Mordsmäßig heilig. Barbara Merten

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Название Mordsmäßig heilig
Автор произведения Barbara Merten
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783969010204



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haben doch eine Alarmanlage! Ich geh sofort nachgucken.« Sie legte auf, noch ehe Marie etwas sagen konnte.

      Wieder starrte die Polizistin das Telefon an. »Und nun?« Sie stand auf und ging rüber zu Kowalski ins andere Zimmer. »Gibt es in Germershausen nur Bekloppte? Die Frau hat einfach aufgelegt. Jetzt kann ich warten, bis sie wieder anruft.«

      »Dann lass uns einen Kaffee trinken. Ich lade dich ein«, grinste der Polizist und ging hinüber zur Kapselmaschine. »Melange? Oder schwarz?«

      »Cappuccino, bitte«, antwortete Marie mit einem Lächeln. Mit ihrem Kollegen kam sie sehr gut aus. Er beruhigte ungemein und machte die tägliche Arbeit um einiges leichter, sowohl die öden Tage am Schreibtisch als auch die stressigen im Einsatz. Ein väterlicher Freund. Sie klönten kaum eine Viertelstunde, da bimmelte das Telefon.

      »Polizei...«

      »Kommen Sie schnell! Die Madonna ist weg!«

      Marie machte Kowalski ein Zeichen und stellte das Telefon laut, sodass er mithören konnte. »Frau Hundeshagen, beruhigen Sie sich!«, sagte sie, aber die Leitung war tot. Frau Hundeshagen hatte schon wieder aufgelegt. Marie schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. »Die lässt mich einfach nicht zu Wort kommen. Schreckliche Frau!«

      Kowalski schnappte den Autoschlüssel: »Komm, wir fahren hin und schauen uns das an. Dann können wir persönlich mit ihr reden und uns ein Bild machen.«

      Als sie in Germershausen auf dem Parkplatz vor der Wallfahrtskirche anhielten, konnten sie kaum glauben, was sich vor ihren Augen abspielte. Von allen Seiten kamen Leute, steuerten auf die Kirche zu. Einer in Hausschuhen, ein anderer in kurzer Arbeitshose, eine Frau mit Lockenwickler am Pony.

      »Was ist das denn?«, fragte Marie erstaunt.

      »Das nennt man Lauffeuer!«, grinste Kowalski. »Das ergreift im Nullkommanix ein ganzes Dorf. Die Muttergottes ist wirklich weg! Da kannst du Gift drauf nehmen.«

      Er legte den Mundschutz an und stieg aus. Von den neugierigen Dorfbewohnern angesteckt, lief er nun auch über die Wiese zur Kirche, so als würde der Papst dort stehen, um allen den Segen ›Urbi et Orbi‹ zu erteilen. Marie folgte ihm. Sie betraten das angenehm kühle Gotteshaus. An die zwanzig Bewohner des Ortes, allesamt ohne Mund-Nasen-Schutz, standen ergriffen vor den geöffneten Türen des Schreins. Jemand betete laut den Rosenkranz vor, die anderen antworteten: »Heilige Maria, ...« Kowalski blies die Backen auf und pustete unter dem Mundschutz die Luft aus. Augenblicklich beschlug seine Brille, sodass er sie abnehmen musste. »Herrschaften!«, machte er auf seine Präsenz aufmerksam. »Es tut mir leid, dass ich Sie in Ihrem Gebet störe, aber … Bitte verlassen Sie sofort die Kirche.«

      Die Menschen drehten sich zu ihm um, manche erschraken.

      »Wer hat die Mutter Gottes gestohlen?« – »Sie müssen was unternehmen!« – »In was für einer Zeit leben wir hier eigentlich?«, bombardierten ihn die Leute mit Fragen und Forderungen.

      Kowalski ging nicht darauf ein. In tiefem Bass fragte er in die Runde: »Wer von Ihnen ist Frau Hundeshagen?«

      Eine kleine zierliche Frau um die siebzig meldete sich. Sie stand abseits, telefonierte mit ihrem Handy. Kowalski ging auf sie zu, während Marie die Leute beruhigend aus der Kirche leitete. Nur eine alte Frau, die hinter der Säule zusammengekauert saß, blieb, von niemandem wahrgenommen, sitzen.

      »Ich habe gerade mit dem Dechant in Göttingen gesprochen. Der ist während der Vakanz für unsere Gemeinde zuständig. Er kommt sofort«, erklärte Frau Hundeshagen dem Wachtmeister. »Entschuldigen Sie, aber ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Wie konnte das passieren? Wir haben doch eine Alarmanlage! Scheinbar hat die jemand ausgeschaltet. Wer macht so was?«, fragte sie verzweifelt.

