Liebende. Ema Engerer

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Название Liebende
Автор произведения Ema Engerer
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783864103179



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des Chöd. Darüber vergaß sie die heraufziehende Kälte, doch wenn sie darüber einschlief und erst morgens wieder erwachte, waren ihre Hände kalt und ihr Körper steif.

      Von Meister Norbu hatte sie gelernt, die Lebenskraft eines Menschen zu erfühlen. Sie ›roch‹ einen Menschen und sie ›sah‹ ihn, wenn sie sich in seinen Körper hineinversenkte. Der Geist eines Menschen teilte sich ihr durch die Augen mit und sie erspürte, wie es um sein Herz bestellt war. Die Ursache für Krankheiten lag, fehlte eine äußere Einwirkung, in einem Ungleichgewicht der fünf Elemente Luft, Wasser, Feuer, Erde und Raum. So war sie mit ihrem Wissen bei den Menschen in den Dörfern ein willkommener Gast. Als der Mond im fünften Monat stand, wanderte sie durch ein blühendes Tal. Eines Nachmittags ruhte sie auf einer Wiese aus. Ein Junge zog des Wegs, im Schlepptau eine Herde meckernder Ziegen. Sein Gesicht war verschwollen und gerötet vom Weinen.

      »Was macht dich so traurig, Junge?«, fragte Özel voller Mitgefühl. »Wie ist dein Name?«

      Gleich fing er wieder an zu schluchzen.

      »Ich bin Palden und meine Schwester Ani ist sehr krank. Meine Mutter sagt, dass sie bald sterben wird«, brach es aus ihm heraus und er wischte sich mit dem Jackenärmel die Tränen aus dem verschmierten Gesicht.

      »Wo wohnt deine Familie?« Özel strich ihm tröstend übers Haar. Noch nie hatte sie einem sterbenden Menschen beigestanden, doch vielleicht war es nun an der Zeit, sich mit dem Tod vertraut zu machen.

      »Führe mich zu deiner Schwester«, forderte sie Palden auf und der Junge fasste sie halb erstaunt, halb widerstrebend bei der Hand.

      Nach einer halben Stunde Fußweg betraten sie ein einfaches Haus am Dorfrand, über der Tür flatterten Gebetsfahnen im Wind. Drinnen stand die Zeit still und die Luft war wie geronnene Milch. Ein Kind lag zitternd und blass unter einer braunen Wolldecke, eine Frau kühlte, über das Kind gebeugt, mit einem feuchten Lappen seine Stirn. Ein herbeigeholter Vorleser rezitierte die Sterbetexte, um der Sterbenden den Weg in die andere Welt zu weisen. Er las hastig und schien so verängstigt wie ein fliehendes Reh. In den Augen der jungen Mutter flackerte ein jäher Hoffnungsschimmer auf, als Özel ins Zimmer trat, sie hatte die Chödpa erkannt und machte ihr respektvoll Platz. Der Vater saß in einer Zimmerecke und starrte dumpf und teilnahmslos vor sich hin. Sogar der Hund unter dem Tisch hatte seine Schnauze zwischen die Vorderpfoten gelegt und trauerte mit hängenden Ohren. Der Geruch des Todes hing schon im Raum. Ein widerwilliger, vorzeitiger Tod kündigte sich an.

      Özel Li setzte sich zu dem Mädchen, es mochte noch keine fünf Jahre alt sein, ihr Herz zog sich zusammen. Ani röchelte und wimmerte leise vor sich hin. Sie fühlte seinen schwachen, gehetzten Herzschlag, die Zunge im offenen Mund war rot und fleckig. Nun, versuchen wollte sie es. Sie holte Glocke und Damaru aus dem Beutel und stimmte den Chöd an. Einen letzten Rest von Befangenheit schüttelte sie ab und bald erfüllte klarer, eindringlicher Gesang den muffigen Raum; sie brachte ihren Körper allen bedürftigen Hungergeistern und Wesen zur Nahrung dar und flehte darum, anstelle des Mädchens selbst als Opfergabe akzeptiert zu werden, um dem sterbenden Kind wenigstens einen guten Übergang zu schenken. Die Kleine war unter dem Eindruck des Gesangs ruhiger geworden, so als lausche sie der Melodie.

      Auf dem Höhepunkt der Zeremonie krümmte sich das Kind urplötzlich zusammen und fing an, entsetzlich zu würgen und nach Luft zu ringen. Die Mutter stützte das Mädchen im Rücken und hielt es in ihren Armen, um ihr das Atmen zu erleichtern. Auf einmal erbrach sich das Kind in einem übel riechenden Schwall auf den Boden. Özel Li schlug unbeirrt Trommel und Glocke, der Raum verlor seine Grenzen. Tod oder Leben, Krankheit oder Gesundheit – alles löste sich auf in der großen Leere. Alles, die große weite Welt der Erscheinungen, war eine Illusion, ein Traum, dessen Schleier es durchzuschneiden galt. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Ani von Krämpfen geschüttelt wurde. Inständig hoffte sie, es möge bald vorbei sein, als sich etwas Merkwürdiges ereignete. Rauch löste sich wie ein schwarzer Schatten von dem Kind und Özel ›sah‹ erschrocken, dass sich darin ein unerlöstes Wesen verbarg, das die Lebenskraft des Kindes ausgesaugt hatte. Noch viel mehr sah sie. Der Schatten lag nicht nur über dem Kind, sondern erstreckte sich wie ein dicht gesponnenes Spinnennetz von der Tochter hinüber zum Vater in der Zimmerecke. Auf beiden Menschen lastete unheilvolle Schwere. Das feinfühlige Kind musste die Melancholie des Vaters gespürt und seine Schwermut auf sich genommen haben, war jedoch der auszehrenden Bedürftigkeit des fremden Wesens nicht gewachsen und deshalb lebensbedrohlich erkrankt. Özel Li hüllte das umherirrende Wesen kraft des Chöd in Licht und befahl ihm, die Familie in Ruhe zu lassen. Mit geballter Kraft konzentrierte sie sich auf den Schatten, den sie schließlich als alte verhärmte Frau erkannte, unfähig, von ihrem Sohn abzulassen. Özel Li führte eine zweite Zeremonie für die Verstorbene durch und löste die aussaugende Anhaftung der Mutter an ihren Sohn und die Enkelin. Da ließ der Schatten ab von den Lebenden, sein verzweigtes Netz fiel in sich zusammen und wehte davon. Erleichtert öffnete Özel Li alle Fenster im Haus und räucherte mit Wacholder und Salbei aus ihrem Medizinbeutel die Räume. Als sie geendet hatte, war das Kind vor Erschöpfung eingeschlafen. Es atmete ruhig. Die Mutter nickte ihr voller Ehrfurcht zu, in ihren Augen glänzte Dankbarkeit. Der Vater sank am Fußende des Krankenbetts zusammen und weinte leise vor sich hin. Der Vorleser war verschwunden. Die Menschen in der Hütte atmeten auf, als wäre ein langer, bitterkalter Winter endlich vorbeigezogen. Das Mädchen würde nicht sterben, sondern leben. Özel Li war nicht dem Tod begegnet, sondern einer verirrten Seele. Sie ging nach draußen und sog die kühle Nachtluft ein. Am Himmel funkelten die Sterne und ihr war, als hätte sie einen guten Kampf gekämpft.

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