Название | Reisch un berümp! |
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Автор произведения | Reiner Hänsch |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870769 |
Die Meute brüllt weiter und Laurenz ist wieder mal der King of Schulhof. Jetzt hat er den Vogel wirklich abgeschossen und den bis jetzt besten Witz der Woche gelandet. Am lautesten lacht allerdings Vanessa Hülsemann. Das macht mich schon etwas nervös und tut mir auch ’n bisschen weh. Irgendwie denke ich ja doch noch, sie könnte vielleicht in einem ganz entfernten, längst vergessenen Winkel was für mich übrig haben.
„Wer gehört denn noch zu eurer Band? Vielleicht die alte Dröge-Semmeling? Die wär’ doch was für euch, die kann doch Keyboards!“
Kein Halten mehr. Irgendwie habe ich das Gefühl, der ganze Schulhof, ganz Jückerath, die ganze Welt lacht mit.
„Abi, du bist so ein Trottel“, zische ich ihn an und schicke ihm meinen tödlichsten Blick. Abdullah windet sich wie ein Aal und verdreht die Augen.
„Ja, tut mir lejd“, murmelt er, „aber isch bin nisch dick – hab nur schweren Knochenbau!“
„Ja, ja, ich weiß das doch.“
Dann zieht die von-Stetten-Meute grölend weiter. Ihren Spaß haben sie ja mal wieder gehabt. K.O. in der ersten Runde.
„Mensch, Abi, wie konntest du das nur erzählen? Wir sind doch noch nicht so weit“, mache ich ihn an.
„Is’ mir so rausjerutscht“, bringt er kleinlaut heraus. „Dem Blödmann muss man et doch mal zeijen! Man kann sisch doch nisch allet jefallen lassen.“
Dann holt uns der Gong zurück in die Klasse.
„Ah, da bist ja“, begrüßt mich der alte Knoche am Nachmittag in seinem Laden. Es scheint ihn etwas zu bedrücken. „Pünktlich wie die Maurer. Des g’fällt mir.“
„Hallo, Herr Knoche“, sage ich und trete ein. Es ist genau vier Uhr und ich bin da. Wie abgemacht. Tja, wie habe ich das gemacht, wo ich doch so ’ne Art Hausarrest mit Freigang zur Schule habe. Ganz einfach: gelogen hab’ ich mal wieder. Wird langsam zur schlechten Gewohnheit. Ja, ja, ich mach das nicht gerne, aber manchmal geht’s eben nicht anders.
Ich hab’ gesagt, ich müsste noch ’n paar wichtige Sachen für die Schule besorgen, und Mama Sabine hat’s mir auch geglaubt. Papa Dieter ist heute Nachmittag bei ’Saftig & Grün’.
Also, ich bin auf jeden Fall erst mal weg. Für heute jedenfalls.
„I muaß glei ins Krank’nhaus“, sagt Knoche aufgeregt. „Die hab’n mi ang’ruf’n. Der Gunni, du woaßt scho, geht’s wieder schlechter. I muaß sofort hin.”
„Oh, das tut mir leid“, entgegne ich ehrlich.
„Ja, do kann ma nix mach’n“, antwortet er traurig. „Amol besser, meist schlechter und am End …“ Und dann schluckt er und nach einer kleinen Pause sagt er: „Pass auf, Till, kannst ja vielleicht a bisserl aufräum’n und so. Schau amol. Aber do hint’n, hinter’m Vorhang hast nix zum such’n. Do brauchst nix z’mach’n, des is … äh, des is privat. Also, i möcht do nix durcheinander hab’n, verstehst?“
„Na klar, ich bin nur hier vorne im Laden“, versichere ich ihm.
„Guat. I bin in zwoa Stund’ wieder do“, sagt er und nimmt hastig seine Baseballkappe vom Haken und zieht den Pferdeschwanz hinten durch die Lasche. „Und dann zeig i dir noch a bisserl wos auf der Gitarr’n, wenn’st noch Zeit hast.“ Dabei grinst er mich an und kneift mir ein Auge. Ein echtes. Er hat keine Nervenkrankheit.
„Ja, super, Herr Knoche. Dann bis später.“
„Pfiat di.“
Dann verschwindet er und ich sehe ihm nach, wie er über den Dorfplatz zu seinem Auto hastet. Er hat einen klapprigen knallblauen Citroen 2CV Lieferwagen. Uralt. Kennern auch bekannt als Kastenente.
Wenn meine Eltern wüssten, dass ich jetzt doch hier bei Knoche sitze, ich glaube, mein Vater Dieter würde glatt schon wieder ausrasten. Er war ja schließlich deutlich genug.
„Halt dich von dem Verrückten weg!“, das haben sie ja beide gesagt. Und ich habe es auch genau verstanden.
