Buddenbrooks. Thomas Mann

Читать онлайн.
Название Buddenbrooks
Автор произведения Thomas Mann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066117139



Скачать книгу

als im Speisesaal bei Tische. Er machte drollige plattdeutsche Redensarten bei jedem Stoß und rezitierte dann und wann beglückt vor sich hin:

      »Als Sachsens Marschall einst …«

      Das Verslein nahm sich wunderlich genug aus in seinem rauhen Baß …

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ziemlich spät, gegen elf Uhr, als die Gesellschaft, die sich im Landschaftszimmer noch einmal zusammengefunden hatte, beinahe gleichzeitig aufzubrechen begann. Die Konsulin begab sich sofort, nachdem sie die Handküsse aller in Empfang genommen, in ihre Zimmer hinauf, um nach dem leidenden Christian zu sehen, indem sie die Aufsicht über die Mägde beim Wegräumen des Geschirres an Mamsell Jungmann abtrat, und Mme. Antoinette zog sich ins Zwischengeschoß zurück. Der Konsul aber geleitete die Gäste die Treppe hinunter über die Diele und bis vor die Haustür auf die Straße hinaus.

      Ein scharfer Wind trieb den Regen seitwärts herunter, und die alten Krögers krochen, in dicke Pelzmäntel gewickelt, eiligst in ihre majestätische Equipage, die schon lange wartete. Das gelbe Licht der Öllampen, die vorm Hause auf Stangen brannten und weiter unten an dicken, über die Straße gespannten Ketten hingen, flackerte unruhig. Hie und da sprangen die Häuser mit Vorbauten in die Straße hinein, die abschüssig zur Trave hinunterführte, und einige waren mit Beischlägen oder Bänken versehen. Feuchtes Gras sproß zwischen dem schlechten Pflaster empor. Die Marienkirche dort drüben lag ganz in Schatten, Dunkelheit und Regen gehüllt.

      »Merci«, sagte Lebrecht Kröger und drückte dem Konsul, der am Wagen stand, die Hand. »Merci, Jean, es war allerliebst!« Dann knallte der Schlag, und die Equipage polterte davon. Auch Pastor Wunderlich und der Makler Grätjens gingen mit Dank ihres Weges. Herr Köppen, in einem Mantel mit fünffacher Pelerine, einen weitschweifigen grauen Zylinder auf dem Kopf und seine beleibte Gattin am Arm, sagte in seinem bittersten Baß:

      »'n Abend, Buddenbrook! Na, geh' 'rein, erkält' dich nicht. Vielen Dank – du? Ich habe gegessen wie lange nicht … und mein Roter zu vier Kurantmark konveniert dir also? Gut' Nacht nochmal …«

      Das Paar ging mit Konsul Kröger und seiner Familie gegen den Fluß hinunter, während Senator Langhals, Doktor Grabow und Jean Jacques Hoffstede die entgegengesetzte Richtung einschlugen …

      Konsul Buddenbrook stand, die Hände in den Taschen seines hellen Beinkleides vergraben, in seinem Tuchrock ein wenig fröstelnd, ein paar Schritte vor der Haustür und lauschte den Schritten, die in den menschenleeren, nassen und matt beleuchteten Straßen verhallten. Dann wandte er sich und blickte an der grauen Giebelfassade des Hauses empor. Seine Augen verweilten auf dem Spruch, der überm Eingang in altertümlichen Lettern gemeißelt stand: – »Dominus providebit.« Während er den Kopf ein wenig senkte, trat er ein und verschloß sorgfältig die schwerfällig knarrende Haustür. Dann ließ er die Windfangtüre ins Schloß schnappen und schritt langsam über die hallende Diele. Die Köchin, die mit einem Teebrett voll Gläser klirrend die Treppe herunterkam, fragte er: »Wo ist der Herr, Trina?«

      »Im Eßsaal, Herr Konsul …« Ihr Gesicht wurde so rot wie ihre Arme, denn sie war vom Lande und geriet leicht in Verwirrung.

      Er ging hinauf, und noch in der dunklen Säulenhalle machte seine Hand eine Bewegung nach der Brusttasche, wo das Papier knisterte. Dann trat er in den Saal, in dessen einem Winkel noch Kerzenreste auf einem der Kandelaber brannten und die abgeräumte Tafel beleuchteten. Der säuerliche Geruch der Chalottensauce lag beharrlich in der Luft.

      Dort hinten bei den Fenstern ging, die Hände auf dem Rücken, Johann Buddenbrook gemächlich auf und ab.

       Inhaltsverzeichnis

      »Na, min Söhn Johann! wo geiht di dat!« Er blieb stehen und streckte dem Sohne die Hand entgegen, die weiße, ein wenig zu kurze, aber feingegliederte Hand der Buddenbrooks. Seine rüstige Gestalt, an der nur die gepuderte Perücke und das Spitzen-Jabot weiß aufleuchtete, hob sich matt und unruhig beleuchtet von dem Dunkelrot der Fenstervorhänge ab.

