Die Geschichte von KISS. Gene Simmons

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Название Die Geschichte von KISS
Автор произведения Gene Simmons
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454441



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Ace vor uns. Er hatte einen eigenartigen Gang.

      Er lehnte ungefähr 20 Grad zu einer Seite, und er trug einen roten und einen orangen Converse-Sneaker. Für 1972 war das echt mal was Neues. Paul sagte: „Mann, du bist eine Stunde zu spät.“ Ace antwortete lapidar: „Ich musste mich noch um so’n Scheiß kümmern.“ Keine Entschuldigung, keine Ausreden. Er hob eine Les Paul Junior aus dem Koffer – das war damals die billigste Gibson am Markt. Mittlerweile sind sie sehr begehrt. Aber damals, als er sie auspackte, dachte ich mir: „Die Gitarre spielt der Typ?“ Sie kosteten damals so um die 80 Mäuse. Er latschte rüber zu einem der Amps, schloss die Gitarre an und drehte sich wieder herum: „Was spielen wir?“ So auf die Art: „Ich bin jetzt gerade mal vier Minuten hier, was läuft bei euch so? Warum verschwendet ihr meine Zeit?“ Ich dachte mir, dass der Kerl echt dicke Nerven hatte. Gene warf Paul so richtig angepisste Blicke zu, als ob er – wenn Andy und ich nicht da wären – diesem Typen den Schädel spalten würde. Also spielten sie ihre Songs ein zweites Mal, und sie klangen viel besser als zuvor. Ace und Paul ergänzten sich stilistisch ausgezeichnet. Pauls Spiel war geprägt von Rauheit, und Ace war sicher nicht weniger aggressiv, aber es war auch geschliffener – das passte echt gut zueinander.

      Aces Leadgitarre war sehr simpel im Vergleich zu meiner Herangehensweise. Ich zischte quer über das Griffbrett wie etwa Jimi Hendrix oder Jeff Beck. Viele von uns waren hochgradig beeinflusst von Paul Kossoff, dem Gitarristen der Gruppe Free, und davon, wie er die Saiten zog. Man konnte das auch bei Ace erkennen. Ace hatte einen gebieterischen Sound, sein Ton und sein Ansatz waren wirklich sehr kräftig. Er war der perfekte Gitarrist für KISS. Alles an ihrem Sound war auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Es war so angelegt, dass es so einfach wie möglich zu verdauen wäre. Und es funktionierte.

      Ich war sehr beeindruckt von ihren Songs, und sobald auch noch Ace mit einstieg, wurde der Sound richtig groß und voll. Sie spielten noch eine Runde. Andy und ich klatschten Beifall und sagten zu Ace: „Großartiger Klang, deine Gitarre.“ Paul legte sein Instrument weg: „Lasst uns auf den Gang hinausgehen.“ Er sagte zu uns: „Wir müssen diesem Typen die Meinung geigen und ihm den Kopf waschen, weil er uns eine Stunde hat warten lassen. Das machen wir aber nicht vor euch. Wir wollten euch die Songs vorspielen. Gene und ich werden ihm nun die Leviten lesen.“ Einen oder zwei Tage später meldete sich Paul bei mir, um mich zu löchern. Ich erklärte ihm, dass ich die Songs stark fand und dass, wenn Ace sich zusammenriss, sein Stil gut zu den Songs passen würde. KISS waren im Anmarsch.

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      Anzeige von Peter Criss im Rolling Stone, 31. August 1972 Mit freundlicher Genehmigung von Brad Estra

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      Noch als Trio proben Paul, Peter, und Gene im Loft in der 23rd Street, New York City, November 1972 KISS Catalog Ltd.

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      Suchanzeige für einen Leadgitarristen, aufgegeben von Paul Stanley in der Village Voice, Dezember 1972 Mit freundlicher Genehmigung von Ross Koondel

      4: Überlebensgroß

      Im Dezember 1972 hatte sich die Gründungsformation von KISS schließlich gefunden. Aber zu dieser Zeit waren KISS noch eher Clark Kents als Superhelden. Es sollte noch einige Monate fleißigen Herumexperimentierens und permanenter Suche nach sich selbst brauchen, bevor Superman sich aus der Telefonzelle auf die Straße hinaus wagen konnte.

      PETER CRISS: Gene und Paul und ich probten täglich acht Stunden.

      RIK FOX: Als ich sie in ihrem Loft spielen sah, konnte ich auch ohne das Make-up erkennen, in welche Richtung sich ihre Bühnenpersönlichkeiten entwickeln würden. Die Schminke war nur der Zuckerguss auf der Torte. So viel Power transportierten sie schon während der Proben.

