Was Luther angerichtet hat. Bernd Rill

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Название Was Luther angerichtet hat
Автор произведения Bernd Rill
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766643018



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Hierarchie stehend verteidigt. Nach Mario Ferrara zeigte Savonarola noch kurz vor seinem Tode als Bußfertiger „eine radikale Vernichtung seiner selbst in der Unendlichkeit Gottes und ein liebendes Streben nach der Wiedergeburt des gesamten lebenden Körpers der Kirche“.

      Noch ein Wort zu den damaligen „Humanisten“ (die Benennung stammt erst aus dem 19. Jahrhundert). Das waren die Philologen, die über den wiederbelebten antiken Texten brüteten. Sie verfielen, bei allem Verdienst um die Neuschaffung eines edlen lateinischen Stils, dabei oft in grammatikalische Quisquilien oder in sterile stilistische Nachahmung etwa von Livius und Cicero, wandten ihr Motto „Zurück zu den Quellen“ (ad fontes) aber auch auf den Text der Bibel und auf die alten Kirchenväter an. Das konnte Unannehmlichkeiten mit der Kirche nach sich ziehen. So kam Johannes Reuchlin (1455 – 1522) über seine Hebräisch-Studien zur Erschließung des Alten Testamentes in Freiheit gegenüber der amtlichen lateinischen Übersetzung in der „Vulgata“.

      Der Gang „zurück zu den Quellen“ barg für die Amtskirche die Gefahr, dass ihre für verbindlich erklärte Tradition, die sich erst in all den Jahrhunderten nach dem Auftauchen der „Quellen“ gebildet hatte, in ihrer Berechtigung bezweifelt wurde. Das hatte man schon dem Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz als Irrtum angerechnet, in der Formulierung der Konzilsväter: „Die kirchliche Obödienz ist eine solche gemäß der Erfindung der Priester der Kirche gegen die ausdrückliche Autorität der Schrift.“

      Das geistige Kampfmaterial, das Luther zum Bruch mit der Papstkirche verwendete, lag schon länger bereit. Weltgeschichtliche Wirkung ist allerdings weniger eine Sache der Originalität, die Luther damit nicht einfach abgesprochen werden soll, als eine der definitiven Durchsetzung.

      Luthers Eingriff in die Diskussion um den Ablasshandel begann von Anfang an, die päpstliche Autorität infrage zu stellen. Die Kirche begründete ihre Kraft, den Ablass zu erteilen, aus dem übergroßen Schatz der Gnade Christi, der Apostel und der Heiligen, der in sie als den „mystischen Leib Christi“ eingegangen war. Formuliert war diese Auffassung zum ersten Mal durch eine Bulle des Avignon-Papstes Clemens VI. vom Januar 1343 worden, der damit das 1350 bevorstehende Jubel-Jahr, das von der großzügigen Gewährung von Sündenablass lebte, untermauern wollte. Luther bestritt das im Grundsatz nicht, jedoch das Recht des Papstes, aus diesem Schatze auszuteilen. Die Hauptsache dabei sei die persönliche Reue. Das hatten auch die geschäftstüchtigsten Ablasshändler niemals geleugnet, aber Luther vertiefte das Thema, indem er sagte, über die Echtheit der Reue könne kein anderer entscheiden, nicht einmal der Sünder selbst. Da liegt der Gedanke zugrunde, dass der Einzelne seinem Gott unmittelbar gegenübersteht, der allein die Reue zutreffend beurteilt, womit der Weg offen wird zur Leugnung kirchlicher Vermittlungsfähigkeit und Vermittlungsnotwendigkeit zwischen Gott und dem Einzelnen. Das war die Axt an der Wurzel des Heils-Monopols der Kirche (siehe den Satz „extra ecclesiam nulla salus“ – das Heil ist nur innerhalb der Strukturen der Kirche zu erlangen). Thomas von Aquin hatte sich einst für das Recht des Papstes entschieden, den Gnadenschatz der Kirche auszuteilen. Die Kirche aber war nach Luther eine mystische Gemeinschaft der Gläubigen, an deren Schatz ein jeder ohne Weiteres Anteil habe. Das ist ein Hinweis auf eine spiritualistische Auffassung von Kirche, die der offiziellen Hierarchie schon immer missfallen hat, auch schon in den Äußerungen von Wiclif und Hus.

      Da Luthers Standpunkt den Ablasshandel problematisierte, kam er dem Landesherren von Wittenberg entgegen, dem Kurfürsten Friedrich „dem Weisen“. Denn der befürchtete, ganz weltlich und zu Recht, dass damit die Finanzkraft seiner Untertanen geschmälert werde. Die auf der Sammlung von 1501 in seinen Landen zusammengebrachte Summe hatte er einbehalten und 1502 zur Gründung seiner Universität Wittenberg verwendet. Dass er selbst seinen Ehrgeiz in eine umfangreiche Reliquiensammlung setzte, die ebenfalls eine Quelle von Ablass sein konnte, stand auf einem anderen Blatt. Aber den Luther ließ er frei gewähren.

      Dieser brachte zur Verbreitung seiner 95 Thesen für das allgemeine Publikum im März 1518 seinen „Sermon von Ablass und Gnade“ heraus. Der erlebte bis 1521 wenigstens 26 Auflagen – ein erstes Zeichen, dass Luther ein befähigter Schriftsteller war, der noch dazu den Nerv der Zeit traf, und dass der Erfolg der Reformation durch die Buchdruckerkunst ungemein gefördert wurde.