      »Tja, wenn ich das wüsste.« Kowalski zuckte die Achseln. Nach einer kurzen Pause meinte er: »Aber wir werden das herausfinden, Frau Hundeshagen. Die Mutter Gottes wird bald wieder an ihrem Platz stehen. Da gebe ich Ihnen mein Wort drauf. ›Maria in der Wiese‹ ohne das Gnadenbild, das geht nicht. Entschuldigen Sie, jetzt muss ich telefonieren.«

      Der Wachtmeister wandte sich ab, rief beim Duderstädter Polizeirevier an und fragte nach Kriminalhauptkommissar Christian Schneider.

      »Der ist schon nach Hause gegangen«, erklärte ihm der Polizist am anderen Ende der Leitung.

      Kowalski berichtete ihm von dem Vorfall in der Wallfahrtskirche, überlegte kurz und entschied dann: »Ich hab Schneiders Handynummer. Ich ruf ihn selbst an. Wenn ich ihn nicht erreiche, melde ich mich nochmal.«

      »Aber es ist ein anderer Diensthabender zuständig«, erwiderte der Kollege.

      »Vergiss es. Wenn uns hier einer helfen kann, dann ist das ›Schnüffel‹.« Er unterbrach die Verbindung und scrollte nach der Nummer von Schneider.

       Am ärgsten fällt der Größenwahn oft grad´ die kleinen Leute an.

      – Eugen Roth –

      Mittwochnachmittag in Duderstadt

      Am Behinderteneingang der St.-Cyriakus-Basilika in Duderstadt parkte ein Pick-up. Mehrere Decken und ein paar Bretter lagen auf der Ladefläche. An der Rückfront stand eine große Holzkiste mit Deckel. Wahrscheinlich wurde hierin Werkzeug transportiert. Der Kasten war mit einem Gurt befestigt, damit er nicht verrutschen konnte.

      Bestimmt ein Tischlerei- oder ein Restaurationsbetrieb, mutmaßte Mathilde, die mit ihrer dreijährigen Nichte Elsa vom Spielplatz kam. Eine lustige Zeichnung mit einem augenzwinkernden Wurm, der eine Holzbank repariert, grinste die Betrachterin an. ›Benedikt Holzwurm‹ stand in geschwungenen Lettern unter dem Firmenlogo. Mathilde gefiel die Zweideutigkeit. Sie rief nach Elsa.

      »Guck mal! Hier ist ein lustiger Wurm auf dem Auto!«

      Das Kind zögerte. Es schaute gerade einer Amsel zu, die einen Wurm aus dem Rasen zog und verspeiste. Erst als die Amsel davongeflogen war, kam sie angelaufen, stoppte vor dem Bild und betrachtete es eingehend. »Waru-um?«, stellte sie heute gefühlt zum hundertsten Mal ihrer Tante diese Frage, die wohl alle Dreijährigen umtreibt.

      »Warum? Weil der Mann, dem das Auto gehört, Holzwurm heißt«, erklärte Mathilde.

      »Warum heißt der Holzwurm?«

      »Ich denke, das ist sein Nachname.«

      »Ich will auch ›Holzwurm‹ heißen«, bettelte Elsa und knabberte mit ihrer kleinen Schnute – wie der Wurm auf dem Bild – an Mathildes Hand.

      »Nein, n´te«, schnalzte Mathilde mit der Zunge und zog energisch ihre Hand weg. »Das geht nicht. Du heißt doch ›Schneider‹, so wie dein Papa und Onkel Christian. Und ich auch. Das ist ein viel schönerer Name. Wenn deine Mama am Samstag den Papa heiratet, dann will sie auch ›Schneider‹ heißen und nicht mehr ›Kuckuck‹, so wie Oma und Opa in Bad Lauterberg.«

      »Waru-um?«

      »Äh, warum, warum, warum? Das musst du deine Mama fragen. Du fragst mir ja ein Loch in den Bauch«, antwortete Mathilde gereizt und zog ihre Nichte weiter. Warum ist dieses Kind so anstrengend? Waren Thomas und Moni auch so gewesen? Sie dachte an die Zeit zurück, als ihre Zwillinge drei Jahre alt waren und ihren Alltag bestimmten. Nein, sooo anstrengend waren die nicht. Sie konnten ja miteinander spielen. Da brauchte ich nicht ständig Programm machen. Heutzutage fordern das die Kinder ja von ihren Eltern regelrecht ein. Ich hätte gar nicht die Zeit gehabt. Neben dem Halbtagsjob im Büro, den Eltern, die meine Hilfe brauchten, Haus und Garten … Und Christian? Ja, der war als Kriminalbeamter auf der Leiter nach oben gefordert. Eine Fortbildung nach der anderen. ›Ich will eine leitende Funktion, keine leidende als Straßenpolizist‹, war sein Spruch, wenn ich mich beschwert hab, dass ich alles allein machen muss. Also hab ich zurückgesteckt. Ja, so war das damals.

      Die kleine Elsa riss Mathilde aus ihren Gedanken. »Tante Mathi, schau mal!«, rief