Stone Butch Blues. Leslie Feinberg

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Название Stone Butch Blues
Автор произведения Leslie Feinberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959172165



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aber ich muß Dir das erzählen. Es war der Abend, an dem wir neunzig Meilen gefahren sind, um in einer Bar Freundinnen zu treffen, die sich dann nie haben blicken lassen. Als die Polizei den Club stürmte, waren wir „allein“, und der Bulle mit seinen goldenen Streifen an der Uniform kam direkt auf mich zu und befahl mir aufzustehen. Kein Wunder, ich war an dem Abend die einzige Butch dort.

      Er begrapschte mich überall, lüpfte den Bund meiner Unterhose und forderte seine Männer auf, mir Handschellen anzulegen – ich trug keine drei Teile Damenbekleidung. Ich wollte gleich losschlagen, weil ich wußte, daß diese Chance im nächsten Moment vertan sein würde. Ich wußte aber auch, daß alle in dieser Bar Prügel bekommen würden, wenn ich mich verteidigte, also blieb ich einfach stehen. Sie hatten Dir die Arme auf den Rücken gefesselt. Ein Bulle hatte Dich im Schwitzkasten. Ich weiß noch, wie Du mich angesehen hast. Es tut mir heute noch weh.

      Sie fesselten mir die Arme so fest auf den Rücken, daß ich fast aufgeschrien hätte. Dann zog dieser Bulle ganz langsam seinen Reißverschluß auf, grinste schleimig und befahl mir, mich hinzuknien. Erst dachte ich: Ich kann nicht! Dann sagte ich laut zu mir selbst, zu Dir und zu ihm: „Ich will nicht!“ Ich habe Dir das nie gesagt, aber in diesem Augenblick hat sich etwas in mir verändert. Ich erkannte den Unterschied zwischen dem, was ich nicht tun kann, und dem, was ich nicht tun will.

      Für diese Lehre mußte ich bezahlen. Die Einzelheiten muß ich Dir nicht erzählen.

      Als ich am nächsten Morgen aus dem Knast kam, warst Du da. Du hast mich auf Kaution rausgeholt. Keine Anzeige, sie haben nur Dein Geld behalten. Du hattest die ganze Nacht auf der Wache gewartet. Nur ich weiß, wie schwer es für Dich gewesen sein muß, ihren anzüglichen Blicken, ihren Provokationen, ihren Drohungen standzuhalten. Ich wußte, daß Du Dich bemüht hast, etwas aus dem Zellentrakt zu hören, und bei jedem Geräusch zusammengezuckt bist. Du hast gebetet, mich nicht schreien hören zu müssen. Ich habe nicht geschrien.

      Als wir nach draußen auf den Parkplatz kamen, bist Du stehengeblieben, hast mir leicht die Hände auf die Schultern gelegt und bist meinem Blick ausgewichen. Sanft hast Du die blutigen Stellen auf meinem Hemd berührt und gesagt: „Diese Flecken krieg ich nie wieder raus.“

      Und wehe, es denkt jemand, Dein Leben sei darauf beschränkt gewesen, Dich um die Sauberkeit meiner Hemdkragen zu sorgen.

      Ich wußte genau, was Du meintest. Es war eine seltsam zarte Art zu sagen – oder nicht zu sagen –, was Du fühltest. Ein bißchen wie meine Art, gefühlsmäßig dichtzumachen, wenn ich Angst habe, verletzt bin, mich hilflos fühle und dann komische unwichtige Sachen sage, die völlig zusammenhanglos erscheinen.

      Während der Fahrt nach Hause hatte ich die ganze Zeit den Kopf in Deinem Schoß, und Du hast mein Gesicht gestreichelt. Du hast mir ein Bad eingelassen. Frische Unterwäsche rausgelegt. Mich ins Bett gebracht. Mich vorsichtig gestreichelt und sanft gehalten.

      Später in der Nacht bin ich noch mal aufgewacht und stellte fest, daß ich allein im Bett war. Du hast mit einem Glas am Küchentisch gesessen, den Kopf in die Hände gestützt. Du hast geweint. Ich hab Dich in die Arme genommen und festgehalten, und Du hast Dich gewehrt und mich mit den Fäusten bearbeitet, weil an den eigentlichen Feind nicht ranzukommen war. Dann fielen Dir meine Prellungen ein, und Du hast noch heftiger geweint: „Es ist meine Schuld – ich konnte sie nicht davon abhalten!“

      Ich hatte immer vor, es Dir zu sagen: In diesem Augenblick wußte ich, daß Du wirklich verstanden hast, wie sich mein Leben anfühlte. Das Ersticken an der Wut, das Gefühl der Machtlosigkeit, die Unfähigkeit, mich oder die, die mir am wichtigsten waren, zu beschützen, und doch immer wieder zurückzuschlagen, nicht aufgeben zu wollen. Damals wußte ich nicht, wie ich Dir das sagen sollte. Ich sagte nur: „Es wird schon werden, es wird alles gut.“ Und dann lächelten wir ironisch, und ich brachte Dich zurück in unser Bett und liebte Dich so gut ich in meinem Zustand konnte. In jener Nacht hast Du wohlweislich nicht versucht, mich zu berühren. Du bist mir nur mit den Fingern durchs Haar gefahren und hast geweint und geweint.

