Stone Butch Blues. Leslie Feinberg

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Название Stone Butch Blues
Автор произведения Leslie Feinberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959172165



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ganz beiläufig zu klingen.

      Gloria seufzte tief. „Tifka’s.“

       3

      Fast ein ganzes Jahr verging, bevor ich den Mut aufbrachte, mich bei der Auskunft nach der Adresse von Tifka’s zu erkundigen. Schließlich stand ich vor der Bar, zitternd vor Angst. Ich fragte mich, wieso ich dachte, dies könnte ein Ort sein, wo ich hinpaßte. Und wenn es nicht so war?

      Ich trug mein blau-rot gestreiftes Hemd, ein marineblaues Jackett, das meine Brüste kaschieren sollte, schwarze gebügelte Chinos und schwarze Stiefel, weil ich keine guten Schuhe besaß.

      Als ich eintrat, befand ich mich ganz einfach in einer Bar. Durch den Rauchschleier sah ich Gesichter, die herüberblickten und mich von oben bis unten musterten. Es gab kein Zurück mehr, und ich wollte auch nicht mehr zurück. Vielleicht hatte ich hier zum ersten Mal meine Leute gefunden. Ich wußte bloß nicht, wie ich es anstellen sollte, in diese Gemeinschaft aufgenommen zu werden.

      Ich schob mich bis zur Theke vor und bestellte ein Genny.

      „Wie alt bist du?“ fragte die Barfrau.

      „Alt genug“, entgegnete ich und legte das Geld hin. Ein Grinsen erschien auf den anderen Gesichtern an der Theke. Ich trank einen Schluck Bier und versuchte, cool zu wirken. Eine ältere Tunte musterte mich eingehend. Ich nahm mein Bier und steuerte auf das verräucherte Hinterzimmer zu.

      Was ich da sah, trieb mir die Tränen in die Augen, die ich jahrelang zurückgehalten hatte: starke, kräftig gebaute Frauen in Jacketts und Krawatten. Ihre Haare waren zu perfekten Elvis-Tollen zurückgekämmt. Die stattlichsten Frauen, die ich je gesehen hatte! Einige waren in langsame Tanzbewegungen versunken, mit Frauen in engen Kleidern und hohen Absätzen, die sie sanft berührten. Ich empfand ein schmerzliches Verlangen beim bloßen Zusehen.

      Meine kühnsten Träume hatten sich erfüllt.

      „Warst du schon mal in so einer Bar?“ fragte mich die Tunte.

      „Schon oft“, antwortete ich schnell. Sie lächelte.

      Dann mußte ich sie so dringend etwas fragen, daß ich vergaß, meine Lüge aufrechtzuerhalten. „Kann ich wirklich einer Frau einen Drink ausgeben oder sie zum Tanzen auffordern?“

      „Klar, Schätzchen“, antwortete sie, „aber nur die Femmes.“ Sie lachte und sagte mir, sie hieße Mona.

      Ich schaute wie gebannt auf eine Frau, die allein an einem Tisch saß. Gott, wie schön sie war! Ich wollte mit ihr tanzen. Die Four Tops sangen „Baby, I need your loving“. Ich wußte nicht genau, ob ich tanzen konnte, aber ich ging schnurstracks auf sie zu, bevor mich der Mut verließ.

      „Tanzt du mit mir?“ fragte ich.

      Mona und die Rausschmeißerin trugen mich praktisch aus dem Hinterzimmer in die vordere Bar und setzten mich auf einen Barhocker. Mona legte mir die Hand auf die Schulter und sah mir in die Augen. „Kid, es gibt da ein paar Dinge, die ich dir erklären sollte. Es ist meine Schuld. Ich habe dir gesagt, du könntest ruhig eine Frau auffordern. Aber das erste, was du lernen mußt, ist: Frag niemals die Frau von Butch Al!“

      Ich machte mir in Gedanken gerade einen Knoten ins Taschentuch, als plötzlich Butch Als Schatten auf mich fiel. Die Rausschmeißerin trat zwischen uns, und die Transvestiten scheuchten Butch Al ins Hinterzimmer. Es ging alles sehr schnell, aber der kurze Blick auf diese Frau hatte mich bereits umgehauen. Butch Al war der Inbegriff von Macht, eine Erinnerung, die ich weder festhalten noch vergessen mochte.

      Noch lange, nachdem die Aufregung des Augenblicks für alle anderen verflogen war, saß ich zitternd an der Theke. Ich fühlte mich wie im Exil, noch einsamer, als ich gewesen war, bevor ich die Bar betreten hatte, denn jetzt wußte ich, wo ich nicht dazugehörte.

      Ein rotes Licht leuchtete über der Theke auf. Mona ergriff meine Hand und zerrte mich durch das Hinterzimmer in die Damentoilette. Sie ließ den Klodeckel runter und bedeutete mir hinaufzuklettern. Sie schob die Klotür halb zu und sagte, ich solle da drinbleiben und mich ruhig verhalten. Die Bullen wären da. Da hockte ich also. Lange. Erst als ich eine Femme, die die Klotür öffnete, halb zu Tode erschreckte, begriff ich, daß die Polizei schon längst wieder fort war, das Schmiergeld des Barbesitzers in der Tasche. Kein Mensch hatte daran gedacht, daß ich noch auf der Toilette war.