Ich seufze also noch einmal tief durch, weil das Leben nicht einfacher wird und sehe mich dann neugierig im Laden um. Natürlich geht mein erster Blick zur Gitarre. Aber sie hängt noch immer da und wird ab jetzt brav warten, bis ich das Geld für sie bei Knoche zusammengearbeitet habe. Wenn ich das überhaupt schaffe. Wie oft muss ich denn dann noch lügen und mich heimlich wegstehlen? Oh, wenn das mal überhaupt funktioniert.
Gut, … was machen wir jetzt?
Ich sehe mich voll Lust auf ehrliche Arbeit in der Gerümpelhalde um. Wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mal etwas System reinbringe. Also beschließe ich, zunächst mal im Schaufenster von innen etwas Ordnung zu machen. Erst mal alles raus und nach hinten, damit man das Fenster mal putzen und richtig aufräumen kann - und neu dekorieren. Alles ist so verflixt staubig hier. Ob der Knoche vielleicht hinten in seinem Kabuff einen Staubsauger hat? Obwohl er zwar gesagt hat, ich soll da nicht rein … naja, ich bring ihm schon nichts durcheinander.
In seinem finsteren Hinterzimmer ist es gruselig dunkel und ich suche nach einem Lichtschalter, um überhaupt was erkennen zu können. Ah, da habe ich ihn gefunden. Die nackte Glühbirne unter der Decke beleuchtet einen sehr seltsamen Raum. Es scheint so was wie das Büro des alten Knoche zu sein. Ich sehe einen hoffnungslos mit Bergen von Zeitschriften und Papier überfüllten kleinen Schreibtisch. Daneben steht ein brummender Kühlschrank und an der Wand hängt ein Regal mit allem möglichen und unmöglichen Krimskrams.
Eine Rumpelkammer!
Einen Staubsauger gibt’s hier wahrscheinlich nicht. Mein Blick fällt in die halb geöffnete oberste Schublade des kleinen, etwas schmierigen und abgeschabten Schreibtisches. Und da liegt so ein Hefter mit völlig vergilbten Zeitungsausschnitten drin. Er fällt mir nur auf, weil der oberste Zeitungsausschnitt ein Foto von einer Band zeigt. Dafür habe ich einen Blick und es interessiert mich natürlich.
Also nehme ich den Hefter vorsichtig aus der Schublade, schaue noch mal nach vorne in den Laden – ich will wirklich nicht schnüffeln, ehrlich – nehme den Hefter mit nach vorne und sehe mir den ersten Artikel an.
Rechts oben steht „14.02.1968“ – verdammt lange her - und über dem Artikel in dicken Buchstaben:
„WALT BONE AND THE HURRICANES - HEUTE ABEND IM PFARRHEIM SANKT JOSEF!“
Und darunter eben dieses Bandfoto. Fünf Milchbubis, die ganz harte Typen sein wollen und deshalb total böse gucken, als wollten sie dem Betrachter dieses Bildes auf jeden Fall Angst einjagen oder verscheuchen. Und der allerhärteste Typ in der ersten Reihe mit dem allerbösesten Gesicht … ist eindeutig Walter Knoche.
Walt Bone, ja klar. Knoche!
Jou, das ist er. Der alte, nein, der junge Knoche, vielleicht 16 oder 17 Jahre alt mit langen Haaren, steht da breitbeinig, das Maul aufgerissen mit ’ner roten Gitarre. Das ist doch meine Gitarre! Die, die vorne im Laden hängt. Ganz sicher. Das ist sie. Na, jetzt werde ich aber noch neugieriger und – ich muss mich dafür entschuldigen - fange doch an zu schnüffeln. Was gibt’s denn auf den anderen Zeitungsausschnitten noch zu sehen? Ich blättere also ganz zittrig und nervös weiter.
Es gibt noch mehr Artikel und Fotos von dieser Band. Im nächsten Zeitungsausschnitt heißen sie allerdings schon „Mufty Walter and the Purple Doom“, sehen aus wie schillernde Paradiesvögel in engen Klamotten mit Frisuren wie Pelzmützen und sie hätten angeblich die Bevölkerung von Hinterwengern auf einem Schützenfest in den Wahnsinn getrieben. Vierhundert Leute waren wohl total begeistert, steht da. Auf dem Foto sieht man die Band auf einer kleinen Bühne, die als Kulisse kitschig gemalte Tannenbäume und Berge hat. Und darüber steht „300 Jahre Hinterwenger Schützen - Glaube - Sitte - Heimat“. Und vorne auf der Bühne steht Walter Knoche an einem Mikrofon und reißt sein Maul auf. Er singt. Knoche ist jetzt etwas älter und seine Mähne ist mächtig