      Rom hatte den Augustinerorden beauftragt, Luthers Ablassthesen genauer zu klären. Deshalb fand im April 1518 an der Universität Heidelberg unter Luthers Leitung eine Disputation statt, die ihm Gelegenheit gab, erneut seinen grundsätzlichen Standpunkt zu verkünden: Der Mensch erlangt das Heil nicht durch „gute Werke“, zu denen auch die Zahlung der Ablasssumme gehören würde, sondern allein durch seinen Glauben (sola fide), der ihm die rechtfertigende Gnade Gottes verschafft. Das beeindruckte besonders die Studenten und Magister, legte also den Samen für die weitere Ausbreitung von Luthers Gedankengut. Unter den Hörern waren nämlich auch unter anderen Martin Bucer(ius), der spätere Reformator in Straßburg und im Elsaß, und Johannes Brenz, der ab 1534 der Reformation im Herzogtum Württemberg und auch anderswo in Süddeutschland zum Durchbruch verhalf.

      Am 30. Mai 1518 schickte Luther eine rechtfertigende Abhandlung an den Papst selbst, denn auch in Rom hatte man, wie von der mit Wittenberg konkurrierenden Universität Frankfurt an der Oder aus (1506 gegründet), gegen Luther geschrieben. Seine Epistel war im Ton gemäßigt. Er wolle sich den von der Kirche akzeptierten großen Lehrern (Thomas von Aquin, die Leuchte des Dominikaner-Ordens, war allerdings nicht darunter) unterwerfen, und auch den päpstlichen Dekreten. Im Sommer 1518 eröffnete Rom den Inquisitionsprozess gegen ihn, wohl mit der flankierenden Anregung des Kurfürsten Albrecht von Mainz, des Hohenzollern, der in Solidarität zu seinem Bruder, dem Kurfürsten von Brandenburg, und zu dessen neuer Universität Stimmung gegen Friedrich den Weisen, den wettinischen Konkurrenten, zu machen versuchte, da dieser Luther gewähren ließ.

      Der wurde nach Rom vorgeladen, doch sein Kurfürst setzte es durch, dass er stattdessen kaiserliches Geleit zugesichert bekam und in Augsburg verhört wurde, durch den theologisch versierten Kardinal Cajetan (Tommaso de Vio aus Gaëta, bis 1518 Ordensgeneral der Dominikaner). Cajetan, der in der Theologie des Thomas von Aquin lebte und webte, forderte schlicht Widerruf, während Luther einen „herrschaftsfreien Diskurs“ erwartet hatte. Er machte sich beizeiten aus dem Staube und appellierte „an den besser zu informierenden Papst“. Cajetan verlangte weisungsgemäß von dem Kurfürsten die Auslieferung Luthers, oder zumindest dessen Ausweisung aus Sachsen-Wittenberg. Die Universität erteilte Luther auf Nachfrage Friedrichs des Weisen ein Unbedenklichkeitszeugnis, denn so weit war die Solidarisierung schon gediehen. Also lehnte Friedrich die Auslieferung und Ausweisung ab. Konnte er zugeben, dass seine nagelneue Universität einen Ketzer beherbergte? Luther legte nach, indem er sich nunmehr auf ein zukünftiges Konzil berief. Das roch doch etwas nach der Überordnung des Konzils über den Papst und konnte daher in Rom nicht anders als übel ankommen.

      Aber die Kurie hatte zunächst für die Sache wenig Eifer, auch wenn Cajetan dem Kurfürsten gedroht hatte, man werde die Sache nicht fallen lassen. Am 9. November 1518 erging ein päpstliches Dekret, das die Berechtigung des Pontifex zum Ablass aus dem Gnadenschatz der Kirche heraus einfach wiederholte, ohne auf Luthers Gedanken einzugehen. Wie die Dinge in Deutschland mittlerweile standen, war das viel zu wenig.

      Doch Leo X. trug Bedacht, den sächsischen Kurfürsten zu schonen. Denn bei der offenkundigen Hinfälligkeit Maximilians I. stand eine Kaiserwahl bevor. Der Papst wollte dabei keinen habsburgischen Sieger, denn in Italien stand bereits das Königreich Neapel unter spanisch-habsburgischer Herrschaft, die auch noch auf das Herzogtum Mailand als altes Reichslehen aspirierte, was den Kirchenstaat derart in die Zange genommen hätte, dass er unter habsburgische Abhängigkeit hätte fallen müssen. Das war ein altes Trauma der Päpste, das in dieser Form schon ihren Kampf gegen Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen bestimmt hatte. Also setzte Leo X. nach dem Tod Maximilians (Januar 1519) auf die Kandidatur des französischen Königs Franz I. (1515 – 1547), und hielt es für klug, Kurfürst Friedrich in Reserve zu halten, um die wahlberechtigten deutschen Kurfürsten dem Hause Habsburg, als dessen Kandidat Karl I. auftrat, König von Spanien, Herr der Niederlande und Enkel Maximilians, abspenstig zu machen. Währenddessen waren Friedrich und dessen Schützling Luther zu schonen.

      Daraus wurde nichts. Friedrich nahm die insinuierte Kandidatur nicht an, und am 28. Juni 1519 wurde Karl gewählt. Damit fiel für Rom zwar