Название | Ein herrlicher Ort für das Unglück |
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Автор произведения | Damir Karakaš |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941531 |
Er sagt: »Lass uns spazieren gehen.«
»Jetzt?!«
»Komm schon«, sagt er, »leiste mir Gesellschaft.«
Wir gehen raus und laufen an der Seine entlang.
»Hast du gesehen«, fragt er, »was mir dieser Mann antut?«
Ich sage: »Ach, lass doch.«
»Wenn ich seinen Vater und seine Mutter nicht kennen würde«, zischte er, »würde ich ihn auf die Straße setzen.«
Plötzlich fällt ihm ein, dass er morgen seiner Schwester hundert Euro schicken muss. Sie und ihr Mann sind Landwirte in der Nähe von Plovdiv. Ihre beiden Kinder sind in der Ausbildung, hundert Euro sind viel Geld für sie, sagt er.
»Wenn du wüsstest, wie schön ihre Kinder sind!« Er wird sanft. »Wenn ich hinfahre, bringe ich ihnen immer alles Mögliche mit. Sie fragen ständig, wann ich wiederkomme.«
Dann hebt er zu einer Tirade über das Leben in Paris an, als er jung war. Einige Geschichten habe ich schon gehört, lasse ihn aber weiterreden. Er erzählt zum wer-weiß-wievielten Mal davon, dass die Touristen früher ganz anders gewesen seien, voller Vertrauen. Jetzt seien sie doch nur noch eine überhebliche und geizige Meute. »Die würden nicht mal Gott einen Knüppel überlassen, damit er den Teufel erschlägt, so geizig sind sie«, pflegt er zu sagen.
In seinen Geschichten verwendet er häufig das Wort »wir«. Unter diesem »wir« versteht er Bulgaren, Rumänen, Jugoslawen, eben die Menschen vom Balkan …
Für ihn gibt es keine Kroaten, Bosnier und Serben.
Hristo ist nämlich ein Jugonostalgiker, der Tito glühend verehrt.
»Als Tito noch lebte, war Jugoslawien für uns Amerika«, sagt er gerne. »Und schau dir mal an, wie es jetzt aussieht. Bulgarien gehört zu Europa, und wo seid ihr?«
Da er gerade den Eiffelturm sieht, beginnt er wieder zu erzählen, wie »wir« uns früher mit Fotoapparaten am Eiffelturm trafen, wir taten so, als würden wir amerikanische Touristen fotografieren und bekamen Geld und ihre Adressen von ihnen, um ihnen die Fotos zu schicken. Aber in den Kameras waren nie Filme.
»Ich erzähle dir das, damit du begreifst, wie vertrauensvoll die Verhältnisse damals waren«, sagt er. »Und heutzutage? Du rennst hinter einem Touristen her, um einen Scherenschnitt von ihm zu machen, und er rennt weg und hat Angst, dass du ihn ausplündern willst.«
Er wird nachdenklich, verschränkt die Hände hinter dem Rücken: »Es war noch nie so schlimm«, sagt er. »NIE«, wiederholt er mit Nachdruck. Dabei schüttelt er den Kopf. »Den ganzen Tag«, er zeigt seine fünf Wurstfinger, »für fünf beschissene Euro.«
Wir laufen immer weiter, sind beinahe schon am Louvre angelangt.
Da drehen wir uns um und gehen zurück.
Wir schweigen, wir schweigen lange.
Er schüttelt wieder den Kopf, sieht mich an und schaut sich vorsichtig um.
Er gibt mir ein Zeichen, näherzukommen. »Hör mir mal zu.«
Aus seinem Mund stinkt es nach verreckter Katze.
Er schaut immer noch um sich.
»Wir wollen eine Bank ausnehmen.«
»Was für eine Bank?«, frage ich.
»Eine Bank eben, du wirst doch wissen, was eine Bank ist.«
»Wer denn?«
»Wir«, sagt er. »Ich, du, Gwizda und Georgi.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und gebe deshalb vor, dass ich husten muss. »Wie meinst du das?«
»Eigentlich ist Gwizda nicht begeistert davon, dass ihr beiden mitmacht.« Er tritt einen Schritt vor. »Aber ich habe ihm bei meinem Leben garantiert, dass ihr beiden das schafft. Warum solltet ihr nicht auch mal was verdienen?«
Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll.
