Название | Amour bleu |
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Автор произведения | Andreas Bahlmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862872350 |
Hatte man seine musikalische Auswahl getroffen, wäre der Weg frei für das ungehemmte Zerfließen in Selbstmitleid. Danach das nahezu vollständige Erlahmen der Arbeitsfähigkeit, einhergehend mit dem Erliegen jeglicher Hygiene-Motivation und der theatralischen Erkenntnis der verflossenen Liebe als DIE eine, absolut große und wahre Liebe.
Zur Erlangung der angemessenen sozialen Aufmerksamkeit im gesellschaftlichen Umfeld lässt sich dieses komplexe Pathos-Gesamtpaket außerdem äußerst effektiv durch das laute Hören von Musik abrunden... das zerbrochene Herz mußte schließlich tränenreich wieder zusammengepuzzelt werden, auch wenn ich mich fragte, wofür und für wen.
Der Pathos des Selbstmitleids triumphierte. Ich litt Höllen-Qualen und ich ging aufs Ganze. Es landete »Unchained Melody« von den Righteous Brothers auf dem Plattenteller.
Eine der besten Entscheidungen, die diese schweren Stunden für mich treffen konnten...
»… Oh … my love … my darling … I’ve hungered for your touch …« schluchzte es triefend aus dem Lautsprecher.
Diese nicht nur erstklassig gesungene, sondern auch unverhüllt kitschige und gerade deswegen so erstklassige Rock’n’Roll –Schnulze beantwortete nicht nur nahtlos sämtliche Fragen meines todunglücklichen Daseins, sondern steigerte meinen Liebes-Schmerz noch einmal dramatisch – es war großartig!
Die eisige Decke der Vergangenheit wurde auf der Überholspur ausgebremst.
Tränen, Verzweiflung, Selbstmitleid und das Glorifizieren der verlorenen Liebe..., all das konnte ich jetzt nochmals ungehemmt beweinen, betrauern und beschmerzen.
Meine Erinnerung rebellierte mit vehementer Ratlosigkeit, schaute schließlich betreten weg und schwieg mit eisigem
Hohn.
Das Lied war viel zu früh zu Ende, meine Bilder der Liebe blieben.
Aber waren es auch ihre?
Es gab diese lähmenden Momente, ihre stillen Tränen der Einsamkeit, auf die ich nur mit Sprachlosigkeit reagierte.
Isabelle saß im Schneidersitz vor mir und lächelte traurig. Ich wollte sie berühren, ihre Haut riechen, aber meine Sinne trieben haltlos in der trüben Gefühls-Leere, und mir ging es noch viel schlechter als vorher. Liebeskummer ist eine beinharte Realität, dabei überhaupt nicht alltagstauglich und vor allen Dingen unmöglich zu ignorieren...
Zum Teufel damit!
Sollten doch alle an meinem Liebeskummer teilhaben, der so musikalisch punktgenau von den Righteous Brothers getragen wurde!
»Oh … my love … my darling …« dröhnte es nun entschieden lauter nicht mehr nur durch meine kleine Wohnung.
Wahrscheinlich fielen sich mittlerweile im Treppenhaus alle Hausbewohner inniglich in die Arme.
Danach folgte Led Zeppelins Jahrhundert-Ballade ›Stairway to Heaven‹, natürlich dreimal hintereinander. Anschließend drängte sich Led Zeppelin mit ›Black Dog‹ auf den Plattenteller.
»Hey, hey Mama, said the way you move, gonna make you sweat, gonna make you groove…« kreischte Sänger Robert Plant, bevor die Band, unnachahmlich angetrieben von Schlagzeuger John Bonham, dieses Stück in die Rockgeschichte hämmerte.
Die wilde Rückkehr meiner Seele und meines Herzens löste schlagartig schieres Entsetzen in mir aus.
Also sofort zurück zu den Righteous Brothers… und dieses Mal volle Pulle! »OH … MY LOVE … MY DARLING …« brüllte es nun bis zum Verzerren aus der Box, durch das Haus, hinaus auf die Straße und über die Stadt.
Reflexartig stieß ich unwirsch gegen den Tonarm auf dem Plattenteller. »… MY DAR … …« verabschiedete sich mit einem laut keifenden Kratzen ins musikalische Exil. Es reichte.
