Seewölfe Paket 13. Roy Palmer

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Название Seewölfe Paket 13
Автор произведения Roy Palmer
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954395026



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geholt worden waren.

      Selim fiel es nicht schwer, Antos auch weiterhin seine Rolle als „Sohn des Poseidon“ vorzugaukeln. Indem er einen halben Schritt hinter dem eilig voranstrebenden Mann zurückblieb, ließ er sich von ihm den Weg weisen und täuschte doch vor, daß er ortskundig war.

      Antos fieberte der großen Überraschung entgegen, die er den Bewohnern von Pigadia bereiten würde. Wie würde er sich an ihren verdutzten Blicken und an ihren offenen Mündern ergötzen! Hoch erhobenen Hauptes würde er mit Poseidons Sohn und dessen Gefolgschaft durch den Ort wandeln. Tanzen würde er, die Lyra streichen und dazu singen. Keiner sollte diesen Freudentag jemals wieder vergessen.

      Sie gelangten an der Einkerbung an, wo der Pfad seinen höchsten Punkt erreichte und nun leicht abfallend zwischen den Felsen zum Dorf hinunterführte. Selim sah die wenigen Lichter, die in den weißgetünchten Häusern brannten. Er blieb stehen und lächelte siegesgewiß.

      Jella trat mit wenigen Schritten neben ihn, dann verharrte auch sie. Dobran und die anderen Männer, fast drei Dutzend, blieben hinter ihnen stehen.

      Antos war weitergegangen, trunken vor Glück.

      „Warum tötest du ihn nicht?“ fragte die Frau. „Soll ich es ihm besorgen? Wir brauchen ihn jetzt, da wir wissen, wo das Dorf ist, nicht mehr. Ich steche ihm mein Messer in den Rücken.“

      „Nein. Noch nicht“, sagte Selim. „Wir wissen nicht, wie viele Männer es im Dorf gibt. Wir besiegen sie auf jeden Fall, doch sie werden sich mit allen Mitteln gegen uns zur Wehr setzen – und ich will keine Verluste in unseren Reihen.“

      „Was hast du vor?“

      „Er wird sie ablenken, wenn er wie ein Narr zwischen den Häusern herumtorkelt. Wir nutzen die Gelegenheit und fallen aus dem Hinterhalt über seine Leute her.“ Er winkte den anderen gebieterisch mit der Hand zu. „Ausschwärmen! Wir pirschen uns von drei Seiten an das Nest heran. Ich übernehme die erste Gruppe von zehn Mann, du, Dobran, führst die zweite. Osman, du kommandierst den dritten Trupp.“

      Sie trennten sich und huschten auf die Häuser zu, dunkle Gestalten in Regen und Sturmwind, die die Nacht zum Verbündeten hatten.

      Antos eilte auf das Dorf zu. Er legte den Glockenbogen auf die Saiten seines Instruments und begann seine Lieblingsweise zu spielen, um auf sich aufmerksam zu machen. Gleich treten sie aus den Häusern, dachte er, gleich fallen sie vor Ehrfurcht zu Boden.

      Doch vorerst war es nur Melania, die ihm aus einer Gasse entgegenlief. Sie hatte sich ein Tuch um den Kopf gebunden. Sie eilte leicht gebückt, beschleunigte ihre Schritte noch, als sie ihn erblickte, und griff nach seinem Arm, als sie bei ihm war.

      „Antos, Antos!“ stieß sie hervor. „Ich habe mir solche Sorgen um dich bereitet. Ich wollte schon zur Bucht hinunter, um nach dir zu suchen. Warum tust du denn so schreckliche Sachen?“

      Er hörte auf zu spielen und sah sie in einer Mischung aus Erstaunen und Verärgerung an. „Schreckliche Sachen? Habe ich dir nicht gesagt, wer erschienen ist? Sie sind da. Poseidons Sohn ist ihr Führer.“

      „Antos …“

      Er wandte sich um und gab einen Laut der Verwunderung von sich. Fast hätte er die Lyra fallen lassen. „Aber – wo sind sie denn nur geblieben?“

      „Antos“, sagte Melania verzweifelt. „So begreif doch. Es gibt sie nicht wirklich. Sie existieren nur in deinem Geist. Du träumst.“

      „Ich? Ich träume?“ Seine Augen weiteten sich, er stieß sie in einem Anflug aufsteigender Wut von sich. „Sag so was nicht noch mal! Wage es nicht, an meinen Worten zu zweifeln!“

      Melania prallte mit dem Rücken gegen die Wand eines Hauses. Iris, durch das Rufen alarmiert, stürzte aus ihrer Wohnung und rannte auf die beiden zu. Melania schlug beide Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen.

