Название | Seewölfe Paket 26 |
---|---|
Автор произведения | Roy Palmer |
Жанр | Языкознание |
Серия | Seewölfe - Piraten der Weltmeere |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954399949 |
Wenn er später am Nachmittag erschien, würde er vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dann hatte de Escobedo bereits die Palastwache und die Stadtgarde hinter sich und konnte demzufolge sein neugewonnenes Amt verteidigen.
Minuten später, als sie das Gefängnis verlassen hatten und die Gouverneurskalesche besteigen wollten, war es mit Cordas geheimer Freude jäh vorbei.
Der stämmige, breitschultrige Mann, der da mit energischen Schritten auf sie zumarschierte, war kein anderer als Gefängnisdirektor José Cámpora.
„Was geht hier vor?“ fuhr er die beiden Männer mit harter Stimme an. Breitbeinig blieb er stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften.
De Escobedo erinnerte sich daran, wie er mit den Leuten während seiner ersten Gouverneurs-Amtsperiode umgesprungen war. Er brauchte nur da anzuknüpfen, wo er aufgehört hatte.
„Etwas mehr Respekt“, sagte er näselnd und voller Geringschätzung. „Sie sprechen mit dem Gouverneur dieses Landes, Cámpora.“
Der Gefängnisdirektor, ein Mann mit kantigen Gesichtszügen, die von Entschlossenheit und Durchsetzungskraft zeugten, konnte nicht anders: er sperrte entgeistert den Mund auf.
Corda nutzte die Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen.
„Ich darf dies ausdrücklich bestätigen, Señor Cámpora. Ich habe vor einer Stunde die Nachricht erhalten, daß Gouverneur de Campos in Santiago de Cuba im Kampf gegen Piraten gefallen ist. Aufgrund dieser Tatsache, verbunden mit der immer noch geltenden Anweisung von seiner Exzellenz Don Antonio Quintanilla, habe ich die Entlassung Señor de Escobedos und seine sofortige Ernennung zum amtierenden Gouverneur veranlaßt.“
José Cámpora hatte seine Verblüffung überwunden. Seine steinharte Miene zeigte, daß er nicht im geringsten beeindruckt war.
„Ich teile keineswegs Ihre Meinung, Señor Corda“, sagte er energisch. „Ich spreche Ihnen schlicht das Recht ab, über eine Neubesetzung des Gouverneursamtes zu befinden – noch dazu durch eine Person, die unter schwerem Verdacht steht. Unter dem Verdacht nämlich, gemordet, das Amt mißbraucht und den König geschädigt zu haben.“
„Ihre Meinung interessiert mich nicht!“ rief Corda erbost. „Was nehmen Sie sich heraus, Mann! Verschwinden Sie! An Ihren Arbeitsplatz!“
„Sehr richtig“, sagte de Escobedo mit wutverzerrtem Gesicht. „Es könnte Ihnen sonst passieren, mein lieber Direktor, daß ich Sie wegen Vernachlässigung Ihrer Pflichten Ihres Amtes enthebe.“
Die ersten Passanten blieben auf der Straße vor dem Gefängnis stehen. Der erregte Wortwechsel kündigte einen handfesten Streit an. Das dürre Männchen mit den Puderlocken sah wichtig aus, der zerlumpte Gefangene kam den meisten bekannt vor, und ebenso viele wußten, daß Direktor Cámpora ein ganzer Kerl war, den niemand so leicht für dumm verkaufen konnte.
„Halten Sie den Mund, de Escobedo!“ rief Cámpora schnaubend. „Oder ich nehme Sie eigenhändig wieder fest. Verlassen Sie sich darauf.“
De Escobedo schluckte, wollte aufbegehren, besann sich aber. Dieser Cámpora war ein kräftiger Kerl, dem er körperlich alles andere als gewachsen war – noch dazu in seinem jetzigen Zustand.
„Und nun zu Ihnen“, wandte sich Cámpora an den zornbebenden Sekretär. „Nehmen Sie zur Kenntnis, daß das Amt des Gouverneurs bis zu einer endgültigen Entscheidung des Königs nur vom ranghöchsten Militär besetzt werden kann. In Übereinstimmung mit dem entsprechenden königlichen Erlaß geschah das übrigens völlig korrekt, als Generalkapitän de Campos das Gouverneursamt übernahm. Wenn de Campos tot ist, wird zwangsläufig der Rangnächste sein kommissarischer Nachfolger.“
„Sind Sie verrückt?“ schrie Corda, auf den Zehenspitzen wippend. „Niemand darf einen Erlaß dazu mißbrauchen, eine unfähige Person in ein Amt zu berufen!“
Natürlich wußte Cámpora, auf was der kleine Fuchs aus dem Gouverneurspalast anspielte. Capitán Don Luis Marcelo, der derzeitige Kommandant der Stadtgarde und besagte Rangnächster nach de Campos, war gewiß keine Leuchte. Aber er war immer noch besser als gar kein Gouverneur oder ausgerechnet der schuldbeladene de Escobedo.
