Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie. Siebe Josephine

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Название Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie
Автор произведения Siebe Josephine
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066114596



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dem weiten Flur entgegenströmte, die geschlossenen Türen, die dicken Mauern, alles hatte einen besonderen Reiz für sie, und sie zog den Mann mit heiterer Schelmerei hinein, als die alte Magd Röse ernsthaft fragte: »Darf ich Gnaden das Haus zeigen?«

      »Ach ja, ach ja!« Das Haus ansehen, das eigene Haus, die neue Heimat.

      Die Zimmer und Flure waren niedrig, aber geräumig. Nach dem Hof hinaus lagen zwei Zimmer und ein kleiner Festsaal. In dem standen fremd, gar nicht dem Raume sich einfügend, ein paar weißlackierte, mit rotem Damast überzogene Stühle neben einem alten Eichenschrank. Die Stühle hatte die Herzogin Marie gesandt. Den Schrank hatte der Geheime Rat Ries aus dem Nachlaß der alten Frau von Nesselrode erstanden. Die Bilder der letzten Nesselrodes hingen noch an den Wänden, ein paar Zinkkannen standen auf dem Schrank. Ein wunderliches Gemisch von Prunk und Ärmlichkeit bildete auch die Einrichtung der anderen Stuben. Drei, vier neue Stücke, das andere aus dem Nachlaß erstandenes, zum Teil hundert und mehr Jahre altes Hausgerät. Es hatte keine liebevolle Hand Herrn Anthoine de Charreard und seinem jungen Weibe das Heim bereitet. Sie flatterten wirklich wie ein paar verflogene Vögel in ein fremdes Nest, fühlten aber doch rasch die Wärme des Nestes. Und Sophia Christine ging mit der hellen Freude einer ganz jungen Frau durch alle Räume des Hauses. Oben im obern weiten Flur blieben sie vor einem grünen Schrank stehen, er zeigte die Zahl 1618.

      »Damals hat's angefangen, das Unglück,« sagte die alte Magd leise, »den hat unsere alte Gnädige mitbekommen, als sie geheiratet hat.«

      Sophia Christine strich linde über das Holz, nickte versonnen und fragte: »Wo liegt die Frau begraben?«

      »In der Kapelle. Beide.«

      Ach ja, es war eine Kapelle im Hause. »Wir wollen hineingehen,« sagte Sophia Christine fromm. Sie faßte nach der Hand des Mannes und ging still neben der alten Beschließerin die Treppe hinab. Vom unteren Flur bog ein schmaler Gang ab. Der führte nach der Kapelle. Die Magd öffnete das schmale Türlein, das nach einer kleinen Empore führte. In der Wand war ein Loch, und das Holzgetäfel schien locker. Die Magd schob es zurück, eine kleine Kammer, fensterlos und muffig, wurde sichtbar. »Darin haben wir alle gelegen, als die Schweden hier waren,« redete die Alte dumpf in die Dunkelheit hinein. »Herregott, Herregott, war das eine Angst! Wenn sie uns gefunden hätten, wär's uns gegangen wie dem Lemnitzer, dem sie Jauche in den Hals gegossen haben, bis er schier verplatzt ist. Unsere alte, gnädige Frau hat den Husten gehabt, da hat sie zum Heine gesagt: ›Mach mich tot, mach mich tot, ich verrate euch sunsten.‹ Wir han ihr'n Bett übergelegt und han gedacht, sie verstickt uns, aber sie ist am Leben geblieben. Der Herr unser Gott hab' sie selig, sie war gut zu Mensch und Vieh.«

      Die Rede sank Sophia Christine tief ins Herz. Frommes Bitten quoll in ihr empor: Gott, gib mir auch eine solche Nachrede: »Gut zu Mensch und Vieh.«

      Und dann gingen die Eheleute von der Empore hinab in die kleine Kapelle und die Magd ließ sie allein: »Itze müssen die alleine sein mit dem Herrgott,« sagte sie draußen.

      Allein mit Gott, sie waren es beide.

      Die Kapelle war klein, schmucklos. Ein dürftig ausgestatteter Altar, ein paar welke Kränze an der der Tür gegenüberliegenden Wand, ein paar Bänke zur Seite und an der Decke ein Gottesauge.

      Eine Schwalbe flatterte ängstlich hin und her, sie war durch ein kleines, offenstehendes Lukchen an einem der bunten, spitzbogigen Fenster hereingeflattert, huschte ängstlich über Altar und Kanzel hinweg und fand den Ausweg nicht. Da öffnete Sophia Christine die Tür, um die Gefangene hinauszulassen, und ein breiter Strom Sonne floß in die Kapelle. In seinem Glanz knieten Anthoine de Charreard und sein junges Weib vor dem Altar nieder, waren still, und ihre Herzen waren voll Dank.

