Narzissen und Chilipralinen. Franziska Dalinger

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Название Narzissen und Chilipralinen
Автор произведения Franziska Dalinger
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862567423



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besonders brav, aber es gibt kein Gesetz dagegen, sich auf zehn Jahre älter zu schminken, mütterliche Klamotten auszuleihen (die von Mandys Mutter natürlich, meine hat nichts im Kleiderschrank, was auch nur annähernd schick genug wäre, um als Model-Scout durchzugehen), und in der Fußgängerzone Leute zu verschaukeln.

      »Der hätte uns auch hundert Euro bezahlt, damit wir seinen Namen in unsere Kartei aufnehmen, wetten? Wer wäre nicht gerne bei Miller und Johannsson in der Kartei? Das Sprungbrett für Ihre Karriere!«

      Ich werfe Mandy einen Blick zu. So einen Nimm-dich-in-Acht-Blick. Sie versteht sofort.

      »Ich meine ja nur.«

      »Das wäre Betrug«, sage ich. »So ist es bloß Spaß. Ich dachte, wir wären uns da einig, dass wir den Leuten kein Geld abknöpfen.«

      »Ja, ist ja schon gut. Krieg dich wieder ein.« Sie grinst. »Aber diese eine Schwarzhaarige, am Anfang, dass die sogar ihre Jacke ausgezogen und mir zum Halten gegeben hat, mit Portemonnaie drin und allem! Was hätte die wohl gemacht, wenn wir einfach damit abgehauen wären? Die ersten paar Meter bis zum Brunnen hat sie sich kein einziges Mal umgeschaut.«

      Kaum zu fassen, wie leichtgläubig manche Menschen sind. Wie vertrauensselig.

      »So was machen wir aber nicht«, sage ich streng, denn Mandy hätte nicht das moralische Problem, mal das eine oder andere mitgehen zu lassen.

      Früher hätte ich mich nie getraut, so mit ihr zu reden. Ihr klipp und klar meine Meinung zu sagen. Ich hatte solche Angst, dass sie dann nichts mehr mit mir zu tun haben will. Aber mittlerweile hat unsere Freundschaft schon so einiges überstanden, und ich trau mich immer mehr. Dass ich trotzdem immer noch Angst habe, sie könnte mit interessanteren Leuten rumhängen ... tja, so bin ich nun mal. Ich fühle mich eigentlich nie sicher. Nie so, als könnte ich mich zurücklehnen und alles läuft von selbst. Das ist wie in der Schule – alle paar Wochen kommt die nächste Arbeit, der nächste Test, und dann nützt es einem nichts, dass man im letzten eine Zwei hatte. Kann sein, dass ich da ein wenig verkrampft bin. Sorry, aber wer kann mir denn eine Garantie dafür geben, dass man das, was man bekommen hat, auch behält? Keiner. Eben. Gerade noch hat man eine total angesagte Freundin und dann wird man links liegengelassen. Oder einen supersüßen Freund, und dann sieht er sich anderweitig um. Kann alles passieren in einer Welt, in der es Erdbeben gibt und Vulkanausbrüche und Tsunamis.

      »Und was macht Daniel so?«, fragt Mandy. Manchmal ist es mir fast unheimlich, wie sie meine Gedanken erraten kann.

      »Daniel?« Ich blicke von meinem Sandwich auf und wische mir geziert ein Soßetröpfchen aus dem Mundwinkel. »Doch nicht etwa dieser blonde Schüler vom Gymnasium? Dieser unheimlich süße Typ, der immerzu Gitarre spielt? Den kannst du doch nicht meinen. Der ist viel zu jung für mich. Immerhin bin ich mindestens dreißig. Gott, der ist ja noch ein Kind!«

      Mandy sieht wehmütig einem Tomatenscheibchen hinterher, das aus ihrem Baguette rutscht und auf dem Boden landet.

      »Genau den«, sagt sie. »Der dir ständig Liebeslieder dichtet und Schokolade schenkt. Den Traumboy, den ausgerechnet du dir geangelt hast.«

      In gewisser Weise habe ich ihn mir tatsächlich geangelt, denn unsere schönsten Momente hatten wir am Fluss. Abgesehen davon, dass wir uns von früher kennen, als er mir im Kindergottesdienst Kaugummi in die Haare geschmiert hat. Das habe ich Mandy nie erzählt. Sie weiß bloß, dass ich ihn vor dem Ertrinken gerettet und mir einen Kampf auf Leben und Tod mit Steffi, unserer früheren Freundin, geliefert habe. An jene Nacht denke ich gar nicht gerne. Aber in der Tat, irgendwie habe ich mir Daniel aus dem Wasser geangelt, und seitdem sind wir zusammen.

      Wenn ich nicht gerade in der City wildfremde Leute anlüge.

