Frau Jenny Treibel. Theodor Fontane

Читать онлайн.
Название Frau Jenny Treibel
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783864080869



Скачать книгу

Zylinder im Nacken und reisemäßig in einem gelb- und braunquadrierten Anzüge steckend, stieg er, von links nach rechts sich wiegend, die Freitreppe herauf und grüßte mit der bekannten heimatlichen Mischung von Selbstbewusstsein und Verlegenheit. Otto ging ihm entgegen, um ihn seinen Eltern vorzustellen.

      „Mr. Nelson from Liverpool64 — derselbe, lieber Papa, mit dem ich...“

      „Ah, Mr. Nelson. Sehr erfreut. Mein Sohn spricht noch oft von seinen glücklichen Tagen in Liverpool und von dem Ausfluge, den er damals mit Ihnen nach Dublin und wenn ich nicht irre, auch nach Glasgow machte. Das geht jetzt ins neunte Jahr; Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein.“

      „O nicht sehr jung, Mr. Treibel... about sixteen65...“

      „Nun, ich dächte doch, sechzehn…“

      „O, sechzehn, nicht sehr jung... nicht für uns.“

      Diese Versicherungen klangen umso komischer, als Mr. Nelson auch jetzt noch wie ein Junge wirkte. Zu weiteren Betrachtungen darüber war aber keine Zeit, weil eben jetzt eine Droschke zweiter Klasse vorfuhr, der ein langer, hagerer Mann in Uniform entstieg. Er schien Auseinandersetzungen mit dem Kutscher zu haben, während deren er übrigens eine beneidenswert sichere Haltung beobachtete, und nun rückte er sich zurecht und warf die Gittertür ins Schloss. Er war in Helm und Degen; aber ehe man noch der „Schilderhäuser“ auf seiner Achselklappe gewahr werden konnte, stand es für jeden mit militärischem Blick nur einigermaßen Ausgerüsteten fest, dass er seit wenigstens dreißig Jahren außer Dienst sein müsse. Denn die Grandezza66, mit der er daherkam, war mehr die Steifheit eines alten, irgendeiner ganz seltenen Sekte zugehörigen Torf- oder Salzinspektors als die gute Haltung eines Offiziers. Alles gab sich mehr oder weniger automatenhaft, und der in zwei gewirbelten Spitzen auslaufende schwarze Schnurrbart wirkte nicht nur gefärbt, was er natürlich war, sondern zugleich auch wie angeklebt. Desgleichen der Henriquatre67. Dabei lag sein Untergesicht im Schatten zweier vorspringender Backenknochen. Mit der Ruhe, die sein ganzes Wesen auszeichnete, stieg er jetzt die Freitreppe hinauf und schritt auf die Kömmerzienrätin zu.

      „Sie haben befohlen, meine Gnädigste...“

      „Hoch erfreut, Herr Leutnant...“

      Inzwischen war auch der alte Treibel herangetreten und sagte: „Lieber Vogelsang, erlauben Sie mir, das ich Sie mit den Herrschaften bekannt mache; meinen Sohn Otto kennen Sie, aber nicht seine Frau, meine liebe Schwiegertochter — Hamburgerin, wie Sie leicht erkennen werden ... Und hier“, und dabei schritt er auf Mr. Nelson zu, der sich mit dem inzwischen ebenfalls erschienenen Leopold Treibel gemütlich und ohne jede Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft unterhielt, „und hier ein junger, lieber Freund unseres Hauses, Mr. Nelson from Liverpool.“

      Vogelsang zuckte bei dem Worte „Nelson“ zusammen und schien einen Augenblick zu glauben — denn er konnte die Furcht des Gefopptwerdens nie ganz loswerden — dass man sich einen Witz mit ihm erlaube. Die ruhigen Mienen aller aber belehrten ihn bald eines Besseren, weshalb er sich artig verbeugte und zu dem jungen Engländer sagte: „Nelson. Ein großer Name. Sehr erfreut, Mr. Nelson.“

      Dieser lachte dem alt und aufgesteift vor ihm stehenden Leutnant ziemlich ungeniert ins Gesicht, denn solche komische Person war ihm noch gar nicht vorgekommen. Dass er in seiner Art ebenso komisch wirkte, dieser Grad der Erkenntnis lag ihm fern. Vogelsang biss sich auf die Lippen und befestigte sich, unter dem Eindruck dieser Begegnung, in der lang gehegten Vorstellung von der Impertinenz englischer Nation. Im Übrigen war jetzt der Zeitpunkt da, wo das Eintreffen immer neuer Ankömmlinge von jeder anderen Betrachtung abzog und die Sonderbarkeiten eines Engländers rasch vergessen ließ.