      Hand in Hand traten sie beide aus dem Hause, traten auf den Hof, und da sah Sophia Christine rechts einen losen Zaun, der einen Garten vom Hofe schied, dahinter blühte es rosig, und des Mannes Hand festhaltend, lief sie auf den Zaun zu und rief jauchzend: »Da blühen Rosen, Rosen. Ach wir haben Rosen. Viele Rosen.«

       Inhaltsverzeichnis

      Herr Anthoine de Charreard hatte sich das Leben eines deutschen Gutsherrn sehr viel leichter, viel heiterer und abwechslungsreicher gedacht. Er spürte es bald, Arbeit würde seine Tage ausfüllen, rastlose Arbeit, die ihn frühe rief und ihn bis zum Abend begleitete.

      Das Kirchlehen Pösen, einst ein stattlicher Besitz, auf dem die ritterlichen Herren von Scheiding gesessen hatten, war halb verfallen. Die Ställe schadhaft, einer ganz niedergebrannt, zum Dach regnete es herein oder schien die Sonne ins Haus, je nach des Wetters Laune. Vieh stand nur wenig in den Ställen; es waren nur ein paar magere, kümmerliche Tiere, es fehlte an Futter- und Brotgetreide, es fehlte eigentlich an allem. Und wie im Haus und auf dem Hofe, so sah es auch auf den Feldern aus. Vor drei Jahren war in der Gegend eine große Wasserflut niedergegangen, die hatte Schutt und Steine auf die Felder gespült, hatte vernichtet, was in den letzten Jahren nach dem großen Kriege mühsam aufgebaut worden war.

      Ein Landsitz für heitere Feste, frohe Gesellschaft war das Gut wahrlich nicht. Es war wie ein Hohn, wenn die junge Hausfrau in dem kleinen Saal, in dem die seidenüberzogenen Stühle standen, auf und ab ging, nachsinnend, womit sie in aller Welt nur in den nächsten Wochen den Tisch bestellen sollte.

      Dazu war Herr de Charreard kein Landwirt. Er konnte fechten, reiten, jagen, verstand sich auf die Kriegskunst und konnte zierliche Wortgewinde flechten, wenn es galt, ein Hoffest zu verschönen, doch von Ackerbau und Viehzucht verstand er kein Tipfelchen. Auch fehlte es an Geld, um die Schäden auszubessern. Der Geheime Rat Ries hatte seiner Tochter den Leinenschrank gefüllt, er hatte ihr dürftigen Hausrat mitgegeben und fünfundzwanzig Taler für Not- und Sorgentage, damit meinte er genug getan zu haben.

      An einem warmen Sommerabend nun ging ein schweres Gewitter über dem stillen Tal nieder. Sophia Christine verschlief Donner und Blitz, so müde war sie von ungewohnter Arbeit, aber als sachte von der Decke herab ein Rinnsälchen in ihr Bett lief und der Regen dachte, nach dem Hausboden muß es doch noch eine Stube zum Hineinlaufen geben, da weinte die junge Frau bitterlich.

      Und Herr Anthoine seufzte und schrieb am nächsten Tag einen beweglichen Bittbrief an seinen Schwiegervater, und Sophia Christine fügte an den hochzuverehrenden, hochgeliebten Herrn Vater die alleruntertänigste Bitte um Hilfe hinzu.

      Die Antwort kam bald, sie brachte bittere Enttäuschung.

      Der Geheime Rat Ries gedachte sich nochmals zu vermählen mit einer Frau Sibylle von Hellfeld. Diese hatte Sophia Christine schon in deren Kindheit alles gebrannte Herzeleid zugefügt. Er bedauerte sehr, nicht helfen zu können, schrieb aber, er hätte submissest dero Gnaden der Frau Herzogin das Schreiben alleruntertänigst überreicht und allergnädigst Hilfe versprochen bekommen.

      Noch am gleichen Tage überbrachte ein reitender Bote dem Herrn de Charreard zweihundert Taler, der Brief dazu war aber so demütigend für den stolzen Herrn, daß dieser das Geld seiner Frau in den Schoß warf und davonrannte. Marie de Tremouville rächte sich dafür, daß Anthoine de Charreard zu stolz gewesen war, ihren Pudel und Hausnarren zu spielen. Sie sandte ihm das Geld wie ein Almosen.

      Sophia Christine hörte zitternd den Zorn ihres Mannes toben. Das war nicht mehr der feine, höfliche Herr, und sie spürte zum ersten Mal: sie war nicht seines Stammes.

      Und dann verging Stunde um Stunde und Herr Anthoine kehrte nicht heim. Über dem stillen Tal glühte schon die Abendsonne, als Frau Sophia Christine ihren Mann suchen ging. Der Weg führte sie durch den Leutragrund, und dabei gelangte sie an das einzige noch stehende Bauernhaus; auf halbem Wege zum Walde lag es. An dem kleinen Haus verließ die junge Frau der Mut, so allein weiterzugehen in den sinkenden Abend hinaus. Scheu klopfte sie bei den Bauersleuten an, die sie erst einmal flüchtig gesehen hatte.

      In der niederen, holzgetäfelten Stube saß der Rabenvater, er las in einer Bibel, und neben ihm saß stille die Rabenmutter und spann.

      Die