      »Der ist unterwegs«, sage ich. »Mit der Familie. Irgendwas wegen seiner Schwester. Er klang ziemlich alarmiert.«

      »Familie wird überbewertet«, findet Mandy, die ein Einzelkind ist und ihre Eltern kaum sieht. Wenn sie ein Leben führen müsste wie ich – mit einem schrecklich netten Papa, der einem ständig den Kopf tätschelt, einer Mutter, die sich pausenlos um die Gesundheit ihrer Kinder sorgt, mit einer Schwester wie Tabita, die alles besser weiß, und einer Nervensäge wie Silas, der nie auch nur eine Sekunde die Klappe halten kann – dann wäre sie längst durchgedreht, wetten? Was nur beweist, was für gute Nerven ich habe.

      Die werde ich jetzt auch brauchen. Es geht weiter. Mandy ist fertig mit essen, ein entschlossener Ausdruck tritt in ihr Gesicht.

      »Jetzt finden wir das Supermodel«, verkündet sie.

      Das schönste Mädchen in dieser Stadt ist garantiert sie selber. Ich glaube, das weiß sie auch. Sie braucht gar nicht so bescheiden zu tun. Mandy ist nicht nur mit einer blonden Mähne und einer perfekten Figur gesegnet, sondern auch mit einem umwerfend hübschen Gesicht. Trotzdem hat sie keinen Freund – oder genau deswegen, weil sich nämlich niemand an sie herantraut. Und ich, mindestens zehn Zentimeter kleiner als sie und mit meinen schulterlangen dunkelblonden Haaren, die dazu neigen, strähnig auszusehen, mit meiner etwas zu knubbeligen Nase und meinen X-Beinen, ich habe einen. Daniel sagt, ich soll nicht so kritisch sein, ich würde toll aussehen. Nun ja, wenn er meint. Manchmal glaube ich ihm sogar, schließlich war er schon in mich verliebt, bevor ich ihn gerettet habe. Aber wie dem auch sei – hin und wieder finde ich das Leben unerwartet gerecht. Dann macht es Spaß, ich zu sein.

      »Die da.« Mandy lenkt meine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe kichernder Teenager. Sie sind in viel zu dünnen Jacken unterwegs, ohne Mützen oder Schals, was darauf schließen lässt, dass sie sich für zu schön halten, um sich vor der Kälte zu verstecken.

      »Welche?« Keins der Mädchen sieht auch nur annähernd wie ein Supermodel aus.

      Mandy ist schon unterwegs und packt die Kamera aus. »Entschuldigung«, sagt sie, »aber du hast doch bestimmt schon mal als Model gearbeitet?«

      Das Mädchen, das sie sich aus der Gruppe herausgepickt hat, hat eine recht große Ähnlichkeit mit Tine, der oberfrommen Ziege aus meiner Jugendgruppe. Sie ist sehr dünn und hat ein Gesicht, das entfernt an ein Schaf erinnert. Biestig irgendwie. Jemand, der bestimmt über alles und jeden meckert. Die anderen haben alle Tüten in den Händen, aber sie nicht. Natürlich, sie gehört zu denen, die an allem etwas auszusetzen haben, am Schluss einfach irgendwas kaufen, damit sie nicht mit leeren Händen dastehen, und sich noch wochenlang darüber ärgern.

      Hm. Passiert mir auch manchmal.

      »He, Leonie, die meint dich!« Die anderen Mädels lachen und kreischen. Ich gehe hoheitsvoll dazwischen und zücke meine Visitenkarte.

      »Ich?«, fragt das Schaf. Sie ist skeptisch, sie traut der Sache nicht. Aber ihre Freundinnen sind vollauf begeistert. Jede von ihnen möchte unbedingt in unsere Kartei. Fotografiert werden, gefilmt. Sie fangen an, Grimassen zu schneiden, mit den Augen zu klimpern, mit dem Hintern zu wackeln. Nur Leonie steht mittendrin und ist völlig durcheinander. »Ich?«, fragt sie bestimmt schon das zehnte Mal.

      »Ja, du«, sagt Mandy, und da ich plötzlich gehemmt bin und den Mund nicht aufkriege, erteilt sie Anweisungen und lässt die arme Leonie auf und ab marschieren, wobei die Freundinnen ihre Jacke halten und neidisch zusehen. Ob sie es wohl später an ihr auslassen werden? Auf einmal ist mir ganz komisch zumute.

      Das Mädchen geht bis zum Brunnen, während ihr die anderen gute Ratschläge zukreischen. Dann kommt sie zurück. Man merkt ihr nicht an, dass sie friert. Ihr Gang wird selbstbewusster. Sie umschifft die glatte Stelle, an der schon zwei unserer Kandidaten ins Rutschen gekommen sind, ohne Probleme. Ein winziges Lächeln glänzt in ihren Augen auf, das ihre Lippen nicht erreicht. Sie bleibt ernst, und ich ertappe mich dabei, dass ich sie anstarre. Auf einmal kann ich sie mir tatsächlich auf dem Laufsteg vorstellen. Oder auf dem Cover einer Zeitschrift. Sie hat etwas, finde ich, etwas Melancholisches, das irgendwie sexy ist, und in meinem Bauch ist ein komisches Grummeln, das mich wünschen lässt, das ganze Theater zu beenden und zu verschwinden.

      »Mandy? Was macht ihr denn hier?«

      Mandy lässt die Kamera sinken. »Basti?«

      Bastian