Praxisbuch psychologische Kinesiologie. Dr. Christa Keding

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Название Praxisbuch psychologische Kinesiologie
Автор произведения Dr. Christa Keding
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783954842308



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in Ihrem eigenen Tempo anzueignen.

      Den Muskeltest stelle ich Ihnen dann als das Instrument vor, mit dem wir aus Arbeitslisten mit vorgegebenen Triggerbegriffen diejenigen herausfiltern, die den Patienten in ein tieferes Verständnis seiner Reaktionsmuster hineinführen. Diese emotionalen Reaktionsweisen auf den Punkt zu bringen fördert ein entsprechendes „Umschalten“ beim nachfolgenden Stress Release.

      In einem umfangreichen Kapitel betrachte ich schließlich verschiedene Indikationen zur psychischen Begleitung (wie Psychosomatik, Ängste, Depressionen, Lebenskrisen, Sucht), immer mit Blick auf den Stellenwert von Stress Release und Muskeltest. Veranschaulicht wird deren Einsatz durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis, mal in detaillierten Szenen, mal in weiträumigen Verlaufsbeschreibungen oder auszugsweise in Stichworten.

      Auch ein „Beipackzettel mit Risiken und Nebenwirkungen“ darf nicht fehlen … Seine kurze Betrachtung leitet uns über zum abrundenden Blick auf tiefere Grundlagen im Rahmen psychischer Begleitung.

      Alles in allem richtet sich dieses Buch an Menschen, die andere in seelischen Prozessen begleiten. In erster Linie spreche ich Therapeuten und Berater an, doch selbst wer „nur“ freundschaftlich einem Mitmenschen zur Seite steht, wird von dem einen oder anderen Element Nutzen haben – die jeweiligen Grenzen zu einer professionellen Therapie, die es dann zu beachten gilt, sollten sich aus dem laufenden Text erschließen.

      Ich freue mich, dass Sie mir bis hierher lesend gefolgt sind – nun denn, gehen wir an die Arbeit!

      Lösung von emotionalem Stress

      Zum Einstieg schlage ich Ihnen eine erste Selbsterfahrung mit Stress Release vor. Lernen Sie seine Wirkung in Situationen des Alltags kennen, die mit Unannehmlichkeiten, mit Anspannung, Ärger oder Ängsten einhergehen! Gelegenheiten für einen Selbstversuch mit Stress Release könnten beispielsweise sein: ein Streit mit Nachbarn, Ärger mit dem Chef, unangenehme Post, kreisende sorgenvolle Gedanken, ein aktueller Konflikt mit dem Partner, Angst vor einem schwierigen Gespräch oder Ähnliches. Diese Art der Selbsthilfe beschränkt sich auf Bagatellanlässe – tiefgehende seelische Nöte oder auch eingeschliffene emotionale Reaktionsmuster lassen sich hingegen nicht „mal eben“ im Alleingang heilen.

      ● Suchen Sie sich einen bequemen Sitzplatz, auf den Sie sich für einige Minuten ungestört zurückziehen können. (Es geht auch im Liegen.) Dann berühren Sie Ihre beiden Stirnbeinhöcker, wie gleich beschrieben. Das sind die leicht angedeuteten „Hügel“ der Stirn, mittig oberhalb der Augenbrauen gelegen, etwa zwei Querfinger oberhalb des Brauenbogens. Berühren Sie diese Zonen entweder mit Daumen und Zeigefinger (eventuell plus Mittelfinger derselben Hand, wobei sich die Hand wie ein Bogen über die Stirn wölbt. Oder stützen Sie Ihre Ellenbogen im Sitzen auf die Knie und halten jede der Zonen mit Zeige- (plus Mittelfinger) jeweils einer Hand. Dabei ist es nicht von Bedeutung, welche Finger Sie benutzen – für die Meisten ist diese Kombination anatomisch einfach die angenehmste Haltung. Wer es lieber mag, kann auch die gesamte Handfläche quer über die Stirn legen – Hauptsache ist, dass die beiden genannten Zonen symmetrisch berührt werden.

      ● Nun lassen Sie in dieser Haltung bei geschlossenen Augen die belastende Situation auf sich wirken. Rufen Sie sich die erlebten Szenen in Erinnerung, wiederholen Sie in Gedanken die verletzenden Worte oder malen Sie sich das befürchtete Ereignis aus. Versuchen Sie nicht, absichtlich etwas beiseite zu drängen oder zu beschönigen, reden Sie sich keinesfalls etwas ein, sondern nehmen Sie nur wahr, was geschieht, wenn Sie das Unangenehme eine Weile auf sich wirken lassen. Wenn möglich, spüren Sie auch der emotionalen Stimmung nach, die mit Ihrem Thema verbunden ist.

