Название | Furchtbare Juristen |
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Автор произведения | Ingo Muller |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871247 |
3. Justiz im Ausnahmezustand
Die sofort nach dem Reichstagsbrand erlassene Verordnung zum Schutz von Volk und Staat war die Proklamation des Ausnahmezustands und damit gleichzeitig wesentliche Grundlage der nationalsozialistischen Herrschaft sowie das Ende des Verfassungsstaates. Carl Schmitt, der Theoretiker des Ausnahmezustands, hatte zu diesem bereits 1922 »die prinzipiell unbegrenzte Befugnis, d. h. die Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung« gezählt: »Ist dieser Zustand eingetreten, so ist klar, dass der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt ... Die Entscheidung macht sich frei von jeder normativen Gebundenheit und wird im eigentlichen Sinne absolut. Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht kraft eines Selbsterhaltungsrechtes.«136 Derlei Gedanken sind also keineswegs erst im Dritten Reich entwickelt worden. Die konservative Staatstheorie war seit jeher fasziniert vom autoritären Staat und »der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm und ... die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«.137
Der Reichstagsbrand hatte einen Vorwand zur Verhängung des Ausnahmezustands geliefert, die Notsituation wurde fingiert, denn unabhängig davon, wer den Brand gelegt hatte, ob die Nazis selbst, van der Lubbe allein oder gar die Kommunisten, ein Notstand war mit dem Brand keineswegs eingetreten. Er musste vielmehr beschworen werden, um die Reichstagsbrandnotverordnung erlassen zu können mit dem angeblichen Zweck, einen kommunistischen Aufstand, für den der Brand nach der NS-Version das Fanal hätte sein sollen, niederzuschlagen. Dementsprechend lautete die Präambel der Verordnung: »Aufgrund des Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet ...« Verordnet wurde die Rechtlosigkeit des Individuums im Dritten Reich. Die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht, sich zu Vereinen zusammenzuschließen und sogar das Eigentumsrecht wurden »bis auf weiteres außer Kraft« gesetzt. »Bis auf weiteres« dauerte übrigens bis zum 8. Mai 1945, die Verordnung wurde erst von der Alliierten Militärregierung aufgehoben.
Die Zweckbindung hatte der Verordnung den Schein der Verfassungsmäßigkeit geben sollen; nach dem Wortlaut der Reichsverfassung waren Notverordnungen nämlich nur zur Bewältigung bestimmter eng eingegrenzter Notsituationen zulässig, und »zur Ausschaltung der politischen Opposition« hätte man (zumindest im Februar 1933 noch) nicht in die Präambel schreiben können. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden verstanden den wahren Zweck der Reichstagsbrandverordnung jedoch richtig. Sie nahmen es mit der Präambel nicht so genau und wandten die Verordnung sehr bald nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen alles an, was im weitesten Sinne als oppositionell galt oder die neuen Machthaber störte. Das Kammergericht in Berlin verbot den nachgeordneten Gerichten sogar die Prüfung, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen der Verordnung tatsächlich vorlagen. Es stellte fest, diese habe sämtliche »reichs- und landesrechtlichen Schranken für polizeiliche Maßnahmen beseitigt«, alle Polizeihandlungen dienten generell der Abwehr der kommunistischen Gefahr, »wobei übrigens die Frage ihrer Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer Nachprüfung durch das Gericht nicht unterliegt«.138 Und das Landgericht Berlin entwickelte – bereits 1933 – die griffige Formel, dass »alle gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerichteten Angriffe als kommunistisch im weitesten Sinne aufzufassen« seien.139
Um die Reichstagsbrandverordnung gegen alle echten oder vermeintlichen Nazi-Gegner anwenden zu können, konstruierten die Gerichte immer neue Varianten der »kommunistischen Gefahr«. Im Münsterland zum Beispiel hatte der Regierungspräsident, gestützt auf diese Verordnung, jede kirchliche Jugendgruppenarbeit verboten. Nachdem einige Mitglieder eines katholischen Jugendvereins dennoch Gruppenfahrten unternommen und gemeinsam Sport getrieben hatten, waren sie nach § 4 der Verordnung (»Zuwiderhandlung gegen Anordnungen der Behörden«) angeklagt worden. Das Landgericht Hagen hatte sie zunächst freigesprochen.140 Das Kammergericht hob den Freispruch jedoch auf, denn »diese Art der Betonung einer (konfessionellen) Spaltung trägt von vornherein den Keim einer Zersetzung des deutschen Volkes in sich, und jede derartige Zersetzung ist geeignet, den kommunistischen Bestrebungen ihrerseits Vorschub zu leisten und ihre Ziele zu unterstützen«. Dass die Katholiken immun gegen den gottesleugnenden Kommunismus seien und ihn sogar bekämpften, ließ das Kammergericht nicht gelten, denn »die so zur Schau getragene eigene Meinung kann nur zu leicht ein Ansporn für die dem Kommunismus anhängenden oder ihm nahestehenden, vielleicht gegenwärtig politisch noch schwankenden