      „Laß sie in Ruhe, Antos!“ schrie Iris zornig. „Sie hat dir nichts getan! Sie will dir helfen, und du behandelst sie auch noch schlecht!“

      Antos wich zurück und schwang seine Lyra wie eine Hiebwaffe. „Geht weg – alle beide! Ich will euch nicht sehen! Ihr – ihr stört meine Kreise, jawohl, meine Kreise. Ihr habt sie verjagt.“

      Iris war neben Melania und legte schützend die Arme um sie.

      „Du bist ja völlig durchgedreht!“ rief sie dem Mann zu. „Du siehst überall Geister! Du bringst noch Fluch und Elend über dieses Dorf!“

      „Schweig!“

      Er wollte sich auf Iris stürzen, doch jetzt gingen in allen Häusern die Türen auf, und Männer, Frauen und Kinder erschienen. Die Männer, größtenteils alt, aber immer noch kräftig und entschlossen, um Antos festzuhalten, umringten den Aufgebrachten und packten seine Arme. Die Frauen bildeten eine Barriere zwischen den Männern und Melania und Iris. Die Kinder tollten im Regen herum und begriffen nicht, was geschah. Nur der kleine Kanos trat zu seiner Mutter und hielt tröstend ihre Hand.

      „Jetzt ist es aber genug, Antos“, sagte einer der alten Männer, während er heftig an dessen rechtem Arm zerrte. „Was richtest du denn an? Wenn Lagios erfährt, daß du seine Frau und Melania schlagen wolltest, bringt er dich glatt um.“

      „Der Zorn der Götter wird auch ihn treffen!“ brüllte Antos. „Poseidons Peitsche schlägt euch tot! Laßt mich los! Poseidon hat seinen Sohn geschickt, er wird euch strafen! Hört doch!“

      Brausend fuhr der Wind über die Dächer der Häuser. Er heulte durch die Gassen und trieb den Regen in die verzerrten, hier und da jetzt furchtsam werdenden Gesichter.

      „Er hat einen Dämon im Leib!“ schrie eine alte Frau. „Er hat den bösen Blick! Stoßt ihn von den Felsen in die Schlucht!“

      „Fort mit ihm!“ rief eine andere.

      „Das hast du jetzt davon“, sagte der Alte zu Antos. „Alle sind gegen dich. Bist du jetzt zufrieden?“

      Antos hörte auf, sich gegen die Griffe der Männer zu wehren. Ein Ausdruck der Verzückung nahm auf seinem Gesicht Gestalt an. Er blickte an den Köpfen vorbei zu den Häusern und sagte: „Ja, ich bin zufrieden, denn sie sind wieder da.“

      Die Dorfbewohner fuhren herum. Mitten in der Gasse, die zu Antos’ Haus führte, stand eine Horde von wilden Gestalten, bunt und exotisch, mit den Schußwaffen im Anschlag auf die Männer, Frauen und Kinder von Pigadia.

      In aufsteigender Panik versuchten die Frauen in die Seitengassen zurückzuweichen, doch plötzlich stöhnten sie auf. Auch von hier drangen jetzt Piraten gegen sie vor, verschlagen grinsende Kerle, teils in Burnusse gehüllt, teils Pluderhosen und Hemden tragend.

      „Die Gespenster“, stammelte eine große, knochige Frau. „Er hat sie gerufen – und jetzt sind sie da, um uns zu peinigen.“

      „Still!“ zischte Iris ihr zu. „Siehst du nicht, daß sie Menschen aus Fleisch und Blut sind wie wir? Auch eine Frau ist dabei.“

      „Sohn des Poseidon!“ rief Antos mit sich überschlagender Stimme. „Sieh deine treuen Diener vor dir niederknien!“

      Der alte Mann, der auf ihn eingesprochen hatte, fuhr zu den hinter ihm Stehenden herum.

      „Der Regen weicht ihnen das Zündkraut in den Waffen auf“, raunte er. „Sie werden keinen einzigen Schuß auf uns abgeben.“

      „Was hast du vor?“ flüsterte der Mann, der Antos’ linken Arm hielt. „Willst du dich gegen sie wehren? Sie sind in der Überzahl.“

      „Fliehen müssen wir!“ zischte der Alte. „Fort, nur fort, zu den Olivenhainen! Sie töten uns Männer, treiben die Kinder ins Meer und vergewaltigen die Frauen, wenn wir nicht den Durchbruch wagen.“

      „Geht zurück in die Häuser!“ rief Selim. „Das Dorf ist in unserer Gewalt! Seid nicht töricht, wagt es nicht, euch gegen uns aufzulehnen! Wir schießen jeden nieder, der … He, ihr zwei dort! Was habt ihr zu tuscheln?“

      Er hob den Kopf