner ab, wobei sich das offene Laufende tief in den Dreck bohrte.

      In die Stellung in der Baumgruppe kam jetzt ebenfalls Bewegung. Ein großer Kerl riss das schwere Maschinengewehr hoch und schwenkte auf die drei Angreifer um, richtete damit die Waffe auch direkt auf Pepe. Blitzartig ließ der sich hinter seinen Findling fallen, während das Gewehr losbellte. Das deutsche MG 42 konnte bis zu eintausendfünfhundert Schuss pro Minute abfeuern und klang dabei wie eine elektrische Kettensäge. Schon allein in der Schrecksekunde, die Pepe brauchte, um die Bedrohung zu erkennen und in Deckung zu gehen, hätten ihn auf die Entfernung von knapp einhundert Metern fünfundzwanzig Kugeln treffen müssen. Doch er spürte nichts. Sicherheitshalber tastete Pepe seinen Oberkörper ab. Kein Blut, kein aufgerissenes Fleisch, keine herausquellenden Eingeweide, was ein oder mehrere Volltreffer aus einem Maschinengewehr hervorgerufen hätten. Hier stimmte etwas nicht. Trotzdem erhob sich Pepe erst wieder, als die Schüsse verstummten. Vor ihm lag der dicke Infanterist auf dem Rücken. Sein Brustkorb sah von Weitem normal aus, außer dass er sich hob und senkte wie der Blasebalg in einer Hufschmiede. Kein Blutstropfen weit und breit.

      Mit einem Mal war es totenstill. Selbst der Wind hatte sich gelegt. Erst als das Dröhnen des Feuergefechtes in Pepes Ohren vollständig abklang, konnte er das feine Sirren einer Drohne über sich hören. Im schwindenden Licht sah er den Quadrokopter erst auf den zweiten Blick. Er schwebte über der Baumgruppe, in der sich die schwarz uniformierte Einheit eingegraben hatte. Der erste der polnischen Angreifer hatte sie eben erreicht und legte seinen Karabiner auf den MG-Schützen an, der breitbeinig und grinsend vor ihm stand. Selbst aus der Entfernung konnte Pepe sehen, wie er den Abzug erneut durchzog und hören, wie der Schlagbolzen ins Leere klickte. Keine Munition mehr. Das Grinsen fror nur kurz ein. Dann warf der Große das Maschinengewehr beiseite, zückte ein Kampfmesser und stürzte sich heulend wie ein Indianer auf den Polen. Der schoss sofort, schien aber die breite Brust seines Kontrahenten selbst auf die kurze Entfernung verfehlt zu haben. Unbeeindruckt stürmte der weiter nach vorn, schlug dem polnischen Infanteristen den Karabiner aus der Hand und verpasste ihm einen mächtigen Kinnhaken, dass der mit beiden Füßen vom Boden abhob und krachend hintüber fiel. Noch ehe er voll aufschlug, war der Große bereits über ihm und hielt ihm sein Messer an die Kehle. Reflexartig hatte Pepe den Hammer aus seinem Gürtel gezogen, holte aus und war zum Wurf bereit, als der MG-Schütze in dem Moment lachend aufstand und seinem Gegner die Hand reichte. Der griff nicht zu, sondern drehte sich zitternd zur Seite.

      »Da sind sie kolossal gescheitert. Schon wieder«, murrte der Mann mit dem Feldstecher im Kübelwagen und Pepe realisierte erst einen Augenblick später, dass er tatsächlich mit ihm gesprochen hatte. »Da kann man wer weiß wie viele Taktiklehreinheiten durchführen, das Vorgehen siegreicher Feldherren erklären und vorbeten, aber nein, die begreifen es einfach nicht! Alles Dummköpfe! Das kommt davon, weil der Gorzka nicht auf mich hören will. Schauspieler hätte er engagieren sollen. Oder wenigstens einige meiner Studenten. Das wäre wahrhaft gelebte Geschichte. Doch wer nicht hören will, muss fühlen, besser gesagt, sich mit minderwertiger Filmqualität zufriedengeben.«

      Das musste also der Geschichtsverein sein, von dem der Junge an der Anmeldung gesprochen hatte. Brave Familienväter, die sich nach Feierabend als Weltkriegssoldaten verkleideten und nachgeahmte Schlachten schlugen.

      Pepe kam nun komplett hinter seiner Findlingsdeckung hervor, klopfte sich Staub von seiner Hose und ging auf den Mann in der SS-Uniform zu.

      »Sind die Waffen entmilitarisiert?«, fragte er und hob den Karabiner auf, der neben dem noch immer schnaufenden, polnischen Hobby-Infanteristen lag.

      »So gut wie«, kam lachend die Antwort. »Die Munition auf jeden Fall. Alles Platzpatronen und trotzdem nicht leicht zu bekommen. Obwohl ich mir oft wünschte, dass sie scharf schießen würden. Dann wären sie mit Sicherheit ernster bei der Sache.«

      Pepe sah sich den Mann genauer an. Er war groß und hager, hatte ein strenges Gesicht mit einem harten Zug um die Mundwinkel. Seine Haare waren etwas zu lang für sein Alter. Obwohl Pepe kein Auge dafür hatte, schätzte er den Mann auf Ende siebzig oder sogar Anfang achtzig.

      »Fast hätten wir sie gekriegt!«

      Der Dicke war wieder auf die Beine gekommen. Er hielt sein Gewehr mit beiden Händen fest und trat mit dem Fuß gegen den Lauf, um Sand und Steine herauszuschütteln.

      »Nicht mal annähernd«, entgegnete der Alte spöttisch.

      Dabei blitzten seine hellblauen Augen wie die der Eiskönigin.

      »Ihr wart viel zu langsam, habt euch zu spät für die Zangenbewegung entschieden und den Vorstoß nicht konsequent genug umgesetzt. So kann man eine Stellung der Waffen-SS nicht ausschalten.«

      Obwohl der Mann seine Worte bewusst wählte, ruhig und bestimmt sprach, war Deutsch wohl nicht seine Muttersprache.