      Einige der befreundeten Fabrikbesitzer aus der Köpenicker Straße lösten in ihren Chaisen mit niedergeschlagenem Verdeck die, wie es schien, noch immer sich besinnende Vogelsangsche Droschke rasch und beinah gewaltsam ab; dann kam Corinna samt ihrem Vetter Marcell Wedderkopp (beide zu Fuß), und schließlich fuhr Johann, der Kommerzienrat Treibelsche Kutscher, vor, und dem mit blauem Atlas ausgeschlagenen Landauer — derselbe, darin gestern die Kommerzienrätin ihren Besuch bei Corinna gemacht hatte — entstiegen zwei alte Damen, die von Johann mit ganz besonderem und beinahe überraschlichem Respekt behandelt wurden. Es erklärte sich dies aber einfach daraus, dass Treibel, gleich bei Beginn dieser ihm wichtigen und jetzt etwa um dritthalb Jahr zurückliegenden Bekanntschaft, zu seinem Kutscher gesagt hatte: „Johann, ein für alle Mal, diesen Damen gegenüber immer Hut in Hand. Das andere, du verstehst mich, ist meine Sache.“ Dadurch waren die guten Manieren Johanns außer Frage gestellt. Beiden alten Damen ging Treibe jetzt bis in die Mitte des Vorgartens entgegen, und nach lebhaften Bekomplimentierungen, an denen auch die Kommerzienrätin teilnahm, stieg man wieder die Gartentreppe hinauf und trat, von der Veranda her, in den großen Empfangssalon ein, der bis dahin, weil das schöne Wetter zum Verweilen im Freien einlud, nur von wenigen betreten worden war. Fast alle kannten sich von früheren Treibelschen Diners her; nur Vogelsang und Nelson waren Fremde, was den partiellen Vorstellungsakt erneuerte.

      „Darf ich Sie“, wandte sich Treibel an die zuletzt erschienenen alten Damen, „mit zwei Herren bekannt machen, die mir heute zum ersten Male die Ehre ihres Besuchs geben: Leutnant Vogelsang, Präsident unseres Wahlkomitees, und Mr. Nelson from Liverpool.“ Man verneigte sich gegenseitig. Dann nahm Treibel Vogelsangs Arm und flüsterte diesem, ihn einigermaßen zu orientieren, zu: „Zwei Damen vom Hofe, die korpulente: Frau Majorin von Ziegenhals; die nicht korpulente (worin Sie mir zustimmen werden): Fräulein Edwine von Bomst68.“

      „Merkwürdig“, sagte Vogelsang. „Ich würde, die Wahrheit zu gestehen...“

      „Eine Vertauschung der Namen für angezeigt gehalten haben. Da treffen Sie‘s, Vogelsang. Und es freut mich, dass Sie ein Auge für solche Dinge haben. Da bezeugt sich das alte Leutnantsblut. Ja, diese Ziegenhals; einen Meter Brustweite wird sie wohl haben, und es lassen sich allerhand Betrachtungen darüber anstellen, werden auch wohl seinerzeit angestellt worden sein. Im Übrigen, es sind das so die scherzhaften Widerspiele, die das Leben erheitern. Klopstock war Dichter, und ein anderer, den ich noch persönlich gekannt habe, hieß Griepenkerl... Es trifft sich, dass uns beide Damen ersprießliche Dienste leisten können.“

      „Wie das? Wieso?“

      „Die Ziegenhals ist eine rechte Cousine von dem Zossener Landesältesten, und ein Bruder der Bomst hat sich mit einer Pastorstochter aus der Storkower Gegend69 ehelich vermählt. Halbe Mesalliance70, die wir ignorieren müssen, weil wir Vorteil daraus ziehen. Man muss, wie Bismarck, immer ein Dutzend Eisen im Feuer haben... Ah, Gott sei Dank. Johann hat den Rock gewechselt und gibt das Zeichen. Allerhöchste Zeit... Eine Viertelstunde warten geht: aber zehn Minuten darüber ist zu viel... Ohne mich ängstlich zu belauschen, ich höre, wie der Hirsch nach Wasser schreit. Bitte, Vogelsang, führen Sie meine Frau... Liebe Corinna, bemächtigen Sie sich Nelsons... Victory71 and Westminster Abbey72: das Entern ist diesmal an Ihnen. Und nun, meine Damen... darf ich um Ihren Arm bitten, Frau Majorin...und um den Ihren, mein gnädigstes Fräulein?“

      Und die Ziegenhals am rechten, die Bomst am linken Arm, ging er auf die Flügeltür zu, die sich, während dieser seiner letzten Worte, mit einer gewissen langsamen Feierlichkeit geöffnet hatte.

      III.

      Das Esszimmer entsprach genau dem vorgelegenen Empfangszimmer und hatte den Blick auf den großen, parkartigen Hintergarten mit plätscherndem Springbrunnen, ganz in der Nähe des Hauses; eine kleine Kugel stieg auf dem Wasserstrahl auf und ab, und auf dem Querholz einer zur Seite stehenden Stange saß ein Kakadu und sah, mit dem bekannten Auge voll Tiefsinn, abwechselnd auf den Strahl mit der balancierenden Kugel und dann wieder in den Esssaal, dessen oberes Schiebefenster, der Ventilation halber, etwas herabgelassen war. Der Kronleuchter brannte schon, aber die niedrig geschraubten Flämmchen waren in der Nachmittagssonne kaum sichtbar und führten ihr schwaches Vorleben nur deshalb, weil der Kommerzienrat, um ihn selbst sprechen zu lassen, nicht liebte, „durch Manipulationen im Laternenansteckerstil in seiner Dinerstimmung gestört zu werden“. Auch der bei der Gelegenheit hörbar werdende kleine Puff, den er gern als „moderierten Salutschuss“ bezeichnete,