Doc Why Not. Mark Weinert

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Название Doc Why Not
Автор произведения Mark Weinert
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783958893207



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ist ›Weeding‹?«, frage ich.

      ›Weeding‹, erklärt sie mir, ist Unkrautjäten mit einem speziellen Rechen, mit dem man durchs Gras geht und alles, was kein Gras ist, mit Wurzeln ausreißt. Für Engländer, wenn man von Rasenmähen spricht, eine selbstverständliche und verbindlich eingeschlossene Tätigkeit. Ein interkulturelles Fettfass, in das ich gesprungen bin. Viele weitere sollten folgen.

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      FUEL

      »Schönen guten Morgen zusammen!«, sagt Sally, die Vizedirektorin des Anästhesie-Departments. Und sie begrüßt zwei andere Anästhesisten, zwei Anästhesie-Pfleger, die hier Anästhesie-Technicians heißen, und mich zum Einführungstag im Krankenhaus. Ich bin vor zwei Tagen angekommen und für meinen Geist ist es tiefste Nacht, doch körperlich bin ich anwesend.

      »Schön, dass du es doch noch rechtzeitig geschafft hast, Mark, wir haben schon mit dir gezittert. Als Erstes: Die Ausgänge sind hinten links, und der Sammelpunkt für das Krankenhaus ist der Personalparkplatz. Ich werde euch das Krankenhaus zeigen, und immer, wenn wir an einem Feuerwehrschlauch vorbeikommen, werde ich euch den auch zeigen. Das Medical Council will das so.«

      Ich bin mir nicht sicher, ob das Ironie, trockener Humor oder bitterer Ernst ist. Wir gehen los. An der Tür zu unserem Department bleibt Sally stehen und zeigt auf die Wand und einen Glaskasten: »Feuerwehrschlauch!«

      Okay, denke ich mir. Wenigstens läuft alles nach Plan. Was auch immer der Plan sein soll. Dann geht es los. Wir rasen durch das Gebäude, eine Universitätsklinik, und ich kann mir kaum merken, wo wir gerade sind – vom Weg zurück ganz zu schweigen. Zwischendurch ruft Sally, was das für eine Abteilung ist oder warum dieser oder jener Ort für uns wichtig sein könnte. Unterbrochen von dem gelegentlichen Ausruf: »Feuerwehrschlauch!«

      Wir werden fotografiert, damit wir unsere Namensschilder bekommen können. Die Namensschilder sind zugleich Ausweis mit Bild und Titel, Schlüssel zum Department, zum OP und zu den Umkleiden, und sie dienen zum Bezahlen in der Kantine. Alle Assistenzärzte haben Anrecht auf Frühstück und Mittagessen und beim Nachtdienst auf Abendessen. Dafür müssen wir nur die Ausweise an den Kartenleser halten. Das ist in allen Krankenhäusern des Landes gleich, weil es einen einheitlichen Vertrag für alle RMOs gibt (RMOs sind Assistenzärzte, SMOs sind Fachärzte, die einem Oberarzt in Deutschland entsprechen). Die Gewerkschaft hat das so verhandelt. Meine Regelwochenarbeitszeit beträgt 50 Stunden. Mit Nachtdiensten kann man bis auf 80 Wochenstunden kommen. Da kann schon mal ein Frühstückchen drin sein.

      Plötzlich bleibt Sally abrupt stehen. Ich sehe mich reflexartig nach einem Feuerwehrschlauch um. Sie zeigt auf ein Café am Gang, das sich durch das ganze Krankenhaus zieht. ›Fuel‹ steht darüber. Sie sagt: »Das ist das Fuel Café, das Wichtigste, was ich euch heute zeigen kann. Fuel wird euer Pit-Stop sein. Und auf den ersten Kaffee lade ich euch ein.«

      Krankenhäuser brauchen Kaffee zum Funktionieren wie Lastwagen Diesel und das Oktoberfest Bier. Ohne Kaffee keine Medizin. Das schwarze 24-Stunden-Wasser hält uns am Laufen und Arbeiten. Ein Arzt, der keinen Kaffee trinkt, ist kaputt oder schläft gerade. Die Schlange ist circa fünf Meter lang, und es arbeiten drei Baristas in einem für Neuseeland ungewöhnlichen Tempo, um die Bestellungen rasend schnell abzuarbeiten. Der erste nimmt die Bestellungen auf, ruft sie nach hinten und schreibt ein Kürzel auf den Becher, das die Kaffeespezialität beschreibt, die gewünscht wird. Auf der Maschine stehen elf Becher, die von den anderen beiden Baristas zügig heruntergenommen werden und dann an die Wolke von Kunden, die davor warten, verteilt werden. Ein Espresso ist hier ein ›kurzer Schwarzer‹, ein ›Short Black‹.