      Wann haben sich unsere Wege getrennt, süße Kriegerin? Wir dachten, wir hätten den Befreiungskrieg gewonnen, als wir uns das Wort gay zu eigen gemacht hatten. Doch dann kamen plötzlich die Studierten aus ihren Löchern hervor und erklärten uns die neuen Spielregeln. (Wer hat sie eigentlich dazu ermächtigt?)

      Sie warfen uns raus, sorgten dafür, daß wir uns für unser Aussehen schämten. Sie sagten, wir wären Chauvinistenschweine, der Feind. Es waren Frauen, denen sie auf diese Weise das Herz brachen. Es war nicht schwer, uns wegzuschicken, wir gingen widerstandslos.

      Damals fing ich an, als Mann aufzutreten. Seltsam, vom eigenen Geschlecht ausgeschlossen zu sein und in einem Exil zu wohnen, das niemals meine Heimat sein wird.

      Du warst auch verbannt, in ein anderes Land, mit Deinem Geschlecht, und doch zwangsweise von den Frauen getrennt, die Du so liebtest, wie Du Dich selbst zu lieben versuchtest.

      Seit mehr als zwanzig Jahren lebe ich jetzt in diesem einsamen Land und frage mich, was wohl aus Dir geworden ist. Hast Du Dich samstags abends verschämt abgeschminkt? Bist Du in Wut entbrannt, wenn eine Frau zu Dir sagte: „Wenn ich einen Mann wollte, wäre ich mit einem richtigen Mann zusammen.“?

      Gehst Du jetzt anschaffen? Arbeitest Du als Kellnerin, oder lernst Du Word Perfect 5.1?

      Bist Du in einer Lesbenbar und hältst verstohlen Ausschau nach einer Butch? Reden die Frauen da auch über die Politik der Demokraten und über Seminare und Kooperativen? Bist Du mit Frauen zusammen, die nur einmal im Monat bluten?

      Oder lebst Du in einer anderen Stadt, bist verheiratet und liegst neben einem arbeitslosen Fabrikarbeiter, der mir viel ähnlicher ist als sie, und lauschst auf das gleichmäßige Atmen Deiner schlafenden Kinder? Pflegst Du seine seelischen Wunden, so wie Du meine zu heilen versucht hast?

      Denkst Du manchmal an mich, in der Kühle der Nacht?

      Ich schreibe schon seit Stunden an diesem Brief. Meine Rippen tun mir ganz schön weh von einer Schlägerei, die ich kürzlich hatte. Du weißt schon.

      Ich hätte nie so lange überleben können, wenn ich Deine Liebe nicht gekannt hätte. Und doch vermisse ich Dich immer noch schmerzlich. Und brauche Dich so sehr.

      Nur Du könntest dieses Eis zum Schmelzen bringen. Kommst Du je zurück?

      Das Gewitter ist jetzt vorbei. Ein rosafarbenes Leuchten breitet sich am Horizont aus. Ich denke an die Nächte, in denen ich Dich tief und langsam gefickt habe, bis der Himmel genau diese Farbe hatte.

      Ich muß aufhören, an Dich zu denken, der Schmerz verschlingt mich. Ich muß die Erinnerung an Dich weglegen wie ein wertvolles altes Foto. Es gibt noch so vieles, was ich Dir sagen, mit Dir teilen will.

      Da ich Dir den Brief nicht mit der Post schicken kann, schicke ich ihn an einen Ort, wo sie Erinnerungen von Frauen bewahren. Vielleicht wirst Du eines Tages, auf dem Weg durch diese große Stadt, dort einkehren und ihn lesen. Vielleicht auch nicht.

      Gute Nacht, meine Liebste.

       2

      Ich wollte nicht anders sein. Ich sehnte mich danach, so zu sein, wie die Erwachsenen mich haben wollten, damit sie mich liebten. Ich befolgte ihre Regeln und gab mir alle Mühe, ihnen zu gefallen. Aber etwas an mir brachte sie dazu, die Augenbrauen hochzuziehen und die Stirn zu runzeln. Niemand hat sich je dazu herabgelassen, dem, was mit mir los war, einen Namen zu geben. Deshalb hatte ich auch solche Angst, daß es etwas wirklich Schlimmes war. Erst später erkannte ich die Melodie an dem ständigen Refrain „Ist das ein Junge oder ein Mädchen?“.

      Ich war nur eine von vielen schlechten Karten im Leben meiner Eltern. Sie waren ohnehin verbittert und enttäuscht. Mein Vater war mit dem festen Vorsatz aufgewachsen, nicht wie sein Vater in einer Fabrik hängenzubleiben; meine Mutter hatte nicht vor, in die Ehefalle zu gehen.

      Als sie sich kennenlernten, träumten sie von einem gemeinsamen spannenden Abenteuer. Als sie aus ihrem Traum erwachten, arbeitete mein Vater in einer Fabrik und meine Mutter war Hausfrau geworden.