Die Geschichte von KISS. Gene Simmons

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Название Die Geschichte von KISS
Автор произведения Gene Simmons
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454441



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für arrogant, so auf die Art: „Was denkst du eigentlich, wer du bist?“ Ich konnte es einfach nicht begreifen, dass jemand außer mir die Eier hatte, sich hinzustellen und zu sagen: „Oh, ich schreibe auch Songs.“ Ich war nicht wirklich unfreundlich, aber ich hatte so viel Selbstvertrauen, dass es mich gegenüber anderen Leuten abstumpfen ließ. Meine Selbstwahrnehmung hatte auch damit zu tun, dass ich ein Einzelkind war. Ich kam aus einem anderen Land, wuchs ohne Brüder und Schwestern auf, die mir den Rücken gestärkt hätten. Meine Mutter hat die Nazi-KZs im Zweiten Weltkrieg überlebt. Mein Vater verließ uns schon früh. Ich hatte keinerlei moralische Unterstützung, und meine Mom arbeitete von früh bis spät. Das soll keine Entschuldigung sein. Du lernst mit der Zeit, dass du es nur zu was bringen kannst, wenn du dich zusammenreißt und hart arbeitest.

      PAUL STANLEY: Freundschaften, die über sehr lange Zeit bestehen, beginnen manchmal damit, dass man erst einmal eine echt starke Aversion gegen den jeweils anderen empfindet. Wir verstanden uns einfach nicht, aber eigentlich war mir das auch egal. Ich schlief deswegen nicht schlecht oder so.

      STEVE CORONEL: Als Stan gegangen war, diskutierten wir alles. Es lag für mich auf der Hand, dass Gene gegenüber Stan so einige Vorbehalte hatte, aber ich fand, dass die Kritikpunkte, die er vorbrachte, größtenteils unbegründet waren. Für mich lief eigentlich alles darauf hinaus, dass Stan eine Bedrohung für Genes Selbstverständnis als Musiker darstellte.

      NEAL TEEMAN: Ich erinnere mich, dass ich nach diesem Treffen mit Paul im Auto nach Hause gefahren bin, und er sagte: „Wow, wer zum Geier glaubt er eigentlich, dass er ist?“ Er war wirklich angewidert von ihm. Paul war mit einem guten Gefühl zu diesem Treffen gegangen, und Gene benahm sich, als wäre es ein Wettbewerb, so in der Art: „Ich kann dich schlagen.“ Ich glaube, das störte Paul.

      PAUL STANLEY: Ich mochte ihn nicht, und ich sagte zu Steve, dass ich kein Interesse daran hätte, zusammen mit ihm zu spielen. Aber dann begannen wir damit, unsere Probleme auszuräumen, und mit der Zeit findest du heraus, wer die andere Person tatsächlich ist. Wenn sich zwei Steine lange genug aneinander reiben, schleifen sie sich schließlich glatt, und alle Kanten werden abgetragen. Um mit jemandem zu arbeiten und eine lange Beziehung zu pflegen, so wie mit einem Bruder, muss man wissen, wo man die Grenzen zieht.

      STEVE CORONEL: Paul und Gene sprachen ein paar Tage später miteinander und kamen zu dem Ergebnis, dass es genug Platz für beide in einer gemeinsamen Gruppe gäbe. Weder Gene noch ich spielten viel außerhalb eines kleinen Zirkels von einer Handvoll Musiker, und keiner von denen schrieb Songs. Die Begegnung mit Stan war daher etwas Neues für uns. Gene musste akzeptieren, dass es außer ihm noch jemanden gab, der schreiben, spielen und singen konnte. Bis dahin hatte sich Gene, gleich nach den Beatles vielleicht, als die talentierteste Person unter der Sonne gefühlt. Wir riefen Stan an und fragten, ob er sich noch einmal mit uns treffen würde, zusammen mit Brooke Ostrander, einem Keyboarder, den Gene kannte, um zu quatschen und gemeinsam zu jammen. Wir trafen uns in Brookes Wohnung in New Jersey und verstanden uns prima. Stan freute sich, wieder in einer Band zu sein und jemanden zu haben, der im Wechsel mit ihm die zweite Stimme singen würde. Gene gefiel die Zusammenarbeit mit Stan, und er zeigte keine Anzeichen von Ego-Problemen mehr. Letztendlich konnten sie gut zusammenarbeiten, weil beide mit großem Ernst bei der Sache waren. Ihre musikalischen Fähigkeiten ergänzten sich. Einer konnte die Leadstimme übernehmen, während der andere die zweite Stimme beisteuerte, und sie konnten sich dabei abwechseln. Sie feilten an diesem Wechselspiel im Loft in der Canal Street. Wir trieben auch viele Späße. Das gehörte einfach zur Entwicklung ihrer Beziehung; wir haben sehr viel gelacht. Ihr origineller Sinn für Humor entwickelte sich langsam. Das ist es ja gerade, warum es solchen Spaß macht, in einer Band zu spielen: die Freude am kreativen Arbeiten sowie das Herumprobieren. Du gehst die Straße runter und du weißt, dass du zu einem engmaschigen Team gehörst. Und dann waren da noch der gemeinsame Background – aufgewachsen in Queens, jüdische Herkunft – und außerdem die gemeinsamen musikalischen Vorlieben.

