De Campos tot.
Himmel, im ersten Moment war eine solche Neuigkeit natürlich geeignet, auch den widerstandsfähigsten Mann zu erschüttern. Bei einer so schlimmen Nachricht konnte man den bevorstehenden Verdruß buchstäblich riechen.
Aber es galt, einen klaren Kopf zu bewahren. Corda begann, die Dinge in seinem Kopf zu sortieren. Er war nun in der Lage, seine Gedanken in gezielten Bahnen zu bewegen. Voller Zuversicht, daß er zur richtigen Entscheidung gelangen werde, leerte er das Glas.
Um den Posten des Gouverneurs von Kuba war es in der letzten Zeit höchst ungünstig bestellt. Corda hielt sich zunächst vor Augen, daß er inzwischen immerhin drei Inhaber dieses Amtes überlebt hatte. Wörtlich traf das zumindest im Fall de Campos zu.
Er, Corda, war bereits Sekretär und damit enger Vertrauter von Don Antonio de Quintanilla gewesen. Alonzo de Escobedo war der Nächste im Amt des Gouverneurs gewesen, und ihm war als Stellvertreter der Generalkapitän Don Diego de Campos gefolgt.
Und nun die Nachricht von dessen Tod.
Corda versorgte sich mit einem weiteren Gläschen Rum und gelangte zu der Ansicht, daß er Zeuge eines historischen Moments war. Nein, nicht nur Zeuge. Er gehörte zu den wesentlichen Entscheidungsträgern.
Teufel auch, vielleicht hingen die allerwichtigsten Entscheidungen sogar von ihm allein ab. Immerhin führte er in Abwesenheit des jeweiligen rechtmäßigen Gouverneurs die Geschäfte.
Richtigerweise hatte man ihm in dieser Funktion die Nachricht vom Tod des amtierenden Gouverneurs überbracht. Folgerichtig war, daß er daraus die Konsequenzen ziehen mußte. Etwas mußte geschehen.
Er faltete die Hände unter dem Kinn und blickte andächtig zur Zimmerdecke. Ohne sonderliche Mühe könnte er jetzt sich selbst in den Sattel des Gouverneurs schwingen. Die Fähigkeiten dafür hatte er.
Überhaupt, was war denn schon an Fähigkeiten erforderlich? Wenn er an den dicken Don Antonio dachte, fiel ihm fast überhaupt nichts ein. Bestenfalls List und Tücke. Nun – Corda grinste vor sich hin – mit Eigenschaften solcher Art war auch er reich gesegnet.
Sicherlich würde es ihm auch gelingen, jenen Personenkreis, der in Havanna den Ton anzugeben glaubte, von der Rechtmäßigkeit seiner Amtsübernahme zu überzeugen. Die Stadtgarde hatte er ohnehin hinter sich. Niemand konnte ihm also ernsthaft Schwierigkeiten bereiten.
Dennoch behagte ihm der Gedanke nicht, Gouverneur zu sein.
Denn ein solcher Posten hatte auch beträchtliche Nachteile. Man befand sich an exponierter Stelle, im Licht der Öffentlichkeit und war entsprechend angreifbar und verwundbar.
Sich hervorzutun oder gar das Großmaul zu spielen, war eine Eigenschaft, die Corda fehlte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, mußte er sich eingestehen, daß er lieber im Hintergrund wirkte.
Er hatte es immer verstanden, seine Fäden zu ziehen, ohne daß die Beteiligten letztlich wußten, von wem sie in bestimmte Richtungen gelenkt wurden. Im Fall de Quintanilla hatte das besonders gut funktioniert.
Dem Dicken war es ausgesprochen lästig gewesen, sich mit den vielen bürokratischen Einzelheiten seiner Amtsgeschäfte zu befassen. Daher hatte er das meiste Corda überlassen und lediglich die erforderlichen Unterschriften geleistet. Nur in den Angelegenheiten, die seine persönliche Bereicherung betrafen, hatte de Quintanilla allein entschieden.
Eine solche Regelung, überlegte Corda, war eigentlich ideal.
Er mußte der Mann im Hintergrund sein.
Die graue Eminenz!
Dazu fehlte ihm nur die passende Marionette, die er in den Gouverneurssessel hieven mußte.
Letztlich entschied natürlich der Kronrat in Spanien, wer das Gouverneursamt in Havanna ausübte. Corda erinnerte sich sehr genau, welche wohlüberlegten Regelungen der verehrte Don Antonio de Quintanilla getroffen hatte, als er abberufen worden war, um im Mutterland die Würde eines Vizekönigs über Neu-Spanien entgegenzunehmen. Zum kommissarischen Verwalter des Gouverneursamtes hatte er Señor Alonzo de Escobedo bestimmt, der ursprünglich Hafen- und Stadtkommandant gewesen war.