Mir ging es immer noch saumiserabel, aber das Leben mit seinem ganzen Schmerz begann dennoch wieder in musikalisch korrekten Bahnen zu pulsieren, um in deren Sicherheit hinein zu schlüpfen. Die Plattennadel hatte den Rock’n’Roll-Kitsch weggekratzt und George Thorogoods Version von ›One Bourbon, one Scotch, one Beer‹ vertrieb mit seinem gnadenlosen Boogie, acht Minuten und sechsundzwanzig Sekunden lang, meine geistige Liebeskummer-Lähmung.
Ich musste raus ..., aber nicht, um in irgendeiner Bar zwei Whisky – einen Bourbon und einen Scotch – anschließend mit einem Bier hinunter zu spülen...
Ich mußte einfach raus, um nicht mit den nächsten Atemzügen mein elendiges Leben auszuhauchen.
Mühsam rappelte ich mich auf, zwängte meine Füße in die Turnschuhe und griff mit kraftloser Entschlossenheit nach meiner Jacke.
Ich schaffte es ohne Zwischenfälle die Treppen hinunter und trat vor die Haustür. Draußen war es dunkel und naßkalt, trotz des Frühlings, Anfang Mai. Es hatte geregnet und ich schaute in einen mondlosen, aber sternklaren Nachthimmel.
Ich fror und zitterte in Schauern am ganzen Körper. Die vielen Tränen hatten mich körperlich und seelisch ausgemergelt, und der Heulbojen-Gesang der Righteous Brothers hatte mir den letzten Rest abverlangt.
Ich holte tief Luft und fühlte erneute Tränen in mir hochsteigen. Meine Augen brannten, aber ich ging nach vorne und nicht zurück in die Wohnung.
Hinter mir fiel die Tür ins Schloß, und ich stand wie betäubt auf dem Gehweg.
»Guten Abend, Monsieur«, hörte ich von gegenüber eine mir vertraute, freundlich warm klingende Stimme. Mein verschwommener Blick erahnte eine menschliche Silhouette, aber mein Gehör täuschte mich nicht.
Es war Djamal, der Inhaber des kleinen Lebensmittel-Magazins an der Ecke auf der anderen Straßenseite.
Anfang der sechziger Jahre, während der Kriegswirren in Algerien, war er als kleines Kind mit seinen Eltern nach Paris gekommen. Dort galt es zwar auch, gerade für Algerier, harte Lebensbedingungen zu meistern, aber sie waren dort sicherer als in ihrer Heimat, worüber sie sehr froh und dankbar waren. Djamals Vater Faruk ernährte die Familie als Straßenarbeiter. Sie lebten in sehr beengten Verhältnissen im Pariser Arbeiterviertel Belleville, wo Djamal seine Kindheit und Schulzeit verbrachte. Er war das jüngste von fünf Kindern. Sie teilten sich mit acht Personen eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung, und seine Mutter Rana kümmerte sich liebevoll um die Kinder und lachte viel mit ihnen. Sie waren eine fröhliche Familie. Nachdem er die Schule beendet hatte, arbeitete Djamal, wie sein Vater, als Straßenarbeiter.
Irgendwann, an irgendeiner Straßenbaustelle, als er mit Schaufel und Spitzhacke auf einem Gehweg inmitten aufgestapelter Pflastersteine eine tiefe Grube ausschachtete, lief ihm Azzedine über den Weg.
Es war Liebe auf den ersten Blick.
Als er dann mit Azzedine seine eigene Familie gründete, zogen sie in den Pariser Vorort La Garenne Colombes, weil ihm ein Cousin seines Vaters, der sich zur Ruhe setzen wollte, sein kleines Geschäft zur Übernahme angeboten hatte. Die junge Familie nahm das Angebot dankend an. Das Leben war hier etwas einfacher und beschaulicher, die Wohnungsmiete günstiger und der Straßenverkehr außerdem weniger gefährlich für die Kinder. Djamal fegte, wie jeden Abend und Morgen, den Gehweg und Eingangsbereich vor seinem kleinen Magazin. Das scharf bürstende Geräusch seines Reisig-Besens hallte zwischen den Hauswänden und erfüllte die ansonsten menschenleere Straße.
Ich erwiderte seinen Gruß nicht und schaute nur wortlos zu ihm hinüber. So freundlich es mir mein Gemütszustand ermöglichte, winkte ich mit einer fahrigen Handbewegung zurück.
Ich brachte sogar ein kurzes Lächeln zustande und wollte eigentlich stillschweigend weitergehen.
»Hey, Gottfried! Er kann nichts dafür, dass es dir so schlecht geht – er hat dir nichts getan,« schob es sich in meine trübsinnigen