»Ich und Gwizda sind dabei, den Plan zu machen«, sagt er. »Du sollst dich bitteschön fit halten.«
Dieser Pole hat mir noch nie gefallen. Er war früher bei der Fremdenlegion, hat einen französischen Pass und hat im Streit einen Menschen umgebracht. Hristo hat ihn in Frankfurt im Gefängnis kennengelernt.
Hristo behauptet, dass Gwizda kein schlechter Mensch sei.
Dass er eine schwierige Kindheit gehabt habe, dass sein Vater ihn vor seinen Schwestern missbraucht habe.
Ich will Hristo sagen, dass mich Geschäfte mit Gwizda keineswegs interessieren, dass ich den Rest meines Lebens nicht hinter Gittern zubringen will.
»Weißt du was?«, sage ich. »Ich muss erst mal sehen, was mit den Verlegern wird.«
Das ist das einzige, was mir einfällt.
»Vergiss die Bücher.« Er winkt barsch ab. »Wenn du mal Geld hast, kannst du dir den Nobelpreis kaufen!«
Der Morgen dämmert und wir laufen nebeneinander her, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.
»Kein Wort zu irgendjemandem«, sagt er, »vor allem nicht zu Stefan.«
Ich nicke, er sieht mich an, und ich nicke noch einmal. Wir nähern uns unserer Wohnung und er beginnt, wieder über Stefan herzuziehen.
»Dieser Hurensohn«, schimpft er.
Er wird wütend, tritt mit dem Fuß gegen eine Mauer.
»Du kannst bleiben, solange du willst, nur damit du es weißt. Du und Georgi. Aber wenn der sich nicht schleunigst ändert, fliegt er raus. Ich habe seine Philosophie satt. Er verdient am meisten von uns allen, er schläft, er isst aus dem Kühlschrank, und als er seinen Beitrag zum Heizkörper bezahlen sollte, hatte er plötzlich kein Geld. Dabei hortet er es heimlich. Der glaubt doch, ich bin dumm!«
Zum ersten Mal habe ich Hristo in einem arabischen Geschäft in Belleville getroffen, es war Ramadan, das Geschäft hatte die ganze Nacht geöffnet. Hristo war damals völlig am Boden. Ich war gekommen, um Bier zu kaufen, und während ich in der Schlange wartete, kamen zwei besoffene Typen herein. Hristo und ein Indianer in einem Poncho. Sie kauften nichts.
Torkelnd versuchten sie, das Gleichgewicht zu halten, und schauten sich die Übertragung des Rugby-Spiels zwischen Frankreich und Neuseeland an.
Frankreich führte, und sie grölten gemeinsam die Marseillaise.
Der Verkäufer kam plötzlich hinter dem Tresen hervor und schaltete vor ihren Nasen den Fernseher aus. Er sagte, dass dies hier ein Laden sei, in dem man etwas kaufen solle, und kein beschissener Fernsehraum. Dann sagte er noch, sie sollten sich verpissen. Hristo und der Indianer verließen mit gesenkten Köpfen den Laden.
Dann kam Hristo zurück, nahm sich ein Bier, stellte es rebellisch auf den Tresen.
Er suchte krampfhaft in seinen Taschen herum und zog am Ende fünfzig Cent heraus. Dabei beobachtete ihn der Verkäufer spöttisch. Ich gab Hristo zwei Euro, und er bezahlte das Bier.
Daran erinnert er sich häufig und sagt dann: »So was vergisst man nicht.«
In seiner Jugend war er Ringer gewesen, einer der besten in Europa. Er hat mir stolz vergilbte Zeitungsausschnitte gezeigt. Einmal war er sogar bei Olympia dabei.
Dann hatte er einen Verkehrsunfall, bei dem sein Bein verletzt wurde, und musste seine Karriere aufgeben.
Kurze Zeit später wanderte er nach Deutschland aus, wo er als Rausschmeißer in Nachtclubs arbeitete. In Deutschland lernte er auch seine Verlobte kennen, ein Mädchen aus Sofia.
Er stopfte alles verdiente Geld in einen Sack und entschloss sich dann, mit seiner Verlobten