Nun hatte es in der Folgezeit gewisse Unregelmäßigkeiten gegeben, wegen denen sich de Escobedo zu verantworten gehabt hatte. Don Diego de Campos war in seiner Eigenschaft als Generalkapitän ranghöchster Seeoffizier in Havanna gewesen, und er hatte demzufolge das Recht und die Befugnis gehabt, die Anordnung Don Antonios bezüglich de Escobedos über den Haufen zu stoßen. Seither saß de Escobedo im Stadtgefängnis ein.
Jetzt aber war de Campos tot.
Corda grinste, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der mageren Brust. Ein Toter konnte nicht mehr als Ankläger auftreten. Folglich würde es auch nicht besonders schwierig sein, einen Prozeß gegen Alonzo de Escobedo von vornherein zu verhindern.
Punktum.
Alonzo de Escobedo war der richtige Mann für das Gouverneursamt – die geeignete Marionette. Und er, Corda, war der richtige Mann, um die Fäden zu lenken. Er lachte leise, beinahe übermütig, bei diesem Gedanken.
Alonzo de Escobedo, der arme Kerl, hatte lange genug im Gefängnis geschmachtet. Wenn man ihn herausholte, tat man nichts weiter, als die ursprüngliche Anordnung Don Antonios wieder in Kraft zu setzen. Im Grunde war es die logischste und einfachste Sache der Welt, de Escobedo in den Gouverneurssattel zu hieven, bis von Spanien aus eine andere Regelung erfolgte.
Corda lachte abermals.
Wann erfolgte schon eine solche Regelung aus Spanien! Das konnte in ein paar Jahren sein. Oder auch nie. Bis dahin war es schon besser und einträglicher, selbst die Entscheidungen zu treffen und die dafür auserwählte Strohfigur zielsicher zu lenken.
Corda wußte, daß er damit mehrere Vorteile für sich buchte. Erstens erhielt er sich den Sekretärsposten. Zweitens hatte er den kommissarischen Gouverneur de Escobedo natürlich in der Zange, da er von ihm wußte, welchen Dreck er am Stecken hatte. Folglich konnte er ihn nach Belieben erpressen, wenn das denn überhaupt erforderlich sein sollte.
Corda kicherte leise und rieb sich die Hände.
Er selbst trug bei der ganzen Regelung letzten Endes keinerlei Verantwortung. Die übernahm kraft seiner Unterschrift der kommissarische Gouverneur, der sehr verehrte Señor Alonzo de Escobedo. Er, Corda, erfüllte – für jedermann glaubhaft – lediglich treu seine Pflicht als Sekretär, wie es Don Antonio de Quintanilla angeordnet hatte.
Daß er in Wirklichkeit der heimliche Herrscher über Havanna und Kuba sein würde, sollte niemals jemand herausfinden.
Das Erwachen aus dem Mittagsschlaf war für Alonzo de Escobedo stets das unangenehmste aller Tagesereignisse. Da war jedesmal dieses fast unerträgliche Gefühl der Benommenheit, das er meist erst nach einer Stunde abschütteln konnte. Häufig war sein Schlaf in der Mittagsstunde auch von Alpträumen begleitet, die ihn schweißgebadet in die Wirklichkeit entließen.
Über eine weite, sonnendurchglühte Plaza hatten sie ihn geführt. Henkersknechte hielten seine Arme fest und stützten ihn, denn er konnte die Stufen zum Schafott nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen. Auf der Holzplattform war ein Galgen aufgebaut worden. Er wunderte sich darüber, warum der Scharfrichter trotzdem neben dem Richtblock stand und seine Hände auf den mächtigen Griff des Beidhandschwerts gelegt hatte.
Wollten sie ihn bis zur letzten Minute im Ungewissen darüber lassen, auf welche Weise er sterben würde?
Denn nun, als er den Kopf in den Nacken legte und gegen die Sonne blinzelte, sah er die Schlinge, die vom Galgen baumelte, direkt vor seiner Stirn. Der Hanfstrick pendelte im Wind und vollführte kreisende Bewegungen, als sollte er zu Tode genarrt werden.
Unvermittelt drang der Geruch in seine Nase. Dieser Geruch von fauligem Stroh in modernden Leinensäcken, vermischt mit menschlichen Ausdünstungen, übelriechenden Essensresten und der Feuchtigkeit von Mauerwerk.
Die