„Keine ungerechtfertigte Kritik“, sagte Cámpora scharf. „Ich weise Sie darauf hin, daß Sie sich an das königliche Dekret zu halten haben. Im übrigen sind Sie auch nicht befugt, einen Gefangenen unter falschem Vorwand aus dem Gefängnis zu holen.“
„Das ist eine Unterstellung!“ schrie der Sekretär schrill.
Die Schaulustigen und Neugierigen rotteten sich zusammen. Auch de Escobedo besann sich wieder auf den in Aussicht gestellten Gouverneursposten und warnte Cámpora lautstark vor Amtsanmaßung. Im Handumdrehen bildete sich eine dichte Menschentraube.
José Cámpora fackelte nicht lange.
„Wache!“ brüllte er zum Haupttor hin und wies mit ausgestrecktem Arm auf den Zerlumpten neben der Gouverneurskalesche. „Dieser Mann ist verhaftet! Sofort abführen!“
De Escobedo war schneller. Das jähe Entsetzen über die womöglich doch wieder zerrinnende Freiheit und der Gedanke an seine Quälgeister von Zellengenossen verliehen ihm ungeahnte Kräfte. Mit einem Wutschrei sprang er auf Cámpora zu und verpaßte ihm zwei gemeine Hiebe. Der Gefängnisdirektor taumelte und versuchte vergeblich, nachzusetzen. Er schaffte es nicht mehr, de Escobedo festzuhalten.
Zwei, drei schnelle Schritte genügten de Escobedo, in der Menge unterzutauchen. In Sekundenschnelle war er von der Bildfläche verschwunden.
Cámpora jagte einen Trupp von vier Aufsehern hinter dem Fliehenden her. Doch er wußte von vornherein, daß die Suche ergebnislos verlaufen würde. Wer die Gassen von Havanna einigermaßen kannte, fand unzählige Versteckmöglichkeiten.
Der Ordnung halber wartete Corda, bis das Suchkommando mit leeren Händen zurückkehrte. Er fühlte sich beileibe nicht mehr wohl in seiner Haut. Die Einsicht, daß sein Vorhaben gründlich daneben gegangen war, schmerzte. Dahin war der Traum von der grauen Eminenz und dem heimlichen Herrscher hinter den Kulissen.
Der kleine, fuchsgesichtige Sekretär war von einer Stunde zur anderen wieder zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.
4.
Mit Beginn der Abenddämmerung füllte sich die Bodega „Cascabel“ sehr rasch. Hatte den ganzen Nachmittag über eine eher schläfrige Stimmung geherrscht, so kündigten sich nun der Trubel und die überschäumende Ausgelassenheit der Nacht an.
Der blecherne Klang der Schelle über dem Eingang war in dieser Stunde des Zwielichts fast ununterbrochen zu hören. Das Glöckchen – Cascabel –, verdeutlichte den Namen der Bodega und wurde durch ein Hebel-Zugwerk in Bewegung gesetzt.
Capitán Don Luis Marcelo liebte diese Zeitspanne, in der er Zeuge eines spürbaren Wechsels wurde. Den ganzen Tag über hatten sich die Menschen von irgendwelchen Zwängen knechten lassen – von der Arbeit oder einfach von der Notwendigkeit, sich bei Licht nicht blicken zu lassen. Die Stadtgardisten hatten die unangenehme Eigenschaft, sich Gesichter, die ihnen einmal aufgefallen waren, genau einzuprägen.
Nun aber, in der Stunde zwischen Tag und Abend, fanden die Leute endlich zu sich selbst. Jetzt zeigten sie sich so, wie sie wirklich waren – redselig, ausgelassen und lärmend, aber auch bösartig, hinterhältig und handgreiflich. Stimmengewirr erfüllte den Schankraum unter den mächtigen Deckenbalken. Der Geruch von Rotwein, Rum und Bier breitete sich aus. Ein paar Leute rauchten Tabak aus tönernen Pfeifen, wie man es den indianischen Ureinwohnern Neu-Spaniens abgeschaut hatte.
Und immer noch bimmelte die Schelle über der Eingangstür.
Capitán Don Luis Marcelo lugte durch die Streben der hohen Balustrade, die seine Nische im hintersten Winkel vom übrigen Schankraum abteilte. Er genoß es, den weichen und anschmiegsamen Körper der kleinen Halbindianerin zu spüren. Federleicht war sie auf seinem Schoß.