      ● Nach einigen Minuten könnte Ihnen auffallen, dass diese Bilder, Gedanken und Gefühle anfangen zu verblassen oder dass sich die Kreisbewegungen Ihrer Gedanken auflösen oder dass sich dunkle Bilder vielleicht aufgehellt haben. Es kann sein, dass das belastende Thema hinter sonstigen Eindrücken des Tages zurücktritt und „nicht mehr so wichtig“ ist. Es kann sein, dass Ihnen eine Lösung einfällt oder dass sich ein ungeahnter Aspekt auftut. Es kann sein, dass Sie sich ruhiger oder zumindest nicht mehr so aufgewühlt fühlen. Es kann sein, dass Sie im Kopf klarer geworden sind. Zumindest wird allgemein beobachtet, dass sich nach einigen Minuten die anfangs gedachte oder gefühlte Negativität nicht mehr aufrecht erhalten lässt. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Selbsthilfe mit Stress Release abgeschlossen ist: Sie lösen die Finger wieder von der Stirn und kehren in den Alltag zurück.

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      Stress Release: Die Lage der Punkte und die Platzierung der Finger

      Meist dauert solch ein situationsbezogenes Stress Release zwischen drei und zehn Minuten. Wenn sich allerdings innerhalb von maximal zehn Minuten keinerlei positive Wandlung einstellt (Sie könnten sich zur Erinnerung einen Kurzzeitwecker stellen), haben Sie vermutlich doch ein tiefer liegendes psychisches Problem berührt, das über die „Alltagsbagatellen“ hinausgeht. Das ist nicht falsch und schadet auch nicht, denn dann wissen Sie, dass es da noch etwas zu tun gibt, was nicht durch vorübergehendes Halten der Stresspunkte zu „erledigen“ ist.

      Diese Selbsthilfe mit Stress Release hat nicht den Anspruch auf Tiefe, aber gemessen an dem minimalen Aufwand ist es eine kleine Intervention mit erstaunlicher Wirkung. Eindrucksvoll habe ich das immer wieder in unseren Kursen erfahren. Dort habe ich die Arbeitseinheit zum Stress Release immer mit einem Selbstversuch für alle Teilnehmer begonnen, in etwa so, wie ich es Ihnen hier vorgeschlagen habe. Vor mir saß die gesamte Seminargruppe und ich wusste natürlich nicht, welche Themen sich die Teilnehmer vorgenommen hatten. Nach Abschluss des Versuchs fragte ich in die Runde, wie sie es erlebt hätten. In nur wenigen Fällen gab es keinerlei lösende Wende und regelmäßig stellte sich in diesen Fällen auf meine Nachfrage heraus, dass sich hinter der vermuteten Bagatelle doch ein schwierigeres Grundthema verbarg. Die Meisten aber beschrieben Empfindungen wie Erleichterung, Ordnung im Kopf, Entspannung, Klarheit, einen zuversichtlicheren Blick. Das Minimum an Erfolg war, dass sich das Problem ein klein wenig leichter anfühlte; hin und wieder öffneten sich manchem sogar neue Türen vor dem inneren Auge.

      Als Erleichterung, die eher an der Oberfläche bleibt, leistet das Stress Release also gute Dienste zur Stabilisierung im Alltagsstress. In diesem Sinne lässt es sich durchaus auch Patienten an die Hand geben, wobei im Bewusstsein bleiben sollte, dass grundlegende Veränderungen erst durch eine spezifische begleitende Vorarbeit angestoßen werden. Doch bevor wir darauf eingehen, wie das Stress Release zu einem solchen tiefgreifenden therapeutischen Instrument wird, sollten Sie zunächst einiges zu seiner Herkunft und Wirkungsweise erfahren.

      Wandel in meiner Anwendung

      Der Begriff Stress Release stammt aus der Kinesiologie, dort auch Emotional Stress Release genannt; übersetzt bedeutet er: (Er-) Lösung von emotionalem Stress. Es geht zurück auf die Beobachtung des amerikanischen Chiropraktikers Terrence Bennett, dass sich bei längerer Berührung diverser Reflexpunkte am Schädel die Durchblutung bestimmter Gehirnareale und damit die Gehirnaktivität verändert. Auf dieser Basis entwickelten verschiedene Anwender Systeme mit teilweise recht komplexen Interventionen, um aktuellen emotionalen Stress, seelische Blockaden und psychische Folgen früherer Erfahrungen zu lösen. Wer mehr über diese kinesiologischen Methoden wissen möchte, findet in meinen Literaturhinweisen Empfehlungen dazu.

      Nach meiner Kinesiologieausbildung Ende der 1980er-Jahre begann ich nur zögerlich, in meiner damaligen Landarztpraxis die gelernten Abläufe bei Patienten anzuwenden. Zögerlich aus drei Gründen: Zu dieser Zeit waren „alternative“ heilkundliche Praktiken noch wenig geläufig und wurden misstrauisch beäugt, besonders in dem erzkonservativen Einzugsgebiet meiner Praxis. (Mit solchen „Hexereien“ hätte ich leicht meine Existenz aufs Spiel setzen können.) Eng damit verbunden war der zweite Grund: Ich hatte zwar in meiner Ausbildung die Wirkung von Stress Release selbst erlebt, fühlte