      GENE SIMMONS: Paul und ich bevorzugten dieselbe Ästhetik, teilten dieselben Ideale und hatten die gleiche Arbeitsmoral, aber ansonsten waren wir verschieden wie Tag und Nacht. Wir sind wie die zwei Seiten derselben Münze. Als wir begannen, miteinander zu arbeiten, erkannte ich ihn als ein wichtiges Puzzlestück an. Paul glaubte daran, dass er es schaffen würde, und das gefiel mir.

      PAUL STANLEY: Für uns beide war der Erfolg wichtiger als alles andere. Gene war schlau und ehrgeizig und bereit, hart zu arbeiten, um etwas zu erreichen, anstelle nur darüber zu reden. Intelligenz und Tatendrang bringen einen weiter als reines Können ohne Orientierungssinn. Er war auch offen für Anweisungen und Input, und er war sehr talentiert. Zwei, die zusammenarbeiten, nicht nur als Einzelpersonen nebeneinander her, multiplizieren ihre Talente exponentiell und leisten so viel mehr. Es ist viel, viel schwerer, gewisse Ziele in die Tat umzusetzen, wenn man allein ist. Als Team gewinnt man das Spiel.

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      Stephen Coronel, der Mann, der Gene Simmons und Paul Stanley miteinander bekannt machte. Americana Hotel, New York City, 1979 Ken Sharp

      2: Erste Schritte

      Im Jahr 1972, zwei Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen, lebten Paul Stanley und Gene Simmons von Monatsgehalt zu Monatsgehalt und waren ihrem Ziel, Rockstars zu werden, noch keinen Schritt näher gekommen.

      PAUL STANLEY: Ich verbrachte viel Zeit in einem Kifferladen namens Middle Earth in der Nähe meiner Wohnung. Sie verkauften dort psychedelische Utensilien – Zigarettenblättchen, Wasserpfeifen – und hatten praktisch alles auf Lager, was das Hippie-Herz begehrte. Eines Tages kam ich in den Laden, und sie erzählten mir, dass soeben jemand von den Electric Lady Studios da gewesen wäre. Ich flippte total aus. Das war schließlich das magische neue Studio von Jimi Hendrix, und den verehrte ich. Sie sagten mir, dass sie die Telefonnummer für mich notiert hätten. Alles, was ich entziffern konnte, war „Ron“ und eine Nummer. Ich rief im Studio an und fragte: „Ist Ron da?“ Wie es das Schicksal wollte, fragte mich die Frau vom Empfang: „Welcher Ron? Shaimon Ron oder Ron Johnsen?“ Ich entschied mich für den konventionelleren Namen und antwortete: „Ron Johnsen.“ Sie verband mich mit Ron Johnsens Sekretärin, und ich erklärte ihr, dass ich in einer Band spielte und wir uns sehr freuen würden, wenn Ron sich uns mal ansehen würde. Ich rief dann später noch ein paar Mal an, immer wieder, weil Ron sich nicht meldete. Schließlich, nach ein paar Wochen, sagte ich zu irgendjemandem vom Studio: „Sag Ron, dass es an Typen wie ihm liegt, dass sich Bands wie meine auflösen.“ Und das hat ihn am Ende dazu gebracht, doch mal zum Hörer zu greifen [lacht]. Als ich dann mit Ron sprach, fand ich heraus, dass er noch nie im Middle Earth gewesen war. Es war nämlich Shaimon Ron, der Haumeister im Electric Lady [lacht]. Aber dann kam Ron Johnsen, der als Toningenieur in den Electric Lady Studios arbeitete, in unser Loft in Chinatown, um sich unsere Band, Rainbow, die sich später in Wicked Lester umbenannte, reinzuziehen. Er erklärte uns, dass wir so gut wie Three Dog Night wären [lacht]. Wir hielten das für eine gute Sache, besser als wenn er gesagt hätte, dass wir beschissen wären. Das war also unsere Eintrittskarte in die Electric Lady Studios. An der großen Sicherheitstür vorbei in diese mythischen Hallen zu kommen war die reinste Magie. Nachdem wir Ron getroffen hatten, dauerte es lange, bis wir ins Studio durften, um das Wicked-Lester-Album aufzunehmen. Wir standen quasi auf Abruf, was bedeutete, dass wir zwar nicht für die Zeit im Studio bezahlen mussten, aber dafür nur aufnehmen konnten, wenn das Studio gerade frei war. Wenn eine Session um sechzehn Uhr enden sollte, sich dann aber doch bis einundzwanzig Uhr hinzog, mussten wir eben fünf Stunden in der Lobby abhängen. Dann durften wir endlich ins Studio. Wir verbrachten so viel Zeit im Studio wie es uns unsere Freizeit eben erlaubte. Mitunter arbeiteten wir buchstäblich 24 Stunden am Tag an dieser verrückten Platte, die schließlich das Wicked-Lester-Album werden sollte. Auf diese Weise zog sich der ganze Prozess ein Jahr lang hin, ein endlos langer Zeitraum, und wenn in einem aktuellen Hit gerade eine Sitar zu hören war, dann bauten wir natürlich auch eine Sitar in den Song ein, an dem wir gerade arbeiteten. Also hatten wir letztlich ein Album ohne jeglichen Fokus oder irgendeine Richtung aufgenommen.

      GENE SIMMONS: Innerhalb der Band gab es bereits eine ziemliche Unruhe. Wir bemühten uns alle, die Band am Leben zu halten. Wir hatten einen Schlagzeuger [Tony Zarrella], einen