      »Noch nicht müde? Ich gehe hier und horche auf den Wind … verflixtes Wetter! Kapitän Kloht ist von Riga unterwegs …«

      »O Vater, mit Gottes Hilfe wird alles gut gehen!«

      »Kann ich mich darauf verlassen? Zugegeben, daß du mit dem Herrgott auf du und du stehst …«

      Dem Konsul ward wohler zumute angesichts dieser guten Laune.

      »Ja, um zur Sache zu kommen«, fing er an, »so wollte ich Ihnen nicht nur gute Nacht sagen, Papa, sondern … aber Sie dürfen nicht böse werden, wie? Ich habe Sie mit diesem Briewe – er ist heute Nachmittag gekommen – bis jetzt nicht ennuyieren wollen … an diesem heiteren Abend …«

      »Monsieur Gotthold – voilà!« Der Alte tat, als bliebe er ganz ruhig angesichts des bläulichen, versiegelte Papieres, das er entgegennahm. »Herrn Johann Buddenbrook sen. Persönlich … Ein Mann von conduite, dein Herr Stiefbruder, Jean! Habe ich seinen zweiten Brief neulich überhaupt beantwortet? Allein er schreibt einen dritten …« Während sein rosiges Gesicht sich mehr und mehr verdüsterte, zerriß er mit einem Finger das Siegel, entfaltete rasch das dünne Papier, wandte sich schräge, daß die Schrift vom Kandelaber aus beleuchtet ward und führte einen energischen Schlag mit dem Handrücken darauf. Selbst in dieser Handschrift schien Abtrünnigkeit und Rebellion zu liegen, denn während die Zeilen der Buddenbrooks sonst winzig, leicht und schräge über das Papier eilten, waren diese Buchstaben hoch, steil und mit plötzlichem Drucke versehen; viele Wörter waren mit einem raschen, gebogenen Federzug unterstrichen.

      Der Konsul hatte sich ein wenig seitwärts bis zur Wand, wo die Stühle standen, zurückgezogen; aber er setzte sich nicht, da sein Vater stand, sondern erfaßte nur mit einer nervösen Bewegung eine der hohen Lehnen, während er den Alten beobachtete, der, den Kopf zur Seite geneigt, mit finsteren Brauen und schnell sich bewegenden Lippen las …

      »Mein Vater!

      Wohl zu Unrecht verhoffe ich, daß Ihr Rechtssinn groß genug sein wird, um die Entrüstung zu ästimieren, welche ich empfand, als mein zweiter, so dringlicher Brief in betreff der wohl bewußten Angelegenheit ohne Antwort verblieb, nachdem nur auf den ersten eine Entgegnung (ich geschweige welcher Art!) zur Hand gekommen war. Ich muß Ihnen aussprechen, daß die Art, in welcher Sie die Kluft, welche, dem Herrn sei's geklagt, zwischen uns besteht, durch Ihre Hartnäckigkeit vertiefen, eine Sünde ist, welche Sie einstmals vor Gottes Richterstuhl aufs schwerste werden verantworten müssen. Es ist traurig genug, daß Sie vor Jahr und Tag, als ich, auch gegen Ihren Willen, dem Zuge meines Herzens folgend, meine nunmehrige Gattin ehelichte und durch Übernahme eines Laden-Geschäftes Ihren maßlosen Stolz beleidigte, sich so überaus grausam und völlig von mir wandten; allein die Weise, in welcher Sie mich jetzt traktieren, schreit zum Himmel, und sollten Sie vermeinen, daß ich mich angesichts Ihres Schweigens kontentiert und still verhalten werde, so irren Sie gröblichst. – Der Kaufpreis Ihres neu erworbenen Hauses in der Mengstraße hat 100000 Kurantmark betragen und ist mir ferner bekannt, daß Ihr Sohn aus zweiter Ehe und Associé, Johann, bei Ihnen mietweise wohnhaft ist und nach Ihrem Tode mit dem Geschäfte auch das Haus als alleiniger Besitzer übernehmen wird. Mit meiner Stiefschwester in Frankfurt und ihrem Gatten haben Sie Vereinbarungen getroffen, in die ich mich nicht zu mischen habe. Was aber mich, Ihren ältesten Sohn, angeht, so treiben Sie Ihren unchristlichen Zorn so weit, es schlanker Hand zu refüsieren, mir irgendeine Entschädigungssumme für den Anteil am Hause zukommen zu lassen! Ich habe es mit Stillschweigen übergangen, als Sie mir bei meiner Verheiratung und Etablierung 100000 Kurantmark auszahlten und mir testamentarisch ein für allemal nur ein Erbteil von 100000 zusprachen. Ich war damals nicht einmal hinlänglich orientiert über Ihre Vermögensverhältnisse. Jetzt jedoch sehe ich klarer, und da