      PETER CRISS: Vor der Zeit bei KISS hatte ich bereits in jedem Club in New York gespielt – Arthur’s, Harlows, Trudy Heller’s, im Metropole. Ich spielte auf Bar Mizwas und in Stripschuppen. Aber in jeder Band, in der ich dabei war, wollte ich nur selbst geschriebenes Material spielen. Ich sagte immer wieder: „Wir müssen uns verkleiden, Mann, lasst uns Make-up auflegen und eine Show abziehen.“ Ich verabschiedete mich von all diesen Bands und sagte ihnen: „Ich muss die richtigen Leute finden.“

      EDDIE SOLAN (FRÜHER ROADIE UND SOUNDMAN BEI KISS): Ich war ein guter Kumpel von Ace, schon lange bevor er bei KISS anfing. Ich habe ihn sogar meistens vom Haus seiner Eltern abgeholt und in meinem kleinen VW-Käfer runter ins Loft gebracht – weil ich eben ein Auto hatte und er nicht. Jeden Abend war ich im Loft dabei. Zu dieser Zeit baute ich ihnen gerade eine PA. Es war immer Pauls und Genes Band, aber nach einiger Zeit begriffen die beiden, das es Ace und Peter waren, die die Sache zum Funktionieren brachten. Gene und Paul hatten da eine gute Sache ins Rollen gebracht. Sie hatten Geschäftssinn, waren sehr kreativ und zielorientiert, aber sie hatten nicht die nötige Lockerheit des Rock ’n’ Roll, die Peter und Ace wiederum mitbrachten. Paul und Gene zeigten absolute Entschlossenheit. Ihre Einstellung ließ sich so umreißen: „Wir werden es schaffen, wage es nicht, daran zu zweifeln!“ Diese Einstellung färbte schnell auf Ace und Peter ab. Ihr Enthusiasmus und ihre Hingabe wirkten ansteckend und ermutigend auf Ace. Er hatte davor nur mit Bar-Bands zu tun gehabt. Diese Band strahlte einen anderen Vibe aus, und ich ließ mich auch gerne davon anstecken. Ich glaubte an sie und wollte ihnen so gut ich konnte helfen.

      RON JOHNSEN (PRODUZENT, WICKED LESTER): Ich sah sie in ihrem Loft und fand sie absolut umwerfend. Sie waren ungehemmt, energiegeladen, sehr wild. Sie warfen sich gegen die Wände – ein sehr körperbetonter Act, echte Rowdys. Vieles von dem, wie sie an die Sache herangingen, hatten sie sich bei Gruppen wie den New York Dolls oder The Brats abgeschaut.

      PETER CRISS: Wir kupferten viel ab. Viele unserer Ideen, die Art, wie wir Sachen machten, kam von den Beatles, Alice Cooper und den New York Dolls. Wir hielten Kriegsrat: „Wie wäre es, wenn wir das alles in einen Topf werfen?“ Und es funktionierte. Es war fantastisch.

      GENE SIMMONS: Wie die Beatles wollten wir eine Band aus vier Individuen sein. Du konntest ja schließlich Fan einer Band und gleichzeitig eines einzelnen Bandmitglieds sein. Wir waren eine Erweiterung von allem, was vor uns gekommen war. Wir waren Kinder der vorigen Generation des Rock. Alle meine Idole – die Stones, The Who und die Kinks – hatten so einen umfassenden Einfluss auf meine Weltsicht. Als ich Peter Townshend performen sah, wurde mir dieses Level an Begeisterung, das erreicht werden konnte, so richtig bewusst. Wir versuchten, uns an diesem archetypischen Image zu orientieren. Wir begannen Schminke aufzutragen, als Alice [Cooper] sie gerade abwischte, als Bowie sie hinter sich ließ – als Genesis fanden, dass es uncool wäre, Make-up aufzulegen. Uns gefiel die Idee, sich in die Lage zu versetzen, in seine eigenen Fantasien einzutauchen, dadurch eine völlig veränderte Person zu werden und doch noch dieselbe Person zu bleiben. Es ist, als ob man fünf oder sechs Jahre alt ist und gemeinsam mit seiner Schwester vor dem Spiegel steht und die Klamotten der Eltern anzieht. Du beginnst dich wie jemand anderes zu fühlen, aber du bis immer noch derselbe. Wenn du auf ein Kostümfest eingeladen bist, wirst du am ehesten ein Kostüm aussuchen, das deiner eigenen Persönlichkeit entspricht.

      LEW LINET (ERSTER MANAGER VON KISS): Jedes Mal, wenn ich bei Proben vorbeischaute, fielen mir kleine Schminkdöschen auf. Als Erstes bemerkte ich, dass sie Eyeliner trugen, dann ein bisschen Rouge, dann ein wenig Augenbrauenstift, und so entwickelte sich das immer weiter. Mit jeder Probe wurden sie ein bisschen lauter und trugen etwas mehr Make-up. Sie warfen zusammen, was sie sich erträumt hatten – eine laute, altmodische Hardrock-Band, eine Art Mischung aus Stones, Bowie und Alice Cooper.

      GENE SIMMONS: Anfangs befanden wir uns noch in der Glitter-Phase. Viele Bands hatten diesen androgynen Look, also versuchten wir es auch. Paul sah sehr überzeugend aus, ich dagegen wie ein Football-Spieler im Tutu. Der Look entwickelte sich gleichzeitig mit der Band. Als wir begannen, mit Make-up zu liebäugeln, passierte alles recht schnell. Paul und ich gingen ins Kaufhaus die Straße runter und kauften uns zwei anderthalb Meter hohe Spiegel für 15 Dollar. Als wir sie gegen die