      »Was willst du, Mark?«

      Ich denke an meinen Jetlag und sage: »Einen doppelten Short Black, kein Zucker!«

      Der Barista schaut auf und sieht mir ins Gesicht. Er sieht mich mit einem durchdringenden Blick an. Dann grinst er, und mir ist, als wollte er sagen: »Du weißt meinen Kaffee zu würdigen.«

      Vielleicht bin ich aber auch einfach nur sehr müde und interpretiere zu viel in einen Blick hinein. Während wir dastehen und auf unseren Kaffee warten, fällt mir auf, dass viele der Wartenden in blauen OP-Ka-sacks rumstehen und einige sogar ihre OP-Mützen tragen. Ich frage Sally, wann man sich für den OP umzieht.

      Sie kennt die Frage. »Am Morgen, wenn du dich das erste Mal einschleust.«

      Und ich muss die Klamotten nicht jedes Mal wechseln, wenn ich den OP verlasse?

      »Nein, nur wenn du sichtbare Verschmutzung dran hast, Blut oder so ...«

      Ich bin überrascht. In Deutschland müssen wir uns jedes Mal, wenn wir den OP verlassen, komplett umziehen. Und wenn wir zum Beispiel vom Mittagessen kommen, wieder. Wir dürfen außerhalb der ›Funk-tionsbereiche‹ wie OP und Intensivstation nicht in den OP-Klamotten, den hübschen Kasacks, herumlaufen. Oft gibt es für Normalstation und OP andere Farben, damit das ganz offensichtlich ist. Ich wusste, dass das in den USA lax gehandhabt wird, aus Serien wie Emergency Room oder Grey’s Anatomy, doch ich dachte, dass sie sich wenigstens jedes Mal vor dem Betreten des OPs saubere Kleidung anziehen. Sauber im Sinne von neu und eingeschweißt. Keimarm.

      Nein, das sei nicht nötig, dafür gebe es keine Evidenz. Evidenz bedeutet, kurz ausgedrückt, durch wissenschaftliche Studien belegt. Es gibt verschiedene Grade an Evidenz, je nachdem wie viele Studien es dazu gibt und wie gut die Studien gemacht wurden. Die niedrigste Stufe ist, wenn es keine Studie zu dem Thema gibt, sondern nur die Meinung eines Experten, meistens eines Professors, der glaubt, er wisse genau, wie das zu sein hat, oder sich mehrere Professoren auf eine Meinung geeinigt haben. Das nennt man dann spaßeshalber »Eminenz-basierte Medizin«, und obwohl sich viele nach dieser Eminenz richten, kann der Wahrheitsgehalt sehr niedrig sein. Fairerweise muss gesagt werden, dass man zu manchen Fragen keine Studien durchführen kann. Da bleibt einem dann nichts anderes übrig, als auf eine Expertenmeinung zu vertrauen. Fallschirmspringen ist so ein Beispiel. In der Weihnachtsausgabe des BMJ, des weltweit höchst angesehenen British Medical Journals, wird immer ein Artikel veröffentlicht, der die ganze Maschinerie auf den Arm nimmt. Dieser spezielle Artikel setzte sich mit dem Thema auseinander, dass es keine höhere Evidenz dafür gibt, dass es sicherer ist, mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen. Wie kommen sie zu dem Schluss? Es gibt keine prospektiven, also vorausschauend geplanten Studien. Es gibt keine Doppelblindstudien, wo die Probanden nicht wussten, ob sie mit Fallschirm oder ohne springen. Hauptsächlich, weil man keine Versuchspersonen gefunden hätte und weil es keine Freigabe der Ethikkommission gegeben hätte, die jede Studie weltweit auf ethische Machbarkeit beurteilt. Kein seriöses Journal nimmt eine Studie zur Veröffentlichung an, wenn keine Zustimmung einer Ethikkommission vorliegt. Aus den genannten Gründen kann man für den Gebrauch von Fallschirmen nur eine »Eminenz-basierte« Empfehlung aussprechen. Das Gegenteil von Eminenz ist zum Beispiel das Thema Antibiotika. Hier gibt es Hunderte sehr guter Studien, die allen Kriterien entsprechen, und man kann mit Sicherheit sagen, dass Antibiotika gegen bakterielle Infektionen helfen und welche wann in welcher Dosierung angebracht sind. Wenn jetzt ein Experte behaupten würde, das wäre nicht so, hätte der kein Gewicht. So viel zu Evidenz und Eminenz. Von Eminenz spricht man, wenn man sagt: »Der Chef will das aber so!« Das ist in Deutschland – noch – eine weit verbreitete Methode, Medizin zu betreiben.

      Der Kaffee ist fertig, und er ist wunderbar. Wir gehen zum Office der Hol-und-Bringer, in dem wir die Fotos für unsere Ausweise gemacht haben, zurück und bekommen sie ausgehändigt. Auf meinem steht: Er wird ungültig am 31/Feb. Ich muss zweimal gucken. 31. Februar? Ich zeige den Ausweis Sally. Sie muss lachen. Denk dir nichts, der funktioniert trotzdem. Ich denke mir, »wird ungültig am 31. Februar – also nie!« Und ich freue mich.

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      DER ERSTE ARBEITSTAG

      Heute