      Als ich vom Klo kam, lachte das ganze Hinterzimmer auf meine Kosten. Ich zog mich wieder in die vordere Bar zurück und hielt mich an einem Bier fest.

      Später fühlte ich eine Hand auf meinem Arm. Es war jene schöne Frau, die ich aufgefordert hatte. Butch Als Femme.

      „Los, Schätzchen, komm rüber zu uns“, bot sie mir an.

      „Nein, ich bleib lieber hier“, sagte ich, so tapfer ich konnte. Aber sie legte sanft ihren Arm um mich und zog mich vom Barhocker.

      „Na komm, komm zu uns. Ist schon okay. Al tut dir nichts“, beruhigte sie mich. „Hunde, die bellen, beißen nicht.“ Das bezweifelte ich, zumal Butch Al aufstand, als ich an ihren Tisch trat.

      Sie war eine imposante Frau, die mich an Größe und Statur überragte. Ich selbst war ja fast noch ein Kind. Die Stärke, die sich in ihrem Gesicht zeigte, gefiel mir sofort. Ihr energisches Kinn. Die Wut in ihren Augen. Ihre Körperhaltung. Das Sportsakko betonte und verhüllte ihren Körper zugleich. Rundungen und Falten. Ein breiter Rücken, ein massiger Nacken. Große, fest eingebundene Brüste. Weißes Hemd, Krawatte, Jackett. Hüften verborgen.

      Sie musterte mich von oben bis unten. Ich stellte mich breitbeiniger hin. Sie nahm das zur Kenntnis. Ihr Mund verweigerte ein Lächeln, aber ihre Augen schienen dem zu widersprechen. Sie streckte ihre kräftige Hand aus. Ich ergriff sie. Die Festigkeit ihres Händedrucks überraschte mich. Sie verstärkte den Druck, ich erwiderte ihn. Ich war froh, daß ich keinen Ring trug. Ihr Händedruck wurde noch fester, meiner ebenfalls. Endlich lächelte sie.

      „Es besteht Hoffnung“, sagte sie. Ich wurde rot, weil ich ihre Worte so dankbar aufsaugte.

      Ich schätze, man könnte jenen Händedruck als Prahlerei abtun. Aber damals bedeutete er mir sehr viel, und das tut er heute noch. Ein solcher Händedruck ist mehr als eine Methode, die Stärke deines Gegenübers zu testen. Ein solcher Händedruck ist eine Herausforderung. Mit ihm spürst du die Stärke der anderen durch zunehmende Ermutigung auf. Wenn die maximale Stärke erreicht und Gleichheit hergestellt ist, seid ihr einander wirklich begegnet.

      Ich war Butch Al wirklich begegnet. Ich war so aufgeregt. Und eingeschüchtert. Das hätte ich nicht zu sein brauchen, denn niemand ist jemals netter zu mir gewesen. Sie war zwar schroff, aber sie würzte ihre Schroffheit, indem sie mir das Haar zauste, mich umarmte und meiner Wange etwas mehr als ein Tätscheln und doch weniger als eine Ohrfeige gab. Das tat gut. Ich mochte die Zuneigung in ihrer Stimme, wenn sie mich Kid nannte, was sie häufig tat. Sie nahm mich unter ihre Fittiche und brachte mir all das bei, was eine Baby Butch wie ich ihrer Meinung nach wissen mußte, bevor sie sich auf diese gefährliche und schmerzensreiche Reise begab. Auf ihre Art war sie dabei sehr geduldig.

      Damals konnte man den Anteil der Lesben und Schwulen in den Bars im Rotlichtbezirk in Prozent ausdrücken. Tifka’s war zu ungefähr fünfundzwanzig Prozent homosexuell. Das hieß, daß uns ein Viertel der Tische und der Tanzfläche zustanden, doch dieser Raum wurde uns ständig streitig gemacht. Butch Al lehrte mich, wie wir unser Territorium schützten.

      Ich lernte, die Bullen als Todfeinde zu fürchten und die Zuhälter zu hassen, die das Leben so vieler Frauen, die wir liebten, kontrollierten. Und ich lernte zu lachen. In jenem Sommer waren die Freitag- und Samstagabende voller Lachen und zumeist gutmütiger Neckereien.

      Die Tunten setzten sich auf meinen Schoß, und wir posierten für Polaroids. Wir fanden erst viel später heraus, daß der Typ, der sie gemacht hatte, ein eingeschleuster Bulle war. Ich konnte die alten Bulldagger betrachten und in ihnen meine Zukunft erkennen. Und ich lernte, was ich von einer anderen Frau wollte, indem ich Butch Al und Jacqueline, ihre Geliebte, beobachtete.

      Die